Privatwaldbesitzers im Interesse des öffentlichen Wohles zu beschränken? -- ist es da nicht rathsam, da diese Strafen sich auch an keine Landesgrenze binden und auch den schuldlosen Grenznachbar treffen, daß sich die Regierungen Mitteleuropas über ein allgemeines Forstkulturgesetz berathen und einigen?
Und kommt uns nun das Waldgebirge nicht doppelt ehrwürdig vor, als vorhin? Der stille Tannenbestand, in dessen säulengetragenen Wipfeln wir unten das Flüstern der Abendluft kaum hören, der leuchtende Buchen- wald mit seinen weißen Schäften, der schwermüthige Fichtenbestand, der die kerzengeraden Stämme bis zum Boden hinab verhüllt -- sie alle sind die Hochwächter des Lebens und Gedeihens der Ebene.
Wir steigen nun noch höher hinauf und wir haben sehr aufzumerken, um die Grenze wahrzunehmen, die uns aus dem Gebirgswalde in den Alpenwald leitet. Jener ist in seinem Reiche ein ruhiger Gebieter, der seine Macht befestigt und sein Hauswesen wohl geordnet hat; der Alpen- wald ist ein rastlos Ringender, dem man es an tausend Wunden ansieht, daß er mit einem starken Gegner im stetem Kampfe liegt.
Hier oben herrschen die Naturgewalten, Lauinen und Erdrutsche, Hochgewitter und Runsen, und der Winde zügelloses Heer. Und gegen alle diese Feinde hat der Wald kaum Fläche genug, um festen Fuß zu fassen. Mühsam bohrt er seine Wurzelanker in die Felsenklüfte und streckt seine zerzausten Häupter über gähnende Abgründe oder duckt sich in lauschigen Thalkesselchen, wo der grüne Alpsee sein Bild abspiegelt.
Liegt auch dieser wunderreiche Kampfplatz, wo das Leben mit Zer- störung und Vernichtung ringt, großentheils auf schweizerischem Boden, so fällt doch ein gutes Theil auf das deutsche Gebiet; und brauchen wir denn, ja dürfen wir die von Menschen gemachten Grenzen anerkennen, wo es sich um Zusammengehöriges nach dem Gesetz der Natur handelt? Haben wir ja doch nach der uns klar gewordenen Bedeutung des Waldes ein Eigenthumsrecht an dem Walde der Schweizer, und die Bündner sündigen auch an uns, wenn sie ihre Alpenwaldungen verwüsten, denn sie berauben Rhein und Donau, und geben ihnen Steine für Wasser.
Alle einsichtsvollen schweizer Schriftsteller, voran Escher von der Linth, Tschudi und der Berner Cantonsforstmeister Marschand führen schwere Anklage gegen die Wirthschaft in den Alpenwäldern. Marschand
Privatwaldbeſitzers im Intereſſe des öffentlichen Wohles zu beſchränken? — iſt es da nicht rathſam, da dieſe Strafen ſich auch an keine Landesgrenze binden und auch den ſchuldloſen Grenznachbar treffen, daß ſich die Regierungen Mitteleuropas über ein allgemeines Forſtkulturgeſetz berathen und einigen?
Und kommt uns nun das Waldgebirge nicht doppelt ehrwürdig vor, als vorhin? Der ſtille Tannenbeſtand, in deſſen ſäulengetragenen Wipfeln wir unten das Flüſtern der Abendluft kaum hören, der leuchtende Buchen- wald mit ſeinen weißen Schäften, der ſchwermüthige Fichtenbeſtand, der die kerzengeraden Stämme bis zum Boden hinab verhüllt — ſie alle ſind die Hochwächter des Lebens und Gedeihens der Ebene.
Wir ſteigen nun noch höher hinauf und wir haben ſehr aufzumerken, um die Grenze wahrzunehmen, die uns aus dem Gebirgswalde in den Alpenwald leitet. Jener iſt in ſeinem Reiche ein ruhiger Gebieter, der ſeine Macht befeſtigt und ſein Hausweſen wohl geordnet hat; der Alpen- wald iſt ein raſtlos Ringender, dem man es an tauſend Wunden anſieht, daß er mit einem ſtarken Gegner im ſtetem Kampfe liegt.
Hier oben herrſchen die Naturgewalten, Lauinen und Erdrutſche, Hochgewitter und Runſen, und der Winde zügelloſes Heer. Und gegen alle dieſe Feinde hat der Wald kaum Fläche genug, um feſten Fuß zu faſſen. Mühſam bohrt er ſeine Wurzelanker in die Felſenklüfte und ſtreckt ſeine zerzauſten Häupter über gähnende Abgründe oder duckt ſich in lauſchigen Thalkeſſelchen, wo der grüne Alpſee ſein Bild abſpiegelt.
Liegt auch dieſer wunderreiche Kampfplatz, wo das Leben mit Zer- ſtörung und Vernichtung ringt, großentheils auf ſchweizeriſchem Boden, ſo fällt doch ein gutes Theil auf das deutſche Gebiet; und brauchen wir denn, ja dürfen wir die von Menſchen gemachten Grenzen anerkennen, wo es ſich um Zuſammengehöriges nach dem Geſetz der Natur handelt? Haben wir ja doch nach der uns klar gewordenen Bedeutung des Waldes ein Eigenthumsrecht an dem Walde der Schweizer, und die Bündner ſündigen auch an uns, wenn ſie ihre Alpenwaldungen verwüſten, denn ſie berauben Rhein und Donau, und geben ihnen Steine für Waſſer.
Alle einſichtsvollen ſchweizer Schriftſteller, voran Eſcher von der Linth, Tſchudi und der Berner Cantonsforſtmeiſter Marſchand führen ſchwere Anklage gegen die Wirthſchaft in den Alpenwäldern. Marſchand
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Privatwaldbeſitzers im Intereſſe des öffentlichen Wohles zu beſchränken? —
iſt es da nicht rathſam, da dieſe Strafen ſich auch an keine Landesgrenze
binden und auch den ſchuldloſen Grenznachbar treffen, daß ſich die
Regierungen Mitteleuropas über ein allgemeines Forſtkulturgeſetz berathen
und einigen?
Und kommt uns nun das Waldgebirge nicht doppelt ehrwürdig vor,
als vorhin? Der ſtille Tannenbeſtand, in deſſen ſäulengetragenen Wipfeln
wir unten das Flüſtern der Abendluft kaum hören, der leuchtende Buchen-
wald mit ſeinen weißen Schäften, der ſchwermüthige Fichtenbeſtand, der
die kerzengeraden Stämme bis zum Boden hinab verhüllt — ſie alle ſind
die Hochwächter des Lebens und Gedeihens der Ebene.
Wir ſteigen nun noch höher hinauf und wir haben ſehr aufzumerken,
um die Grenze wahrzunehmen, die uns aus dem Gebirgswalde in den
Alpenwald leitet. Jener iſt in ſeinem Reiche ein ruhiger Gebieter, der
ſeine Macht befeſtigt und ſein Hausweſen wohl geordnet hat; der Alpen-
wald iſt ein raſtlos Ringender, dem man es an tauſend Wunden anſieht,
daß er mit einem ſtarken Gegner im ſtetem Kampfe liegt.
Hier oben herrſchen die Naturgewalten, Lauinen und Erdrutſche,
Hochgewitter und Runſen, und der Winde zügelloſes Heer. Und gegen alle
dieſe Feinde hat der Wald kaum Fläche genug, um feſten Fuß zu faſſen.
Mühſam bohrt er ſeine Wurzelanker in die Felſenklüfte und ſtreckt ſeine
zerzauſten Häupter über gähnende Abgründe oder duckt ſich in lauſchigen
Thalkeſſelchen, wo der grüne Alpſee ſein Bild abſpiegelt.
Liegt auch dieſer wunderreiche Kampfplatz, wo das Leben mit Zer-
ſtörung und Vernichtung ringt, großentheils auf ſchweizeriſchem Boden,
ſo fällt doch ein gutes Theil auf das deutſche Gebiet; und brauchen wir
denn, ja dürfen wir die von Menſchen gemachten Grenzen anerkennen,
wo es ſich um Zuſammengehöriges nach dem Geſetz der Natur handelt?
Haben wir ja doch nach der uns klar gewordenen Bedeutung des Waldes
ein Eigenthumsrecht an dem Walde der Schweizer, und die Bündner
ſündigen auch an uns, wenn ſie ihre Alpenwaldungen verwüſten, denn ſie
berauben Rhein und Donau, und geben ihnen Steine für Waſſer.
Alle einſichtsvollen ſchweizer Schriftſteller, voran Eſcher von der
Linth, Tſchudi und der Berner Cantonsforſtmeiſter Marſchand führen
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 573. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/629>, abgerufen am 12.12.2024.
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