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Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.

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III. Nachweis der trophischen Wirkung der functionellen Reize.
witz.1). Die Verdünnung der compacten Knochen lässt sich
wohl eher nach dem Obigen auf mangelnden functionellen Reiz
infolge der Lähmung der Muskeln und dadurch bedingte unge-
nügende Wiederanbildung des physiologisch Resorbirten, auf
Inactivitätsatrophie zurückführen, als auf Wirkung besonderer
trophischer Nerven, für welche wir anatomisch kein Verständ-
niss haben könnten und physiologisch nicht wüssten, wo dieser
gestaltende Reiz producirt werden soll und wie er die richtigen
Gestaltungen hervorzubringen vermöchte. Die Selbstgestaltung
durch die Wirkung des functionellen Reizes erscheint dagegen
das Einfachste und Selbstverständlichste. Die Verdickung der
Knochenhaut mit unregelmässiger Knochenbildung lässt sich
wohl eher auf die nach Nervendurchschneidung eintretende Er-
weiterung der Blutgefässe zurückführen, denn es ist Veran-
lassung, den Knochen und den Bindesubstanzen die Fähigkeit
zuzuschreiben, bei vermehrter Blutzufuhr mehr zu wachsen.

Für unsere Ansicht spricht gewiss auch das Resultat von
Joseph2) und L. H. Schulz3), welche Fröschen nach Durch-
schneidung der Nerven eines Hinterbeines beide Hinterbeine zur
vollkommenen Ruhestellung eingypsten und danach in der That
an beiden Beinen die gleichen Veränderungen vorfanden. Ebenso
erklärt sich auch das Resultat von Schiff, dass nach Durch-
schneidung des Plexus ischiadicus (des Beinnervengeflechtes)
bei einem Frosche die Verdünnung der Beinknochen ausblieb,
welchen er sechs Monate lang täglich galvanisirte; denn da-
durch wurden die Muskeln täglich zur Contraction gebracht
und so vor Atrophie bewahrt und damit zugleich auch die
Knochen unter fast normalen functionellen Bedingungen, unter

1) Kassowitz, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1878. p. 790.
2) Joseph, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1871. p. 721, u. Archiv f.
Anat. u. Physiologie. 1872. p. 206.
3) L. Herm. Schulz, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1873. p. 708.

III. Nachweis der trophischen Wirkung der functionellen Reize.
witz.1). Die Verdünnung der compacten Knochen lässt sich
wohl eher nach dem Obigen auf mangelnden functionellen Reiz
infolge der Lähmung der Muskeln und dadurch bedingte unge-
nügende Wiederanbildung des physiologisch Resorbirten, auf
Inactivitätsatrophie zurückführen, als auf Wirkung besonderer
trophischer Nerven, für welche wir anatomisch kein Verständ-
niss haben könnten und physiologisch nicht wüssten, wo dieser
gestaltende Reiz producirt werden soll und wie er die richtigen
Gestaltungen hervorzubringen vermöchte. Die Selbstgestaltung
durch die Wirkung des functionellen Reizes erscheint dagegen
das Einfachste und Selbstverständlichste. Die Verdickung der
Knochenhaut mit unregelmässiger Knochenbildung lässt sich
wohl eher auf die nach Nervendurchschneidung eintretende Er-
weiterung der Blutgefässe zurückführen, denn es ist Veran-
lassung, den Knochen und den Bindesubstanzen die Fähigkeit
zuzuschreiben, bei vermehrter Blutzufuhr mehr zu wachsen.

Für unsere Ansicht spricht gewiss auch das Resultat von
Joseph2) und L. H. Schulz3), welche Fröschen nach Durch-
schneidung der Nerven eines Hinterbeines beide Hinterbeine zur
vollkommenen Ruhestellung eingypsten und danach in der That
an beiden Beinen die gleichen Veränderungen vorfanden. Ebenso
erklärt sich auch das Resultat von Schiff, dass nach Durch-
schneidung des Plexus ischiadicus (des Beinnervengeflechtes)
bei einem Frosche die Verdünnung der Beinknochen ausblieb,
welchen er sechs Monate lang täglich galvanisirte; denn da-
durch wurden die Muskeln täglich zur Contraction gebracht
und so vor Atrophie bewahrt und damit zugleich auch die
Knochen unter fast normalen functionellen Bedingungen, unter

1) Kassowitz, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1878. p. 790.
2) Joseph, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1871. p. 721, u. Archiv f.
Anat. u. Physiologie. 1872. p. 206.
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[126/0140] III. Nachweis der trophischen Wirkung der functionellen Reize. witz. 1). Die Verdünnung der compacten Knochen lässt sich wohl eher nach dem Obigen auf mangelnden functionellen Reiz infolge der Lähmung der Muskeln und dadurch bedingte unge- nügende Wiederanbildung des physiologisch Resorbirten, auf Inactivitätsatrophie zurückführen, als auf Wirkung besonderer trophischer Nerven, für welche wir anatomisch kein Verständ- niss haben könnten und physiologisch nicht wüssten, wo dieser gestaltende Reiz producirt werden soll und wie er die richtigen Gestaltungen hervorzubringen vermöchte. Die Selbstgestaltung durch die Wirkung des functionellen Reizes erscheint dagegen das Einfachste und Selbstverständlichste. Die Verdickung der Knochenhaut mit unregelmässiger Knochenbildung lässt sich wohl eher auf die nach Nervendurchschneidung eintretende Er- weiterung der Blutgefässe zurückführen, denn es ist Veran- lassung, den Knochen und den Bindesubstanzen die Fähigkeit zuzuschreiben, bei vermehrter Blutzufuhr mehr zu wachsen. Für unsere Ansicht spricht gewiss auch das Resultat von Joseph 2) und L. H. Schulz 3), welche Fröschen nach Durch- schneidung der Nerven eines Hinterbeines beide Hinterbeine zur vollkommenen Ruhestellung eingypsten und danach in der That an beiden Beinen die gleichen Veränderungen vorfanden. Ebenso erklärt sich auch das Resultat von Schiff, dass nach Durch- schneidung des Plexus ischiadicus (des Beinnervengeflechtes) bei einem Frosche die Verdünnung der Beinknochen ausblieb, welchen er sechs Monate lang täglich galvanisirte; denn da- durch wurden die Muskeln täglich zur Contraction gebracht und so vor Atrophie bewahrt und damit zugleich auch die Knochen unter fast normalen functionellen Bedingungen, unter 1) Kassowitz, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1878. p. 790. 2) Joseph, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1871. p. 721, u. Archiv f. Anat. u. Physiologie. 1872. p. 206. 3) L. Herm. Schulz, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1873. p. 708.

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Zitationshilfe: Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/140>, abgerufen am 24.11.2024.