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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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nach der Verholzung sich in der Länge noch etwas ausdehnen. Die
Kiefernnadeln fallen gewöhnlich im dritten Jahre ab. Doch ist dieses
theils nach dem Boden, nach dem dichteren oder räumlicheren Stande
und nach dem Alter des Baumes verschieden. Es ist daher das Wort
immergrün einfach wörtlich zu nehmen, d. h. daß die Nadelhölzer, mit
Ausnahme der Lärche, immer grün sind, nicht so als verlieren sie gar
niemals ihre Nadeln. Es ist dasselbe wie mit dem "ewigen Schnee", was
auch nur heißen soll: von einer gewissen Sehhöhe an liegt ewig (immer)
Schnee, aber niemals unveränderlich derselbe.

Was nun das Winterleben der Bäume betrifft, so bietet dasselbe,
wenn wir uns nicht in die Feinheiten des noch sehr mangelhaft bekannten
unmittelbaren Einflusses der Wärme auf das Zellenleben einlassen wollen --
was hier nicht am Orte sein würde -- für unsere Betrachtung des Waldes
wenig Berührungspunkte. In der Hauptsache ruht, wie der Augenschein
lehrt, während des Frostes das Leben des Baumes; es ist jedoch sehr
wahrscheinlich und zum Theil durch Beobachtungen auch nachgewiesen,
daß mitten in den Wintermonaten bei zeitweilig eintretenden Wärme-
graden das innere Leben erwacht. Es ist also der Winterschlaf der Bäume
nicht an die Zeit gebunden, sondern durch chemische und physikalische
Faktoren bedingt, unter denen die Wärme einer der einflußreichsten ist.

Wir sehen zwar in unseren Waldungen im Ganzen wenig von Frost-
schäden, jedoch kommen deren in jedem strengeren Winter eine Menge
geringfügiger und daher meist übersehener vor und es hat schon Winter
gegeben, unter denen der von 1788 auf 1789 der verrufenste ist, wo viele
alte Bäume, namentlich Tannen, Buchen und Eichen ganz erfroren sind.

Daß bei starker Kälte und zwar sehr oft ohne den Tod herbeizu-
führen der Saft der Bäume gefriert und durch Zusammenziehen des
Holzes an starken Stämmen, namentlich an Laubholzbäumen Frostrisse
entstehen ist eine jetzt nicht mehr in Zweifel zu ziehende Thatsache. Noch
vollkommen ruhende Knospen scheinen selbst von starkem Froste oft nicht
zu leiden. Den auch im Winter belaubten Nadelhölzern ist starker Frost
nicht ganz unschädlich, was das Gelbwerden der Nadeln junger Fichten
beweist. Dabei sind sie dann wie andere Bäume vor dem Nachtheile der
Kälte mehr geschützt, wenn sie während des Winters nicht von der Sonne
beschienen werden können.

nach der Verholzung ſich in der Länge noch etwas ausdehnen. Die
Kiefernnadeln fallen gewöhnlich im dritten Jahre ab. Doch iſt dieſes
theils nach dem Boden, nach dem dichteren oder räumlicheren Stande
und nach dem Alter des Baumes verſchieden. Es iſt daher das Wort
immergrün einfach wörtlich zu nehmen, d. h. daß die Nadelhölzer, mit
Ausnahme der Lärche, immer grün ſind, nicht ſo als verlieren ſie gar
niemals ihre Nadeln. Es iſt daſſelbe wie mit dem „ewigen Schnee“, was
auch nur heißen ſoll: von einer gewiſſen Sehhöhe an liegt ewig (immer)
Schnee, aber niemals unveränderlich derſelbe.

Was nun das Winterleben der Bäume betrifft, ſo bietet daſſelbe,
wenn wir uns nicht in die Feinheiten des noch ſehr mangelhaft bekannten
unmittelbaren Einfluſſes der Wärme auf das Zellenleben einlaſſen wollen —
was hier nicht am Orte ſein würde — für unſere Betrachtung des Waldes
wenig Berührungspunkte. In der Hauptſache ruht, wie der Augenſchein
lehrt, während des Froſtes das Leben des Baumes; es iſt jedoch ſehr
wahrſcheinlich und zum Theil durch Beobachtungen auch nachgewieſen,
daß mitten in den Wintermonaten bei zeitweilig eintretenden Wärme-
graden das innere Leben erwacht. Es iſt alſo der Winterſchlaf der Bäume
nicht an die Zeit gebunden, ſondern durch chemiſche und phyſikaliſche
Faktoren bedingt, unter denen die Wärme einer der einflußreichſten iſt.

Wir ſehen zwar in unſeren Waldungen im Ganzen wenig von Froſt-
ſchäden, jedoch kommen deren in jedem ſtrengeren Winter eine Menge
geringfügiger und daher meiſt überſehener vor und es hat ſchon Winter
gegeben, unter denen der von 1788 auf 1789 der verrufenſte iſt, wo viele
alte Bäume, namentlich Tannen, Buchen und Eichen ganz erfroren ſind.

Daß bei ſtarker Kälte und zwar ſehr oft ohne den Tod herbeizu-
führen der Saft der Bäume gefriert und durch Zuſammenziehen des
Holzes an ſtarken Stämmen, namentlich an Laubholzbäumen Froſtriſſe
entſtehen iſt eine jetzt nicht mehr in Zweifel zu ziehende Thatſache. Noch
vollkommen ruhende Knospen ſcheinen ſelbſt von ſtarkem Froſte oft nicht
zu leiden. Den auch im Winter belaubten Nadelhölzern iſt ſtarker Froſt
nicht ganz unſchädlich, was das Gelbwerden der Nadeln junger Fichten
beweiſt. Dabei ſind ſie dann wie andere Bäume vor dem Nachtheile der
Kälte mehr geſchützt, wenn ſie während des Winters nicht von der Sonne
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[189/0213] nach der Verholzung ſich in der Länge noch etwas ausdehnen. Die Kiefernnadeln fallen gewöhnlich im dritten Jahre ab. Doch iſt dieſes theils nach dem Boden, nach dem dichteren oder räumlicheren Stande und nach dem Alter des Baumes verſchieden. Es iſt daher das Wort immergrün einfach wörtlich zu nehmen, d. h. daß die Nadelhölzer, mit Ausnahme der Lärche, immer grün ſind, nicht ſo als verlieren ſie gar niemals ihre Nadeln. Es iſt daſſelbe wie mit dem „ewigen Schnee“, was auch nur heißen ſoll: von einer gewiſſen Sehhöhe an liegt ewig (immer) Schnee, aber niemals unveränderlich derſelbe. Was nun das Winterleben der Bäume betrifft, ſo bietet daſſelbe, wenn wir uns nicht in die Feinheiten des noch ſehr mangelhaft bekannten unmittelbaren Einfluſſes der Wärme auf das Zellenleben einlaſſen wollen — was hier nicht am Orte ſein würde — für unſere Betrachtung des Waldes wenig Berührungspunkte. In der Hauptſache ruht, wie der Augenſchein lehrt, während des Froſtes das Leben des Baumes; es iſt jedoch ſehr wahrſcheinlich und zum Theil durch Beobachtungen auch nachgewieſen, daß mitten in den Wintermonaten bei zeitweilig eintretenden Wärme- graden das innere Leben erwacht. Es iſt alſo der Winterſchlaf der Bäume nicht an die Zeit gebunden, ſondern durch chemiſche und phyſikaliſche Faktoren bedingt, unter denen die Wärme einer der einflußreichſten iſt. Wir ſehen zwar in unſeren Waldungen im Ganzen wenig von Froſt- ſchäden, jedoch kommen deren in jedem ſtrengeren Winter eine Menge geringfügiger und daher meiſt überſehener vor und es hat ſchon Winter gegeben, unter denen der von 1788 auf 1789 der verrufenſte iſt, wo viele alte Bäume, namentlich Tannen, Buchen und Eichen ganz erfroren ſind. Daß bei ſtarker Kälte und zwar ſehr oft ohne den Tod herbeizu- führen der Saft der Bäume gefriert und durch Zuſammenziehen des Holzes an ſtarken Stämmen, namentlich an Laubholzbäumen Froſtriſſe entſtehen iſt eine jetzt nicht mehr in Zweifel zu ziehende Thatſache. Noch vollkommen ruhende Knospen ſcheinen ſelbſt von ſtarkem Froſte oft nicht zu leiden. Den auch im Winter belaubten Nadelhölzern iſt ſtarker Froſt nicht ganz unſchädlich, was das Gelbwerden der Nadeln junger Fichten beweiſt. Dabei ſind ſie dann wie andere Bäume vor dem Nachtheile der Kälte mehr geſchützt, wenn ſie während des Winters nicht von der Sonne beſchienen werden können.

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/213>, abgerufen am 17.05.2024.