der Tyroler, der Schwarzwälder und der Bewohner des Riesengebirges? Es ist namentlich der Arve und das Knieholz, welche den Stoff dazu liefern. So übt denn auch in dieser Hinsicht der Nadelwald einen mäch- tigen Einfluß auf die Gewerbthätigkeit des Menschen.
Wenn wir vorhin sahen, daß die Nadelhölzer einen größeren Einfluß auf den Volkscharakter ausüben, als die Laubhölzer, so liegt der Grund davon allerdings nicht allein in den Nadelbäumen selbst, sondern zum Theil auch in der begleitenden Erscheinung, daß die Nadelbäume zum großen Theil Gebirgsbewohner sind und es ist also ein Theil des Charakters und der Gemüthsstimmung der Nadelwald-Bewohner auf Rechnung der klimatischen und geographischen Einflüsse zu schreiben, wie sich diese im Gebirge anders als in der Ebene gestalten. Aber auf eine Erscheinung muß hier noch aufmerksam gemacht werden, welche sicher nicht ohne Einfluß auf den Gebirgsvolkscharakter ist, und welcher un- mittelbar mit den Nadelbäumen im Zusammenhange steht. Diese Er- scheinung liegt darin, daß überall da, wo Nadelbäume überwiegend vor- herrschen, die Gegensätzlichkeit der Jahreszeiten weniger grell hervortritt, als da, wo das Laubholz das Regiment führt. Wenn wir die weiße Schneedecke des Winters abrechnen, so ist in einer Gegend, wo man ringsum nichts als Nadelbäume sieht, von einem Jahreszeitenwechsel nicht in dem Sinne die Rede, wie an Orten, wo das Laubholz herrschend ist. Diese ewige, ruhige Gleichheit ist ohne Zweifel von außerordentlich großem Einfluß auf die geistige und Gemüthsstille, wie sie sich bei den Gebirgsbewohnern findet. Diese sind der treue Abdruck ihres ihnen immer treubleibenden Nadelgrün.
Um sich der Macht des Eindrucks der landschaftlichen Umgebung auf das Gemüth und mit der Dauer auch auf den Charakter der Men- schen klar zu werden, ist sicher kein besseres Mittel, als wenn man sich einzelne besonders hervorragende Fälle vor Augen hält, in welchen eine plötzliche Versetzung eines Menschen aus seinen gewöhnlichen Pflanzenum- gebungen in völlig andere stattgefunden hat. Alexander von Humboldt erzählt in seinen "Ansichten der Natur" (Band 2. Seite 206) einen solchen Fall, der von höchstem Interesse und sehr geeignet ist, die Größe dieses Einflusses thatsächlich zu beweisen. Humboldt sagt an der ange- führten Stelle: "Ich bin Augenzeuge von dem sonderbaren, beängstigenden
der Tyroler, der Schwarzwälder und der Bewohner des Rieſengebirges? Es iſt namentlich der Arve und das Knieholz, welche den Stoff dazu liefern. So übt denn auch in dieſer Hinſicht der Nadelwald einen mäch- tigen Einfluß auf die Gewerbthätigkeit des Menſchen.
Wenn wir vorhin ſahen, daß die Nadelhölzer einen größeren Einfluß auf den Volkscharakter ausüben, als die Laubhölzer, ſo liegt der Grund davon allerdings nicht allein in den Nadelbäumen ſelbſt, ſondern zum Theil auch in der begleitenden Erſcheinung, daß die Nadelbäume zum großen Theil Gebirgsbewohner ſind und es iſt alſo ein Theil des Charakters und der Gemüthsſtimmung der Nadelwald-Bewohner auf Rechnung der klimatiſchen und geographiſchen Einflüſſe zu ſchreiben, wie ſich dieſe im Gebirge anders als in der Ebene geſtalten. Aber auf eine Erſcheinung muß hier noch aufmerkſam gemacht werden, welche ſicher nicht ohne Einfluß auf den Gebirgsvolkscharakter iſt, und welcher un- mittelbar mit den Nadelbäumen im Zuſammenhange ſteht. Dieſe Er- ſcheinung liegt darin, daß überall da, wo Nadelbäume überwiegend vor- herrſchen, die Gegenſätzlichkeit der Jahreszeiten weniger grell hervortritt, als da, wo das Laubholz das Regiment führt. Wenn wir die weiße Schneedecke des Winters abrechnen, ſo iſt in einer Gegend, wo man ringsum nichts als Nadelbäume ſieht, von einem Jahreszeitenwechſel nicht in dem Sinne die Rede, wie an Orten, wo das Laubholz herrſchend iſt. Dieſe ewige, ruhige Gleichheit iſt ohne Zweifel von außerordentlich großem Einfluß auf die geiſtige und Gemüthsſtille, wie ſie ſich bei den Gebirgsbewohnern findet. Dieſe ſind der treue Abdruck ihres ihnen immer treubleibenden Nadelgrün.
Um ſich der Macht des Eindrucks der landſchaftlichen Umgebung auf das Gemüth und mit der Dauer auch auf den Charakter der Men- ſchen klar zu werden, iſt ſicher kein beſſeres Mittel, als wenn man ſich einzelne beſonders hervorragende Fälle vor Augen hält, in welchen eine plötzliche Verſetzung eines Menſchen aus ſeinen gewöhnlichen Pflanzenum- gebungen in völlig andere ſtattgefunden hat. Alexander von Humboldt erzählt in ſeinen „Anſichten der Natur“ (Band 2. Seite 206) einen ſolchen Fall, der von höchſtem Intereſſe und ſehr geeignet iſt, die Größe dieſes Einfluſſes thatſächlich zu beweiſen. Humboldt ſagt an der ange- führten Stelle: „Ich bin Augenzeuge von dem ſonderbaren, beängſtigenden
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der Tyroler, der Schwarzwälder und der Bewohner des Rieſengebirges?
Es iſt namentlich der Arve und das Knieholz, welche den Stoff dazu
liefern. So übt denn auch in dieſer Hinſicht der Nadelwald einen mäch-
tigen Einfluß auf die Gewerbthätigkeit des Menſchen.
Wenn wir vorhin ſahen, daß die Nadelhölzer einen größeren Einfluß
auf den Volkscharakter ausüben, als die Laubhölzer, ſo liegt der Grund
davon allerdings nicht allein in den Nadelbäumen ſelbſt, ſondern zum
Theil auch in der begleitenden Erſcheinung, daß die Nadelbäume zum
großen Theil Gebirgsbewohner ſind und es iſt alſo ein Theil des
Charakters und der Gemüthsſtimmung der Nadelwald-Bewohner auf
Rechnung der klimatiſchen und geographiſchen Einflüſſe zu ſchreiben, wie
ſich dieſe im Gebirge anders als in der Ebene geſtalten. Aber auf eine
Erſcheinung muß hier noch aufmerkſam gemacht werden, welche ſicher
nicht ohne Einfluß auf den Gebirgsvolkscharakter iſt, und welcher un-
mittelbar mit den Nadelbäumen im Zuſammenhange ſteht. Dieſe Er-
ſcheinung liegt darin, daß überall da, wo Nadelbäume überwiegend vor-
herrſchen, die Gegenſätzlichkeit der Jahreszeiten weniger grell hervortritt,
als da, wo das Laubholz das Regiment führt. Wenn wir die weiße
Schneedecke des Winters abrechnen, ſo iſt in einer Gegend, wo man
ringsum nichts als Nadelbäume ſieht, von einem Jahreszeitenwechſel
nicht in dem Sinne die Rede, wie an Orten, wo das Laubholz herrſchend
iſt. Dieſe ewige, ruhige Gleichheit iſt ohne Zweifel von außerordentlich
großem Einfluß auf die geiſtige und Gemüthsſtille, wie ſie ſich bei den
Gebirgsbewohnern findet. Dieſe ſind der treue Abdruck ihres ihnen
immer treubleibenden Nadelgrün.
Um ſich der Macht des Eindrucks der landſchaftlichen Umgebung
auf das Gemüth und mit der Dauer auch auf den Charakter der Men-
ſchen klar zu werden, iſt ſicher kein beſſeres Mittel, als wenn man ſich
einzelne beſonders hervorragende Fälle vor Augen hält, in welchen eine
plötzliche Verſetzung eines Menſchen aus ſeinen gewöhnlichen Pflanzenum-
gebungen in völlig andere ſtattgefunden hat. Alexander von Humboldt
erzählt in ſeinen „Anſichten der Natur“ (Band 2. Seite 206) einen
ſolchen Fall, der von höchſtem Intereſſe und ſehr geeignet iſt, die Größe
dieſes Einfluſſes thatſächlich zu beweiſen. Humboldt ſagt an der ange-
führten Stelle: „Ich bin Augenzeuge von dem ſonderbaren, beängſtigenden
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/276>, abgerufen am 22.12.2024.
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