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Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.

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I. Die functionelle Anpassung.
den gewerblichen Fertigkeiten, welche man in Gegenden beob-
achtet, wo fast die ganze Bevölkerung viele Generationen hin-
durch denselben Industriezweig gepflegt hat. Man kann auch in
diesen Fällen immer den nicht unberechtigten Einwand machen,
es seien diejenigen von den Geschwistern zur Fortsetzung des
väterlichen Gewerbes herangebildet worden, welche von Jugend
auf besonderes Geschick dazu verriethen, welches ihnen also
durch zufällige embryonale Variation angeboren sei. Durch
diese Generationen hindurch fortgesetzte Auslese sei die Stei-
gerung der Leistungsfähigkeit nach dieser Richtung hin be-
dingt, abgesehen von der, durch frühzeitige jugendliche Be-
schäftigung hervorgerufenen Vergrösserung der individuellen
Anpassungsbreite.

Die meisten Autoren haben sich begnügt, über die Erb-
lichkeit functioneller Anpassungen subjective Meinungen zu
äussern; thatsächliches Material haben nur wenige geliefert.

Zunächst weist Darwin auf die wichtige Thatsache der
Vererbung der Instincte hin. Wenngleich viele Instincte durch
embryonale Variationen entstanden gedacht werden können,
wie z. B. die Geruchsinstincte, so giebt es doch auch welche,
die nur durch eigene Beobachtung und Erfahrung, also durch
functionelle Anpassung, erworben werden konnten. So führt
Darwin an die Erwerbung der Furcht der Thiere vor dem
Menschen. Wenn Menschen zum ersten Male auf bisher unbe-
wohnte Inseln kommen, so haben die Thiere oft keine Furcht
vor ihnen; aber schon nach mehreren Generationen ist ihnen
die Menschenfurcht angeborener Instinct. Fernerhin führt Ex-
ner
an1): "Nicht nur das Gedächtniss als die Fähigkeit, Ge-
dächtnissbilder längere oder kürzere Zeit festzuhalten, ist ver-
erblich, sondern auch der Inhalt des Gedächtnisses, die Ge-

1) Exner, Physiologie der Grosshirnrinde, in: Hermann, Handbuch
der Physiologie. Bd. II. Abth. 2. p. 286.

I. Die functionelle Anpassung.
den gewerblichen Fertigkeiten, welche man in Gegenden beob-
achtet, wo fast die ganze Bevölkerung viele Generationen hin-
durch denselben Industriezweig gepflegt hat. Man kann auch in
diesen Fällen immer den nicht unberechtigten Einwand machen,
es seien diejenigen von den Geschwistern zur Fortsetzung des
väterlichen Gewerbes herangebildet worden, welche von Jugend
auf besonderes Geschick dazu verriethen, welches ihnen also
durch zufällige embryonale Variation angeboren sei. Durch
diese Generationen hindurch fortgesetzte Auslese sei die Stei-
gerung der Leistungsfähigkeit nach dieser Richtung hin be-
dingt, abgesehen von der, durch frühzeitige jugendliche Be-
schäftigung hervorgerufenen Vergrösserung der individuellen
Anpassungsbreite.

Die meisten Autoren haben sich begnügt, über die Erb-
lichkeit functioneller Anpassungen subjective Meinungen zu
äussern; thatsächliches Material haben nur wenige geliefert.

Zunächst weist Darwin auf die wichtige Thatsache der
Vererbung der Instincte hin. Wenngleich viele Instincte durch
embryonale Variationen entstanden gedacht werden können,
wie z. B. die Geruchsinstincte, so giebt es doch auch welche,
die nur durch eigene Beobachtung und Erfahrung, also durch
functionelle Anpassung, erworben werden konnten. So führt
Darwin an die Erwerbung der Furcht der Thiere vor dem
Menschen. Wenn Menschen zum ersten Male auf bisher unbe-
wohnte Inseln kommen, so haben die Thiere oft keine Furcht
vor ihnen; aber schon nach mehreren Generationen ist ihnen
die Menschenfurcht angeborener Instinct. Fernerhin führt Ex-
ner
an1): »Nicht nur das Gedächtniss als die Fähigkeit, Ge-
dächtnissbilder längere oder kürzere Zeit festzuhalten, ist ver-
erblich, sondern auch der Inhalt des Gedächtnisses, die Ge-

1) Exner, Physiologie der Grosshirnrinde, in: Hermann, Handbuch
der Physiologie. Bd. II. Abth. 2. p. 286.
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[36/0050] I. Die functionelle Anpassung. den gewerblichen Fertigkeiten, welche man in Gegenden beob- achtet, wo fast die ganze Bevölkerung viele Generationen hin- durch denselben Industriezweig gepflegt hat. Man kann auch in diesen Fällen immer den nicht unberechtigten Einwand machen, es seien diejenigen von den Geschwistern zur Fortsetzung des väterlichen Gewerbes herangebildet worden, welche von Jugend auf besonderes Geschick dazu verriethen, welches ihnen also durch zufällige embryonale Variation angeboren sei. Durch diese Generationen hindurch fortgesetzte Auslese sei die Stei- gerung der Leistungsfähigkeit nach dieser Richtung hin be- dingt, abgesehen von der, durch frühzeitige jugendliche Be- schäftigung hervorgerufenen Vergrösserung der individuellen Anpassungsbreite. Die meisten Autoren haben sich begnügt, über die Erb- lichkeit functioneller Anpassungen subjective Meinungen zu äussern; thatsächliches Material haben nur wenige geliefert. Zunächst weist Darwin auf die wichtige Thatsache der Vererbung der Instincte hin. Wenngleich viele Instincte durch embryonale Variationen entstanden gedacht werden können, wie z. B. die Geruchsinstincte, so giebt es doch auch welche, die nur durch eigene Beobachtung und Erfahrung, also durch functionelle Anpassung, erworben werden konnten. So führt Darwin an die Erwerbung der Furcht der Thiere vor dem Menschen. Wenn Menschen zum ersten Male auf bisher unbe- wohnte Inseln kommen, so haben die Thiere oft keine Furcht vor ihnen; aber schon nach mehreren Generationen ist ihnen die Menschenfurcht angeborener Instinct. Fernerhin führt Ex- ner an 1): »Nicht nur das Gedächtniss als die Fähigkeit, Ge- dächtnissbilder längere oder kürzere Zeit festzuhalten, ist ver- erblich, sondern auch der Inhalt des Gedächtnisses, die Ge- 1) Exner, Physiologie der Grosshirnrinde, in: Hermann, Handbuch der Physiologie. Bd. II. Abth. 2. p. 286.

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Zitationshilfe: Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/50>, abgerufen am 25.04.2024.