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Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.

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I. Die functionelle Anpassung.
sehr unwahrscheinlich. War dagegen das Rückenmark ursprüng-
lich angelegt, aber im späteren Embryonalleben durch Krank-
heit zerstört (Spina bifida), so fanden sich die Theile des Be-
wegungsapparates anscheinend vollkommen normal, und es muss
danach weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben, zu ent-
scheiden, wie weit active embryonale Function der Muskeln
oder blosser Tonus derselben zur normalen Ausbildung ihres
Stützapparates nöthig ist.

Ebenso fand G. Joessel1) beim Fehlen der Sehne des
langen Kopfes des Biceps auch den Sulcus intertubercularis,
in welchem sie verläuft, nur schwach ausgebildet und die
Synovialkapsel war nicht in diesen Sulcus ausgestülpt; eine
Angabe, welche ich aus eigner mehrfacher Beobachtung bestä-
tigen kann. Mit der Abhängigkeit der Ausbildung der passiv
fungirenden Theile von embryonaler Functionirung der activen
stimmen ferner überein die Resultate der Untersuchungen von
Heiberg2), welcher fand, dass die Gelenkkapseln des Neu-
geborenen noch stärker und straffer an den Beuge- und Streck-
seiten sind, als beim Erwachsenen, dass die accessorischen
Bänder schwächer sind oder noch ganz fehlen, und ferner hier
nicht weiter aufzuzählende Merkmale.

Aug. Förster3) beschreibt eine Orbita (Augenhöhle), in
welcher kein Auge war; aber sie war auch nicht normal, son-
dern enger, als die Orbita mit Auge.

Aus diesen Beispielen scheint hervorzugehen, dass die
Gebilde der Stützsubstanzen zwar selbständig angelegt, aber nur
unter Mitwirkung der von ihnen gestützten Theile, also unter
dem Einflusse der Function ihre normale Ausbildung erlangen.

Beispiele anderer, vielleicht aber auch functioneller, Ab-

1) Zeitschr. f. Anatomie von His u. Braune. 1877. Bd. II. p. 143.
2) Schmidt's Jahrbücher. 1879. Bd. 182. Nr. 2.
3) Die Missbildungen des Menschen. II. Aufl. Tafel VIII, Fig. 9.

I. Die functionelle Anpassung.
sehr unwahrscheinlich. War dagegen das Rückenmark ursprüng-
lich angelegt, aber im späteren Embryonalleben durch Krank-
heit zerstört (Spina bifida), so fanden sich die Theile des Be-
wegungsapparates anscheinend vollkommen normal, und es muss
danach weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben, zu ent-
scheiden, wie weit active embryonale Function der Muskeln
oder blosser Tonus derselben zur normalen Ausbildung ihres
Stützapparates nöthig ist.

Ebenso fand G. Joessel1) beim Fehlen der Sehne des
langen Kopfes des Biceps auch den Sulcus intertubercularis,
in welchem sie verläuft, nur schwach ausgebildet und die
Synovialkapsel war nicht in diesen Sulcus ausgestülpt; eine
Angabe, welche ich aus eigner mehrfacher Beobachtung bestä-
tigen kann. Mit der Abhängigkeit der Ausbildung der passiv
fungirenden Theile von embryonaler Functionirung der activen
stimmen ferner überein die Resultate der Untersuchungen von
Heiberg2), welcher fand, dass die Gelenkkapseln des Neu-
geborenen noch stärker und straffer an den Beuge- und Streck-
seiten sind, als beim Erwachsenen, dass die accessorischen
Bänder schwächer sind oder noch ganz fehlen, und ferner hier
nicht weiter aufzuzählende Merkmale.

Aug. Förster3) beschreibt eine Orbita (Augenhöhle), in
welcher kein Auge war; aber sie war auch nicht normal, son-
dern enger, als die Orbita mit Auge.

Aus diesen Beispielen scheint hervorzugehen, dass die
Gebilde der Stützsubstanzen zwar selbständig angelegt, aber nur
unter Mitwirkung der von ihnen gestützten Theile, also unter
dem Einflusse der Function ihre normale Ausbildung erlangen.

Beispiele anderer, vielleicht aber auch functioneller, Ab-

1) Zeitschr. f. Anatomie von His u. Braune. 1877. Bd. II. p. 143.
2) Schmidt’s Jahrbücher. 1879. Bd. 182. Nr. 2.
3) Die Missbildungen des Menschen. II. Aufl. Tafel VIII, Fig. 9.
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[52/0066] I. Die functionelle Anpassung. sehr unwahrscheinlich. War dagegen das Rückenmark ursprüng- lich angelegt, aber im späteren Embryonalleben durch Krank- heit zerstört (Spina bifida), so fanden sich die Theile des Be- wegungsapparates anscheinend vollkommen normal, und es muss danach weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben, zu ent- scheiden, wie weit active embryonale Function der Muskeln oder blosser Tonus derselben zur normalen Ausbildung ihres Stützapparates nöthig ist. Ebenso fand G. Joessel 1) beim Fehlen der Sehne des langen Kopfes des Biceps auch den Sulcus intertubercularis, in welchem sie verläuft, nur schwach ausgebildet und die Synovialkapsel war nicht in diesen Sulcus ausgestülpt; eine Angabe, welche ich aus eigner mehrfacher Beobachtung bestä- tigen kann. Mit der Abhängigkeit der Ausbildung der passiv fungirenden Theile von embryonaler Functionirung der activen stimmen ferner überein die Resultate der Untersuchungen von Heiberg 2), welcher fand, dass die Gelenkkapseln des Neu- geborenen noch stärker und straffer an den Beuge- und Streck- seiten sind, als beim Erwachsenen, dass die accessorischen Bänder schwächer sind oder noch ganz fehlen, und ferner hier nicht weiter aufzuzählende Merkmale. Aug. Förster 3) beschreibt eine Orbita (Augenhöhle), in welcher kein Auge war; aber sie war auch nicht normal, son- dern enger, als die Orbita mit Auge. Aus diesen Beispielen scheint hervorzugehen, dass die Gebilde der Stützsubstanzen zwar selbständig angelegt, aber nur unter Mitwirkung der von ihnen gestützten Theile, also unter dem Einflusse der Function ihre normale Ausbildung erlangen. Beispiele anderer, vielleicht aber auch functioneller, Ab- 1) Zeitschr. f. Anatomie von His u. Braune. 1877. Bd. II. p. 143. 2) Schmidt’s Jahrbücher. 1879. Bd. 182. Nr. 2. 3) Die Missbildungen des Menschen. II. Aufl. Tafel VIII, Fig. 9.

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Zitationshilfe: Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/66>, abgerufen am 02.05.2024.