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Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.

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V. Ueber das Wesen des Organischen.
muss sogar entschieden betont werden, da die letztere Eigen-
schaft die Grundlage der den Organismen innewohnenden gra-
duell unbegrenzten Vervollkommnungsfähigkeit ist, während
die erstere blos eine für sehr viele Fälle eingerichtete Stabili-
tät darstellt.

Wenn ich mich nun noch mit einem Worte über das viel
discutirte Problem der Entstehung des Lebens ergehe,
so komme ich in Gefahr, damit gegen meine eigene Ueber-
zeugung zu handeln.

Denn ich bin der Meinung, dass wir mit unseren heutigen
Kenntnissen des Organischen nicht annähernd im Stande sind,
auch nur für irgend eine Möglichkeit eine grössere Wahrschein-
lichkeit herzuleiten, als für die andere. Ich beabsichtige daher
auch blos, meine ablehnende Auffassung zu begründen.

Wenn es verdienstlich von Tyndall, Preyer1) und
Pflüger2) gewesen ist, auf die Aehnlichkeit des Verbren-
nungsprocesses, des Feuers, dieses ältesten und meist gebrauch-
ten Gleichnisses des Lebens, mit dem Lebensprocesse selber
hinzuweisen, so vermögen wir doch nicht die geringste auf
thatsächliche Beobachtungen sich stützende Vermuthung auszu-
sprechen, dass der Lebensprocess sich aus dem Feuer herge-
leitet habe. Wir kennen die Leistungen der Atome für sich
und der organischen Gebilde viel zu wenig, um beurtheilen zu
können, ob ein directer Uebergang vom Feuer zum Leben mög-
lich gewesen ist. Ebenso erscheint es mir überflüssig, das
ganze Weltall nach dem möglichen Ort der Entstehung theore-
tisirend abzusuchen, da uns jegliche Vorstellungen über die
nothwendigen Qualitäten dieses Ortes fehlen. Wir können uns,
meine ich, bis auf Weiteres ebenso gut mit der Annahme zu-
frieden geben, dass der Lebensprocess in irgend einem Stadium

1) Preyer, Deutsche Rundschau 1875, und Kosmos, Zeitschr. Bd. I.
2) Pflüger's Archiv. 1875.

V. Ueber das Wesen des Organischen.
muss sogar entschieden betont werden, da die letztere Eigen-
schaft die Grundlage der den Organismen innewohnenden gra-
duell unbegrenzten Vervollkommnungsfähigkeit ist, während
die erstere blos eine für sehr viele Fälle eingerichtete Stabili-
tät darstellt.

Wenn ich mich nun noch mit einem Worte über das viel
discutirte Problem der Entstehung des Lebens ergehe,
so komme ich in Gefahr, damit gegen meine eigene Ueber-
zeugung zu handeln.

Denn ich bin der Meinung, dass wir mit unseren heutigen
Kenntnissen des Organischen nicht annähernd im Stande sind,
auch nur für irgend eine Möglichkeit eine grössere Wahrschein-
lichkeit herzuleiten, als für die andere. Ich beabsichtige daher
auch blos, meine ablehnende Auffassung zu begründen.

Wenn es verdienstlich von Tyndall, Preyer1) und
Pflüger2) gewesen ist, auf die Aehnlichkeit des Verbren-
nungsprocesses, des Feuers, dieses ältesten und meist gebrauch-
ten Gleichnisses des Lebens, mit dem Lebensprocesse selber
hinzuweisen, so vermögen wir doch nicht die geringste auf
thatsächliche Beobachtungen sich stützende Vermuthung auszu-
sprechen, dass der Lebensprocess sich aus dem Feuer herge-
leitet habe. Wir kennen die Leistungen der Atome für sich
und der organischen Gebilde viel zu wenig, um beurtheilen zu
können, ob ein directer Uebergang vom Feuer zum Leben mög-
lich gewesen ist. Ebenso erscheint es mir überflüssig, das
ganze Weltall nach dem möglichen Ort der Entstehung theore-
tisirend abzusuchen, da uns jegliche Vorstellungen über die
nothwendigen Qualitäten dieses Ortes fehlen. Wir können uns,
meine ich, bis auf Weiteres ebenso gut mit der Annahme zu-
frieden geben, dass der Lebensprocess in irgend einem Stadium

1) Preyer, Deutsche Rundschau 1875, und Kosmos, Zeitschr. Bd. I.
2) Pflüger’s Archiv. 1875.
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[230/0244] V. Ueber das Wesen des Organischen. muss sogar entschieden betont werden, da die letztere Eigen- schaft die Grundlage der den Organismen innewohnenden gra- duell unbegrenzten Vervollkommnungsfähigkeit ist, während die erstere blos eine für sehr viele Fälle eingerichtete Stabili- tät darstellt. Wenn ich mich nun noch mit einem Worte über das viel discutirte Problem der Entstehung des Lebens ergehe, so komme ich in Gefahr, damit gegen meine eigene Ueber- zeugung zu handeln. Denn ich bin der Meinung, dass wir mit unseren heutigen Kenntnissen des Organischen nicht annähernd im Stande sind, auch nur für irgend eine Möglichkeit eine grössere Wahrschein- lichkeit herzuleiten, als für die andere. Ich beabsichtige daher auch blos, meine ablehnende Auffassung zu begründen. Wenn es verdienstlich von Tyndall, Preyer 1) und Pflüger 2) gewesen ist, auf die Aehnlichkeit des Verbren- nungsprocesses, des Feuers, dieses ältesten und meist gebrauch- ten Gleichnisses des Lebens, mit dem Lebensprocesse selber hinzuweisen, so vermögen wir doch nicht die geringste auf thatsächliche Beobachtungen sich stützende Vermuthung auszu- sprechen, dass der Lebensprocess sich aus dem Feuer herge- leitet habe. Wir kennen die Leistungen der Atome für sich und der organischen Gebilde viel zu wenig, um beurtheilen zu können, ob ein directer Uebergang vom Feuer zum Leben mög- lich gewesen ist. Ebenso erscheint es mir überflüssig, das ganze Weltall nach dem möglichen Ort der Entstehung theore- tisirend abzusuchen, da uns jegliche Vorstellungen über die nothwendigen Qualitäten dieses Ortes fehlen. Wir können uns, meine ich, bis auf Weiteres ebenso gut mit der Annahme zu- frieden geben, dass der Lebensprocess in irgend einem Stadium 1) Preyer, Deutsche Rundschau 1875, und Kosmos, Zeitschr. Bd. I. 2) Pflüger’s Archiv. 1875.

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Zitationshilfe: Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/244>, abgerufen am 28.04.2024.