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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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weil von ihr in Deutschland nur einige wenige Beispiele vorkommen, die
jedoch ihrer absonderlichen Erscheinung wegen eine besondere Benennung
verdient. Wenn ich als solche Bruchwald vorschlage, so weiß ich recht
wohl, daß ich darin der gewöhnlichen Auffassung eines Bruches nicht
ganz entspreche, worunter man sich eine fast baumlose, moorige, von
Wasserspiegeln durchzogene Fläche denkt. Durch eine Schilderung des
Spreewaldes, welcher mir die Veranlassung zu der Hervorhebung dieser
besonderen Waldform giebt, wird der Begriff derselben am besten hervor-
gehen. Der Spreewald ist ein mehrere Geviertmeilen großes Gebiet
zwischen Kottbus und Lübben in der preuß. Provinz Brandenburg, in
welchem sich die Spree in ein Netz zahlloser Arme und Wasseradern
zerspaltet. Auf der langen Strecke von neun Meilen zeigt sich der träge
rinnende Fluß in ersichtlicher Verlegenheit über den einzuschlagenden Weg,
indem er bald hier- bald dorthin einen Zweig abschickt. Die dadurch ent-
stehenden Inseln von zum Theil fast vollkommener Ebene sind großen-
theils reich bewaldet und außerdem mit Wiesen und Feldfluren bedeckt.
Der Spreewald ist daher eine Fläche, auf welcher der Gebrauch des
Wagens eben so unnöthig, wie unmöglich ist; er bildet ein vielfach sich
verzweigendes Kanalsystem, dessen Arme einem Blattadernetz gleich hundert-
fältig in einander einmünden. Es ist ein Venedig des Waldes. Der
Jäger beschleicht das Wild im Nachen, den er mit lautlosen Ruderschlägen
lenkt, wie das Vieh im Nachen zur Weide und das Heu in die Speicher
geführt wird. Nur wenn der Winter die flüssigen Wege gefestigt hat, ist
die Holzabfuhre auf dem Eise möglich. Auf dem Nachen fahren die Kinder,
geborne Matrosen, zur Schule, die Alten zur Kirche. Alle unsere deutschen
Laubbäume sind hier in Prachtexemplaren heimisch; auf etwas trockenen
Stellen findet sich sogar Nadelholz ein. Auf kleinen natürlichen Er-
höhungen liegen im Schatten mächtiger Bäume die ländlichen Güter wie
kleine Burgen von einem Wallgraben umflossen.

Wer denkt bei dieser Waldform nicht an die Schilderungen Humboldts
und Schomburgks von den Reisen durch die Urwälder des nördlichen Süd-
amerika, wo die zahlreichen Wasseradern auch die einzigen Straßen bilden.

Aehnliche Waldverhältnisse, wenn auch nur in geringem Umfange,
kommen in der nordostdeutschen Ebene mehrfältig vor. Sie sind wahr-
scheinlich überall, wie es von dem Spreewald nachweisbar ist, die Ueber-

weil von ihr in Deutſchland nur einige wenige Beiſpiele vorkommen, die
jedoch ihrer abſonderlichen Erſcheinung wegen eine beſondere Benennung
verdient. Wenn ich als ſolche Bruchwald vorſchlage, ſo weiß ich recht
wohl, daß ich darin der gewöhnlichen Auffaſſung eines Bruches nicht
ganz entſpreche, worunter man ſich eine faſt baumloſe, moorige, von
Waſſerſpiegeln durchzogene Fläche denkt. Durch eine Schilderung des
Spreewaldes, welcher mir die Veranlaſſung zu der Hervorhebung dieſer
beſonderen Waldform giebt, wird der Begriff derſelben am beſten hervor-
gehen. Der Spreewald iſt ein mehrere Geviertmeilen großes Gebiet
zwiſchen Kottbus und Lübben in der preuß. Provinz Brandenburg, in
welchem ſich die Spree in ein Netz zahlloſer Arme und Waſſeradern
zerſpaltet. Auf der langen Strecke von neun Meilen zeigt ſich der träge
rinnende Fluß in erſichtlicher Verlegenheit über den einzuſchlagenden Weg,
indem er bald hier- bald dorthin einen Zweig abſchickt. Die dadurch ent-
ſtehenden Inſeln von zum Theil faſt vollkommener Ebene ſind großen-
theils reich bewaldet und außerdem mit Wieſen und Feldfluren bedeckt.
Der Spreewald iſt daher eine Fläche, auf welcher der Gebrauch des
Wagens eben ſo unnöthig, wie unmöglich iſt; er bildet ein vielfach ſich
verzweigendes Kanalſyſtem, deſſen Arme einem Blattadernetz gleich hundert-
fältig in einander einmünden. Es iſt ein Venedig des Waldes. Der
Jäger beſchleicht das Wild im Nachen, den er mit lautloſen Ruderſchlägen
lenkt, wie das Vieh im Nachen zur Weide und das Heu in die Speicher
geführt wird. Nur wenn der Winter die flüſſigen Wege gefeſtigt hat, iſt
die Holzabfuhre auf dem Eiſe möglich. Auf dem Nachen fahren die Kinder,
geborne Matroſen, zur Schule, die Alten zur Kirche. Alle unſere deutſchen
Laubbäume ſind hier in Prachtexemplaren heimiſch; auf etwas trockenen
Stellen findet ſich ſogar Nadelholz ein. Auf kleinen natürlichen Er-
höhungen liegen im Schatten mächtiger Bäume die ländlichen Güter wie
kleine Burgen von einem Wallgraben umfloſſen.

Wer denkt bei dieſer Waldform nicht an die Schilderungen Humboldts
und Schomburgks von den Reiſen durch die Urwälder des nördlichen Süd-
amerika, wo die zahlreichen Waſſeradern auch die einzigen Straßen bilden.

Aehnliche Waldverhältniſſe, wenn auch nur in geringem Umfange,
kommen in der nordoſtdeutſchen Ebene mehrfältig vor. Sie ſind wahr-
ſcheinlich überall, wie es von dem Spreewald nachweisbar iſt, die Ueber-

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[562/0618] weil von ihr in Deutſchland nur einige wenige Beiſpiele vorkommen, die jedoch ihrer abſonderlichen Erſcheinung wegen eine beſondere Benennung verdient. Wenn ich als ſolche Bruchwald vorſchlage, ſo weiß ich recht wohl, daß ich darin der gewöhnlichen Auffaſſung eines Bruches nicht ganz entſpreche, worunter man ſich eine faſt baumloſe, moorige, von Waſſerſpiegeln durchzogene Fläche denkt. Durch eine Schilderung des Spreewaldes, welcher mir die Veranlaſſung zu der Hervorhebung dieſer beſonderen Waldform giebt, wird der Begriff derſelben am beſten hervor- gehen. Der Spreewald iſt ein mehrere Geviertmeilen großes Gebiet zwiſchen Kottbus und Lübben in der preuß. Provinz Brandenburg, in welchem ſich die Spree in ein Netz zahlloſer Arme und Waſſeradern zerſpaltet. Auf der langen Strecke von neun Meilen zeigt ſich der träge rinnende Fluß in erſichtlicher Verlegenheit über den einzuſchlagenden Weg, indem er bald hier- bald dorthin einen Zweig abſchickt. Die dadurch ent- ſtehenden Inſeln von zum Theil faſt vollkommener Ebene ſind großen- theils reich bewaldet und außerdem mit Wieſen und Feldfluren bedeckt. Der Spreewald iſt daher eine Fläche, auf welcher der Gebrauch des Wagens eben ſo unnöthig, wie unmöglich iſt; er bildet ein vielfach ſich verzweigendes Kanalſyſtem, deſſen Arme einem Blattadernetz gleich hundert- fältig in einander einmünden. Es iſt ein Venedig des Waldes. Der Jäger beſchleicht das Wild im Nachen, den er mit lautloſen Ruderſchlägen lenkt, wie das Vieh im Nachen zur Weide und das Heu in die Speicher geführt wird. Nur wenn der Winter die flüſſigen Wege gefeſtigt hat, iſt die Holzabfuhre auf dem Eiſe möglich. Auf dem Nachen fahren die Kinder, geborne Matroſen, zur Schule, die Alten zur Kirche. Alle unſere deutſchen Laubbäume ſind hier in Prachtexemplaren heimiſch; auf etwas trockenen Stellen findet ſich ſogar Nadelholz ein. Auf kleinen natürlichen Er- höhungen liegen im Schatten mächtiger Bäume die ländlichen Güter wie kleine Burgen von einem Wallgraben umfloſſen. Wer denkt bei dieſer Waldform nicht an die Schilderungen Humboldts und Schomburgks von den Reiſen durch die Urwälder des nördlichen Süd- amerika, wo die zahlreichen Waſſeradern auch die einzigen Straßen bilden. Aehnliche Waldverhältniſſe, wenn auch nur in geringem Umfange, kommen in der nordoſtdeutſchen Ebene mehrfältig vor. Sie ſind wahr- ſcheinlich überall, wie es von dem Spreewald nachweisbar iſt, die Ueber-

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 562. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/618>, abgerufen am 24.11.2024.