lichen Beschreibung der einzelnen Waldbäume werden wir solchen leben- digen Geschichtsdenkmalen unsere Beachtung zuwenden.
So hat denn der Schwede Agardh vielleicht Recht indem er sagt: "wenn in der Pflanze mit jedem Sonnenjahre sich neue Theile erzeugen, und die älteren, erhärteten durch neue, der Saftführung fähige, ersetzt werden, so entsteht das Bild eines Wachsthums, welches nur äußere Ursachen begränzen"; und wenn Derselbe weiter die kurze Lebensdauer der Kräuter von dem "Uebergewicht des Blühens und Fruchtansetzens über die Blattbildung" herleitet, so findet dies seine Bestätigung darin, daß man schwächliche Kräuter durch fortgesetztes Hindern am Blühen und Fruchttragen (indem man jede junge Blüthenknospe entfernt) zu mehr- jährigen Bäumchen zwingen kann, wie es z. B. mit der Reseda geschehen ist und wie es Endlicher von einem Luzernestock (Medicago sativa var. versicolor) erzählt, der 80 Jahre alt wurde, weil er keine Früchte trug.
Lassen wir uns nun noch für die Betrachtung der Baum-Architektonik durch die folgende Schilderung eines deutschen Urwaldes weihen, welche Wessely in seinem lehrreichen Buche über die österreichischen Alpenwälder*) mittheilt. Denn es giebt noch Waldorte in Deutschland, wo noch nie die Axt des Holzfällers ertönte und denen man mit Bestimmtheit ansieht, daß sie keines Menschen Hand säete oder pflanzte. Der beschriebene Urwald liegt im Erzherzogthum Unterösterreich in den hintersten Quell- schluchten der Mürz und heißt seinem Uralter zum Trotz der Neuwald.
"Höchst merkwürdig ist der große, üppige und wohlgeschützte Kessel dieser unabsehbaren Waldwüste. Ein Bild großartiger Schöpfung und prachtvoller Wildniß überwältigt er auch das starrste Gemüth mit scheuer Ehrfurcht vor den gewaltigen Werken Gottes. -- Die Natur, welche hier seit den Tagen der jetzigen Weltgestaltung allein und ungestört waltete, hat da ein Unglaubliches an vegetativer Kraft und Erzeugung zusammen- gehäuft, sie hat hier Anfang und Vollendung, pflanzliches Leben und Tod in riesenhaften Formen überraschend nebeneinander geordnet.
Die Fichten, die Tannen und selbst die Lärchen dieses Kessels er- reichen eine Länge von 150--200, eine untere Stammstärke von 5--8 und
*) Die österreichischen Alpenländer und ihre Forste. Geschildert von Joseph Wessely. Wien 1853 bei W. Braumüller.
lichen Beſchreibung der einzelnen Waldbäume werden wir ſolchen leben- digen Geſchichtsdenkmalen unſere Beachtung zuwenden.
So hat denn der Schwede Agardh vielleicht Recht indem er ſagt: „wenn in der Pflanze mit jedem Sonnenjahre ſich neue Theile erzeugen, und die älteren, erhärteten durch neue, der Saftführung fähige, erſetzt werden, ſo entſteht das Bild eines Wachsthums, welches nur äußere Urſachen begränzen“; und wenn Derſelbe weiter die kurze Lebensdauer der Kräuter von dem „Uebergewicht des Blühens und Fruchtanſetzens über die Blattbildung“ herleitet, ſo findet dies ſeine Beſtätigung darin, daß man ſchwächliche Kräuter durch fortgeſetztes Hindern am Blühen und Fruchttragen (indem man jede junge Blüthenknospe entfernt) zu mehr- jährigen Bäumchen zwingen kann, wie es z. B. mit der Reſeda geſchehen iſt und wie es Endlicher von einem Luzerneſtock (Medicago sativa var. versicolor) erzählt, der 80 Jahre alt wurde, weil er keine Früchte trug.
Laſſen wir uns nun noch für die Betrachtung der Baum-Architektonik durch die folgende Schilderung eines deutſchen Urwaldes weihen, welche Weſſely in ſeinem lehrreichen Buche über die öſterreichiſchen Alpenwälder*) mittheilt. Denn es giebt noch Waldorte in Deutſchland, wo noch nie die Axt des Holzfällers ertönte und denen man mit Beſtimmtheit anſieht, daß ſie keines Menſchen Hand ſäete oder pflanzte. Der beſchriebene Urwald liegt im Erzherzogthum Unteröſterreich in den hinterſten Quell- ſchluchten der Mürz und heißt ſeinem Uralter zum Trotz der Neuwald.
„Höchſt merkwürdig iſt der große, üppige und wohlgeſchützte Keſſel dieſer unabſehbaren Waldwüſte. Ein Bild großartiger Schöpfung und prachtvoller Wildniß überwältigt er auch das ſtarrſte Gemüth mit ſcheuer Ehrfurcht vor den gewaltigen Werken Gottes. — Die Natur, welche hier ſeit den Tagen der jetzigen Weltgeſtaltung allein und ungeſtört waltete, hat da ein Unglaubliches an vegetativer Kraft und Erzeugung zuſammen- gehäuft, ſie hat hier Anfang und Vollendung, pflanzliches Leben und Tod in rieſenhaften Formen überraſchend nebeneinander geordnet.
Die Fichten, die Tannen und ſelbſt die Lärchen dieſes Keſſels er- reichen eine Länge von 150—200, eine untere Stammſtärke von 5—8 und
*) Die öſterreichiſchen Alpenländer und ihre Forſte. Geſchildert von Joſeph Weſſely. Wien 1853 bei W. Braumüller.
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lichen Beſchreibung der einzelnen Waldbäume werden wir ſolchen leben-
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So hat denn der Schwede Agardh vielleicht Recht indem er ſagt:
„wenn in der Pflanze mit jedem Sonnenjahre ſich neue Theile erzeugen,
und die älteren, erhärteten durch neue, der Saftführung fähige, erſetzt
werden, ſo entſteht das Bild eines Wachsthums, welches nur äußere
Urſachen begränzen“; und wenn Derſelbe weiter die kurze Lebensdauer
der Kräuter von dem „Uebergewicht des Blühens und Fruchtanſetzens
über die Blattbildung“ herleitet, ſo findet dies ſeine Beſtätigung darin,
daß man ſchwächliche Kräuter durch fortgeſetztes Hindern am Blühen und
Fruchttragen (indem man jede junge Blüthenknospe entfernt) zu mehr-
jährigen Bäumchen zwingen kann, wie es z. B. mit der Reſeda geſchehen
iſt und wie es Endlicher von einem Luzerneſtock (Medicago sativa var.
versicolor) erzählt, der 80 Jahre alt wurde, weil er keine Früchte trug.
Laſſen wir uns nun noch für die Betrachtung der Baum-Architektonik
durch die folgende Schilderung eines deutſchen Urwaldes weihen,
welche Weſſely in ſeinem lehrreichen Buche über die öſterreichiſchen
Alpenwälder *) mittheilt. Denn es giebt noch Waldorte in Deutſchland, wo
noch nie die Axt des Holzfällers ertönte und denen man mit Beſtimmtheit
anſieht, daß ſie keines Menſchen Hand ſäete oder pflanzte. Der beſchriebene
Urwald liegt im Erzherzogthum Unteröſterreich in den hinterſten Quell-
ſchluchten der Mürz und heißt ſeinem Uralter zum Trotz der Neuwald.
„Höchſt merkwürdig iſt der große, üppige und wohlgeſchützte Keſſel
dieſer unabſehbaren Waldwüſte. Ein Bild großartiger Schöpfung und
prachtvoller Wildniß überwältigt er auch das ſtarrſte Gemüth mit ſcheuer
Ehrfurcht vor den gewaltigen Werken Gottes. — Die Natur, welche hier
ſeit den Tagen der jetzigen Weltgeſtaltung allein und ungeſtört waltete,
hat da ein Unglaubliches an vegetativer Kraft und Erzeugung zuſammen-
gehäuft, ſie hat hier Anfang und Vollendung, pflanzliches Leben und
Tod in rieſenhaften Formen überraſchend nebeneinander geordnet.
Die Fichten, die Tannen und ſelbſt die Lärchen dieſes Keſſels er-
reichen eine Länge von 150—200, eine untere Stammſtärke von 5—8 und
*) Die öſterreichiſchen Alpenländer und ihre Forſte. Geſchildert von Joſeph Weſſely.
Wien 1853 bei W. Braumüller.
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/229>, abgerufen am 22.12.2024.
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