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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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mußt. Dann will ich dir deine Zeit eintheilen
helfen, wenn du allein nicht damit zurecht kom-
men könntest. Da werde ich sehen, ob du ein
rechter Mann werden willst? Was wir beide
über unsere neue Lebensweise ausmachen, das
sey Gesetz, darauf halten wir streng. Wie viele
Stunden du des Tages zu arbeiten hast, um das
zu lernen, was im ersten Jahre gelernt werden
soll, das werden wir bald finden. Haben wir
es gefunden, so wird es Gesetz, und vom selbst gege-
benen Gesetz abweichen. --" -- "O nein! nein!
das soll von Woldemar niemand sagen;" -- fiel der
Kleine heftig ein; und so nahm das Feuer des
Ehrgeizes allmählig den Platz der zu tiefen Rüh-
rung bei dem lieben Jungen ein. Seine Augen
funkelten bei dem bloßen Gedanken, daß man
ihn der Schlaffheit fähig halten könnte.

Jetzt waren nun die Zungen alle wieder ge-
lös't. Die heitre stille Pracht des Abends hatte
den Schmerz leise besänftigt. Die Berge fingen
an, in der Verklärung der Abendsonne zu glühen;
die fernsten schienen abgelös't von der Erde im



mußt. Dann will ich dir deine Zeit eintheilen
helfen, wenn du allein nicht damit zurecht kom-
men könnteſt. Da werde ich ſehen, ob du ein
rechter Mann werden willſt? Was wir beide
über unſere neue Lebensweiſe ausmachen, das
ſey Geſetz, darauf halten wir ſtreng. Wie viele
Stunden du des Tages zu arbeiten haſt, um das
zu lernen, was im erſten Jahre gelernt werden
ſoll, das werden wir bald finden. Haben wir
es gefunden, ſo wird es Geſetz, und vom ſelbſt gege-
benen Geſetz abweichen. —‟ — „O nein! nein!
das ſoll von Woldemar niemand ſagen;‟ — fiel der
Kleine heftig ein; und ſo nahm das Feuer des
Ehrgeizes allmählig den Platz der zu tiefen Rüh-
rung bei dem lieben Jungen ein. Seine Augen
funkelten bei dem bloßen Gedanken, daß man
ihn der Schlaffheit fähig halten könnte.

Jetzt waren nun die Zungen alle wieder ge-
löſ’t. Die heitre ſtille Pracht des Abends hatte
den Schmerz leiſe beſänftigt. Die Berge fingen
an, in der Verklärung der Abendſonne zu glühen;
die fernſten ſchienen abgelöſ’t von der Erde im

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[131/0145] mußt. Dann will ich dir deine Zeit eintheilen helfen, wenn du allein nicht damit zurecht kom- men könnteſt. Da werde ich ſehen, ob du ein rechter Mann werden willſt? Was wir beide über unſere neue Lebensweiſe ausmachen, das ſey Geſetz, darauf halten wir ſtreng. Wie viele Stunden du des Tages zu arbeiten haſt, um das zu lernen, was im erſten Jahre gelernt werden ſoll, das werden wir bald finden. Haben wir es gefunden, ſo wird es Geſetz, und vom ſelbſt gege- benen Geſetz abweichen. —‟ — „O nein! nein! das ſoll von Woldemar niemand ſagen;‟ — fiel der Kleine heftig ein; und ſo nahm das Feuer des Ehrgeizes allmählig den Platz der zu tiefen Rüh- rung bei dem lieben Jungen ein. Seine Augen funkelten bei dem bloßen Gedanken, daß man ihn der Schlaffheit fähig halten könnte. Jetzt waren nun die Zungen alle wieder ge- löſ’t. Die heitre ſtille Pracht des Abends hatte den Schmerz leiſe beſänftigt. Die Berge fingen an, in der Verklärung der Abendſonne zu glühen; die fernſten ſchienen abgelöſ’t von der Erde im

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/145>, abgerufen am 22.11.2024.