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Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.

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V. Ueber das Wesen des Organischen.
weniger Kräfte erfordert, als das assimilirte Material bei seiner
Umsetzung bis zu den Endstadien des Processes zu liefern ver-
mag, und dass diese gelieferten Kräfte Assimilationsfähigkeit
haben. Das einfachste und daher verständlichste Beispiel bietet
wiederum die Flamme. Sie zeigt uns oft durch Umsichgreifen
in furchtbarer Weise ihre Eigenschaft, mehr zu assimiliren,
als sie verzehrt. Trotzdem hat sie keine ewige Dauerfähig-
keit auf der Erde. Dies liegt aber nicht an ihr, ihre Dauer-
fähigkeit ist im Gegentheil sehr gross und widersteht bekannt-
lich oft der Einwirkung der besten Dampffeuerspritze. Die
Ursache ihres Zugrundegehens ist zumeist die Aufzehrung ihres
Materials, und der Process würde in der Natur wol ebenso wie
das Organische ewige Dauer haben, wenn er nicht rascher ver-
liefe, als die anderen Naturprocesse wieder Material zu schaffen
vermögen. Im Organischen dagegen bestehen zwei Arten von
entgegengesetzten Processen, welche durch Selbstelimination
des Ungeeigneten sich in ein ewige Dauer verbürgendes Gleich-
gewicht gesetzt haben.

Es kann fernerhin vorkommen, dass Processe auftreten,
welche zwar mehr assimiliren, als sie verbrauchen, aber trotz-
dem nicht alles, was sie verbrauchen, zur Assimilation ver-
wenden, sondern wo Kraft noch übrig bleibt, wo der Process
noch etwas leistet, wie wir uns auszudrücken gewohnt sind,
indem wir die Assimilation blos als Vorbedingung des letzteren
Geschehens, der Leistung, würdigen. So leistet die Flamme
ausser der Uebercompensation in der Assimilation noch die
Bildung von Wärme, welche nicht zur Assimilation verwen-
det, sondern an die Umgebung abgegeben wird, und ausser-
dem producirt sie noch das Licht. Diese Leistungen nützen
ihr nichts, sondern sind vielmehr für die Assimilation und die
Dauerfähigkeit ein Verlust, eine unnöthige Ausgabe. Solche
Processe müssen daher ceteris paribus jenen nachstehen, welche

V. Ueber das Wesen des Organischen.
weniger Kräfte erfordert, als das assimilirte Material bei seiner
Umsetzung bis zu den Endstadien des Processes zu liefern ver-
mag, und dass diese gelieferten Kräfte Assimilationsfähigkeit
haben. Das einfachste und daher verständlichste Beispiel bietet
wiederum die Flamme. Sie zeigt uns oft durch Umsichgreifen
in furchtbarer Weise ihre Eigenschaft, mehr zu assimiliren,
als sie verzehrt. Trotzdem hat sie keine ewige Dauerfähig-
keit auf der Erde. Dies liegt aber nicht an ihr, ihre Dauer-
fähigkeit ist im Gegentheil sehr gross und widersteht bekannt-
lich oft der Einwirkung der besten Dampffeuerspritze. Die
Ursache ihres Zugrundegehens ist zumeist die Aufzehrung ihres
Materials, und der Process würde in der Natur wol ebenso wie
das Organische ewige Dauer haben, wenn er nicht rascher ver-
liefe, als die anderen Naturprocesse wieder Material zu schaffen
vermögen. Im Organischen dagegen bestehen zwei Arten von
entgegengesetzten Processen, welche durch Selbstelimination
des Ungeeigneten sich in ein ewige Dauer verbürgendes Gleich-
gewicht gesetzt haben.

Es kann fernerhin vorkommen, dass Processe auftreten,
welche zwar mehr assimiliren, als sie verbrauchen, aber trotz-
dem nicht alles, was sie verbrauchen, zur Assimilation ver-
wenden, sondern wo Kraft noch übrig bleibt, wo der Process
noch etwas leistet, wie wir uns auszudrücken gewohnt sind,
indem wir die Assimilation blos als Vorbedingung des letzteren
Geschehens, der Leistung, würdigen. So leistet die Flamme
ausser der Uebercompensation in der Assimilation noch die
Bildung von Wärme, welche nicht zur Assimilation verwen-
det, sondern an die Umgebung abgegeben wird, und ausser-
dem producirt sie noch das Licht. Diese Leistungen nützen
ihr nichts, sondern sind vielmehr für die Assimilation und die
Dauerfähigkeit ein Verlust, eine unnöthige Ausgabe. Solche
Processe müssen daher ceteris paribus jenen nachstehen, welche

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[218/0232] V. Ueber das Wesen des Organischen. weniger Kräfte erfordert, als das assimilirte Material bei seiner Umsetzung bis zu den Endstadien des Processes zu liefern ver- mag, und dass diese gelieferten Kräfte Assimilationsfähigkeit haben. Das einfachste und daher verständlichste Beispiel bietet wiederum die Flamme. Sie zeigt uns oft durch Umsichgreifen in furchtbarer Weise ihre Eigenschaft, mehr zu assimiliren, als sie verzehrt. Trotzdem hat sie keine ewige Dauerfähig- keit auf der Erde. Dies liegt aber nicht an ihr, ihre Dauer- fähigkeit ist im Gegentheil sehr gross und widersteht bekannt- lich oft der Einwirkung der besten Dampffeuerspritze. Die Ursache ihres Zugrundegehens ist zumeist die Aufzehrung ihres Materials, und der Process würde in der Natur wol ebenso wie das Organische ewige Dauer haben, wenn er nicht rascher ver- liefe, als die anderen Naturprocesse wieder Material zu schaffen vermögen. Im Organischen dagegen bestehen zwei Arten von entgegengesetzten Processen, welche durch Selbstelimination des Ungeeigneten sich in ein ewige Dauer verbürgendes Gleich- gewicht gesetzt haben. Es kann fernerhin vorkommen, dass Processe auftreten, welche zwar mehr assimiliren, als sie verbrauchen, aber trotz- dem nicht alles, was sie verbrauchen, zur Assimilation ver- wenden, sondern wo Kraft noch übrig bleibt, wo der Process noch etwas leistet, wie wir uns auszudrücken gewohnt sind, indem wir die Assimilation blos als Vorbedingung des letzteren Geschehens, der Leistung, würdigen. So leistet die Flamme ausser der Uebercompensation in der Assimilation noch die Bildung von Wärme, welche nicht zur Assimilation verwen- det, sondern an die Umgebung abgegeben wird, und ausser- dem producirt sie noch das Licht. Diese Leistungen nützen ihr nichts, sondern sind vielmehr für die Assimilation und die Dauerfähigkeit ein Verlust, eine unnöthige Ausgabe. Solche Processe müssen daher ceteris paribus jenen nachstehen, welche

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Zitationshilfe: Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/232>, abgerufen am 27.04.2024.