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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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Jch war froh über das eigene Orientieren der Kin-
der, und that nichts hinzu, weil ich es von
jeher für einen Fehlgriff in der Erziehung gehal-
ten habe, die kleinen Einsichten und Erkenntnisse,
die Kindern aus sich selbst kommen, erst noch stem-
peln und zu etwas machen zu wollen. Lasse man
ihnen doch, wo es nur immer seyn kann, das
Bewußtseyn, aus sich selbst das Wahre oder das
Schöne geschöpft zu haben. Nur wenn sie falsch
urtheilen, bringe man sie zurecht, und auch dann
noch schone man behutsam die Eigenthümlichkeit
ihres Geistes. Kaum waren wir eine halbe Stun-
de gefahren, so kamen wir an einen Ort, wo
Kirchweihe (oder Kirmeß) war. Es ward getanzt,
und zwar sehr wild. Die Musik war elend, und
das Getobe und Gekreisch der Tanzenden und
Trinkenden so fürchterlich, wie man es in einem
milden schönen Weinlande nicht erwarten sollte.
Das hatte bei Jda fast den ganzen schönen Ein-
druck verdorben, welchen die Leute des vorigen
Ortes auf sie gemacht. Jda, welche die Freude
in dieser Gestalt noch nicht kannte, meynte im
Ernst, die Leute wären bös auf einander, und



Jch war froh über das eigene Orientieren der Kin-
der, und that nichts hinzu, weil ich es von
jeher für einen Fehlgriff in der Erziehung gehal-
ten habe, die kleinen Einſichten und Erkenntniſſe,
die Kindern aus ſich ſelbſt kommen, erſt noch ſtem-
peln und zu etwas machen zu wollen. Laſſe man
ihnen doch, wo es nur immer ſeyn kann, das
Bewußtſeyn, aus ſich ſelbſt das Wahre oder das
Schöne geſchöpft zu haben. Nur wenn ſie falſch
urtheilen, bringe man ſie zurecht, und auch dann
noch ſchone man behutſam die Eigenthümlichkeit
ihres Geiſtes. Kaum waren wir eine halbe Stun-
de gefahren, ſo kamen wir an einen Ort, wo
Kirchweihe (oder Kirmeß) war. Es ward getanzt,
und zwar ſehr wild. Die Muſik war elend, und
das Getobe und Gekreiſch der Tanzenden und
Trinkenden ſo fürchterlich, wie man es in einem
milden ſchönen Weinlande nicht erwarten ſollte.
Das hatte bei Jda faſt den ganzen ſchönen Ein-
druck verdorben, welchen die Leute des vorigen
Ortes auf ſie gemacht. Jda, welche die Freude
in dieſer Geſtalt noch nicht kannte, meynte im
Ernſt, die Leute wären bös auf einander, und

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[133/0147] Jch war froh über das eigene Orientieren der Kin- der, und that nichts hinzu, weil ich es von jeher für einen Fehlgriff in der Erziehung gehal- ten habe, die kleinen Einſichten und Erkenntniſſe, die Kindern aus ſich ſelbſt kommen, erſt noch ſtem- peln und zu etwas machen zu wollen. Laſſe man ihnen doch, wo es nur immer ſeyn kann, das Bewußtſeyn, aus ſich ſelbſt das Wahre oder das Schöne geſchöpft zu haben. Nur wenn ſie falſch urtheilen, bringe man ſie zurecht, und auch dann noch ſchone man behutſam die Eigenthümlichkeit ihres Geiſtes. Kaum waren wir eine halbe Stun- de gefahren, ſo kamen wir an einen Ort, wo Kirchweihe (oder Kirmeß) war. Es ward getanzt, und zwar ſehr wild. Die Muſik war elend, und das Getobe und Gekreiſch der Tanzenden und Trinkenden ſo fürchterlich, wie man es in einem milden ſchönen Weinlande nicht erwarten ſollte. Das hatte bei Jda faſt den ganzen ſchönen Ein- druck verdorben, welchen die Leute des vorigen Ortes auf ſie gemacht. Jda, welche die Freude in dieſer Geſtalt noch nicht kannte, meynte im Ernſt, die Leute wären bös auf einander, und

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/147>, abgerufen am 22.11.2024.