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Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.

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V. Ueber das Wesen des Organischen.
als in Abhängigkeit von dieser betrachtet werden müssen. Als
einfaches Grösserwerden kommt Wachsthum bekanntlich auch
bei den Anorganen vor, so bei den Krystallen, und ebenso
auch als Ausbreitung eines im Anfang auf ein kleineres Gebiet
beschränkten Processes auf grössere Dimensionen, wie bei der
Luftbewegung durch Insolation oder bei der Verdampfung oder
der Nebelbildung etc.

Aehnliches gilt von der Fortpflanzung, von dem sogenannten
Wachsthum über das individuelle Maass hinaus. Sie ist gleich-
falls abhängig von der Eigenschaft der Assimilation. --

Aber das zeitliche Verhalten der organischen
Processe
ist von grosser Bedeutung.

Die organischen Processe sind, soweit wir gegenwärtig ur-
theilen können, seit ihrer ersten Entstehung von ununterbrochener
Dauer gewesen. Wir sind gezwungen eine fortlaufende Con-
tinuität derselben vom Beginne an anzunehmen. Indessen es
giebt auch anorganische Processe, welche seit ihrer Entstehung
ewig continuirlich sind, wie das Organische, und nur in Inten-
sität und Ausbreitung wechseln. Ewig ununterbrochen ist die
Verwitterung an den Felsen, ewig ist der Wellenschlag des
Meeres, ewig verdampft das Wasser, ewig scheint die Sonne
seit ihrer Entstehung.

Dies beweist, dass die ewige Dauer, die Continuirlichkeit
des Geschehens, an sich nicht das Wesen des Organischen trifft;
und doch ist diese Dauer absolut nöthig. Denn wir wissen,
dass, wenn einmal die Continuität des Lebens wirklich unter-
brochen ist, sie durch nichts wieder hergestellt werden kann,
dass der Faden dauernd zu Ende ist. Niemand stellt heut zu
Tage in Abrede, dass die höheren Organismen continuirlich
sich von niederen, einfacheren und einfachsten abgeleitet haben.
Also müssen die organischen Processe dauerfähig gewesen sein.
Die ununterbrochene Dauerfähigkeit ist die erste Vorbedingung

V. Ueber das Wesen des Organischen.
als in Abhängigkeit von dieser betrachtet werden müssen. Als
einfaches Grösserwerden kommt Wachsthum bekanntlich auch
bei den Anorganen vor, so bei den Krystallen, und ebenso
auch als Ausbreitung eines im Anfang auf ein kleineres Gebiet
beschränkten Processes auf grössere Dimensionen, wie bei der
Luftbewegung durch Insolation oder bei der Verdampfung oder
der Nebelbildung etc.

Aehnliches gilt von der Fortpflanzung, von dem sogenannten
Wachsthum über das individuelle Maass hinaus. Sie ist gleich-
falls abhängig von der Eigenschaft der Assimilation. —

Aber das zeitliche Verhalten der organischen
Processe
ist von grosser Bedeutung.

Die organischen Processe sind, soweit wir gegenwärtig ur-
theilen können, seit ihrer ersten Entstehung von ununterbrochener
Dauer gewesen. Wir sind gezwungen eine fortlaufende Con-
tinuität derselben vom Beginne an anzunehmen. Indessen es
giebt auch anorganische Processe, welche seit ihrer Entstehung
ewig continuirlich sind, wie das Organische, und nur in Inten-
sität und Ausbreitung wechseln. Ewig ununterbrochen ist die
Verwitterung an den Felsen, ewig ist der Wellenschlag des
Meeres, ewig verdampft das Wasser, ewig scheint die Sonne
seit ihrer Entstehung.

Dies beweist, dass die ewige Dauer, die Continuirlichkeit
des Geschehens, an sich nicht das Wesen des Organischen trifft;
und doch ist diese Dauer absolut nöthig. Denn wir wissen,
dass, wenn einmal die Continuität des Lebens wirklich unter-
brochen ist, sie durch nichts wieder hergestellt werden kann,
dass der Faden dauernd zu Ende ist. Niemand stellt heut zu
Tage in Abrede, dass die höheren Organismen continuirlich
sich von niederen, einfacheren und einfachsten abgeleitet haben.
Also müssen die organischen Processe dauerfähig gewesen sein.
Die ununterbrochene Dauerfähigkeit ist die erste Vorbedingung

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[214/0228] V. Ueber das Wesen des Organischen. als in Abhängigkeit von dieser betrachtet werden müssen. Als einfaches Grösserwerden kommt Wachsthum bekanntlich auch bei den Anorganen vor, so bei den Krystallen, und ebenso auch als Ausbreitung eines im Anfang auf ein kleineres Gebiet beschränkten Processes auf grössere Dimensionen, wie bei der Luftbewegung durch Insolation oder bei der Verdampfung oder der Nebelbildung etc. Aehnliches gilt von der Fortpflanzung, von dem sogenannten Wachsthum über das individuelle Maass hinaus. Sie ist gleich- falls abhängig von der Eigenschaft der Assimilation. — Aber das zeitliche Verhalten der organischen Processe ist von grosser Bedeutung. Die organischen Processe sind, soweit wir gegenwärtig ur- theilen können, seit ihrer ersten Entstehung von ununterbrochener Dauer gewesen. Wir sind gezwungen eine fortlaufende Con- tinuität derselben vom Beginne an anzunehmen. Indessen es giebt auch anorganische Processe, welche seit ihrer Entstehung ewig continuirlich sind, wie das Organische, und nur in Inten- sität und Ausbreitung wechseln. Ewig ununterbrochen ist die Verwitterung an den Felsen, ewig ist der Wellenschlag des Meeres, ewig verdampft das Wasser, ewig scheint die Sonne seit ihrer Entstehung. Dies beweist, dass die ewige Dauer, die Continuirlichkeit des Geschehens, an sich nicht das Wesen des Organischen trifft; und doch ist diese Dauer absolut nöthig. Denn wir wissen, dass, wenn einmal die Continuität des Lebens wirklich unter- brochen ist, sie durch nichts wieder hergestellt werden kann, dass der Faden dauernd zu Ende ist. Niemand stellt heut zu Tage in Abrede, dass die höheren Organismen continuirlich sich von niederen, einfacheren und einfachsten abgeleitet haben. Also müssen die organischen Processe dauerfähig gewesen sein. Die ununterbrochene Dauerfähigkeit ist die erste Vorbedingung

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Zitationshilfe: Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/228>, abgerufen am 28.04.2024.