Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

Bild:
<< vorherige Seite

Nicht alle Baumarten und ebenso nicht alle Bäume einer Art werfen
ihr Laub vollständig ab. An Eschen, Ahornen, Erlen, Pappeln bleibt
kein Blatt am Baume, während in den Kronen selbst alter Eichen und
Hornbäume fast immer noch ein kleiner Theil derselben hängen bleibt.
Besonders halten junge Eichen, Buchen und Hornbäume ihr todtes Laub
über den Winter oft so fest, daß es erst im Frühjahre kurz vor dem Auf-
brechen der Knospen abfällt und man kann dann belaubte Traubenkirschen,
der sich am zeitigsten belaubende Baum, und mit dürrem Laub bedeckte
Eichenstämmchen neben einander sehen.

Nicht zu verwechseln ist mit diesem vollständigen Verbleiben der
todten Blätter an den Bäumen, die namentlich an Eichen vorkommende
Erscheinung, daß vereinzelte dürre Blattbüschel, oft in Mehrzahl, über
Winter am Baume bleiben. Dies sind die sogenannten großen Raupen-
nester
von dem Goldafter, Liparis chrysorrhoea, deren im Herbst
noch unausgewachsene Raupen, Schwammraupen genannt, in solchen
Blätterbüscheln überwintern, die sie dadurch vom Abfallen hindern, daß
sie die Blattstiele an den Trieb fest spinnen. Eine ähnliche Erscheinung
sind die von den Raupen des Baumweißlings, Pontia Crataegi,
herrührenden und mehr aus einzelnen Blättern bestehenden kleinen
Raupennester
.

Die Lärche macht durch ihren regelmäßigen Nadelfall, worin sie
den Laubhölzern gleich ist, den Uebergang von diesen zu den immergrünen
Nadelhölzern. Die Nadeln derselben hinterlassen am Triebe eben solche
genau umschriebene Narben, wie die Blattstielnarben der Laubhölzer sind.

Die Nadeln der übrigen wintergrünem Nadelhölzer sind übrigens
auch nicht unbegrenzt bleibend, sondern fallen endlich auch ab, nur bei
der einen Art früher als bei der andern und selbst nach dem Alter des
Baumes findet hierin ein Unterschied statt. Bei der Leichtigkeit, das
Alter der Triebe an einem Nadelholzbäumchen oder am Wipfel eines
älteren Baumes abzulesen (S. 69) kann man leicht sehen, wie viele Jahre
die Nadeln stehen, ehe sie abfallen.

Am längsten bleiben die Nadeln bei der Tanne stehen, indem man
namentlich an der Hauptaxe, am Stamme, oft acht- ja zuweilen sogar
neunjährige Nadeln sieht, deren weite Auseinanderstellung im Vergleich
zu den jüngeren Trieben, zugleich lehrt, daß die Axenglieder auch

Nicht alle Baumarten und ebenſo nicht alle Bäume einer Art werfen
ihr Laub vollſtändig ab. An Eſchen, Ahornen, Erlen, Pappeln bleibt
kein Blatt am Baume, während in den Kronen ſelbſt alter Eichen und
Hornbäume faſt immer noch ein kleiner Theil derſelben hängen bleibt.
Beſonders halten junge Eichen, Buchen und Hornbäume ihr todtes Laub
über den Winter oft ſo feſt, daß es erſt im Frühjahre kurz vor dem Auf-
brechen der Knospen abfällt und man kann dann belaubte Traubenkirſchen,
der ſich am zeitigſten belaubende Baum, und mit dürrem Laub bedeckte
Eichenſtämmchen neben einander ſehen.

Nicht zu verwechſeln iſt mit dieſem vollſtändigen Verbleiben der
todten Blätter an den Bäumen, die namentlich an Eichen vorkommende
Erſcheinung, daß vereinzelte dürre Blattbüſchel, oft in Mehrzahl, über
Winter am Baume bleiben. Dies ſind die ſogenannten großen Raupen-
neſter
von dem Goldafter, Liparis chrysorrhoea, deren im Herbſt
noch unausgewachſene Raupen, Schwammraupen genannt, in ſolchen
Blätterbüſcheln überwintern, die ſie dadurch vom Abfallen hindern, daß
ſie die Blattſtiele an den Trieb feſt ſpinnen. Eine ähnliche Erſcheinung
ſind die von den Raupen des Baumweißlings, Pontia Crataegi,
herrührenden und mehr aus einzelnen Blättern beſtehenden kleinen
Raupenneſter
.

Die Lärche macht durch ihren regelmäßigen Nadelfall, worin ſie
den Laubhölzern gleich iſt, den Uebergang von dieſen zu den immergrünen
Nadelhölzern. Die Nadeln derſelben hinterlaſſen am Triebe eben ſolche
genau umſchriebene Narben, wie die Blattſtielnarben der Laubhölzer ſind.

Die Nadeln der übrigen wintergrünem Nadelhölzer ſind übrigens
auch nicht unbegrenzt bleibend, ſondern fallen endlich auch ab, nur bei
der einen Art früher als bei der andern und ſelbſt nach dem Alter des
Baumes findet hierin ein Unterſchied ſtatt. Bei der Leichtigkeit, das
Alter der Triebe an einem Nadelholzbäumchen oder am Wipfel eines
älteren Baumes abzuleſen (S. 69) kann man leicht ſehen, wie viele Jahre
die Nadeln ſtehen, ehe ſie abfallen.

Am längſten bleiben die Nadeln bei der Tanne ſtehen, indem man
namentlich an der Hauptaxe, am Stamme, oft acht- ja zuweilen ſogar
neunjährige Nadeln ſieht, deren weite Auseinanderſtellung im Vergleich
zu den jüngeren Trieben, zugleich lehrt, daß die Axenglieder auch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0212" n="188"/>
          <p>Nicht alle Baumarten und eben&#x017F;o nicht alle Bäume einer Art werfen<lb/>
ihr Laub voll&#x017F;tändig ab. An E&#x017F;chen, Ahornen, Erlen, Pappeln bleibt<lb/>
kein Blatt am Baume, während in den Kronen &#x017F;elb&#x017F;t alter Eichen und<lb/>
Hornbäume fa&#x017F;t immer noch ein kleiner Theil der&#x017F;elben hängen bleibt.<lb/>
Be&#x017F;onders halten junge Eichen, Buchen und Hornbäume ihr todtes Laub<lb/>
über den Winter oft &#x017F;o fe&#x017F;t, daß es er&#x017F;t im Frühjahre kurz vor dem Auf-<lb/>
brechen der Knospen abfällt und man kann dann belaubte Traubenkir&#x017F;chen,<lb/>
der &#x017F;ich am zeitig&#x017F;ten belaubende Baum, und mit dürrem Laub bedeckte<lb/>
Eichen&#x017F;tämmchen neben einander &#x017F;ehen.</p><lb/>
          <p>Nicht zu verwech&#x017F;eln i&#x017F;t mit die&#x017F;em voll&#x017F;tändigen Verbleiben der<lb/>
todten Blätter an den Bäumen, die namentlich an Eichen vorkommende<lb/>
Er&#x017F;cheinung, daß vereinzelte dürre Blattbü&#x017F;chel, oft in Mehrzahl, über<lb/>
Winter am Baume bleiben. Dies &#x017F;ind die &#x017F;ogenannten <hi rendition="#g">großen Raupen-<lb/>
ne&#x017F;ter</hi> von dem <hi rendition="#g">Goldafter</hi>, <hi rendition="#aq">Liparis chrysorrhoea,</hi> deren im Herb&#x017F;t<lb/>
noch unausgewach&#x017F;ene Raupen, Schwammraupen genannt, in &#x017F;olchen<lb/>
Blätterbü&#x017F;cheln überwintern, die &#x017F;ie dadurch vom Abfallen hindern, daß<lb/>
&#x017F;ie die Blatt&#x017F;tiele an den Trieb fe&#x017F;t &#x017F;pinnen. Eine ähnliche Er&#x017F;cheinung<lb/>
&#x017F;ind die von den Raupen des <hi rendition="#g">Baumweißlings</hi>, <hi rendition="#aq">Pontia Crataegi,</hi><lb/>
herrührenden und mehr aus einzelnen Blättern be&#x017F;tehenden <hi rendition="#g">kleinen<lb/>
Raupenne&#x017F;ter</hi>.</p><lb/>
          <p>Die <hi rendition="#g">Lärche</hi> macht durch ihren regelmäßigen Nadelfall, worin &#x017F;ie<lb/>
den Laubhölzern gleich i&#x017F;t, den Uebergang von die&#x017F;en zu den immergrünen<lb/>
Nadelhölzern. Die Nadeln der&#x017F;elben hinterla&#x017F;&#x017F;en am Triebe eben &#x017F;olche<lb/>
genau um&#x017F;chriebene Narben, wie die Blatt&#x017F;tielnarben der Laubhölzer &#x017F;ind.</p><lb/>
          <p>Die Nadeln der übrigen wintergrünem Nadelhölzer &#x017F;ind übrigens<lb/>
auch nicht unbegrenzt bleibend, &#x017F;ondern fallen endlich auch ab, nur bei<lb/>
der einen Art früher als bei der andern und &#x017F;elb&#x017F;t nach dem Alter des<lb/>
Baumes findet hierin ein Unter&#x017F;chied &#x017F;tatt. Bei der Leichtigkeit, das<lb/>
Alter der Triebe an einem Nadelholzbäumchen oder am Wipfel eines<lb/>
älteren Baumes abzule&#x017F;en (S. 69) kann man leicht &#x017F;ehen, wie viele Jahre<lb/>
die Nadeln &#x017F;tehen, ehe &#x017F;ie abfallen.</p><lb/>
          <p>Am läng&#x017F;ten bleiben die Nadeln bei der Tanne &#x017F;tehen, indem man<lb/>
namentlich an der Hauptaxe, am Stamme, oft acht- ja zuweilen &#x017F;ogar<lb/>
neunjährige Nadeln &#x017F;ieht, deren weite Auseinander&#x017F;tellung im Vergleich<lb/>
zu den jüngeren Trieben, zugleich lehrt, daß die Axenglieder auch<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[188/0212] Nicht alle Baumarten und ebenſo nicht alle Bäume einer Art werfen ihr Laub vollſtändig ab. An Eſchen, Ahornen, Erlen, Pappeln bleibt kein Blatt am Baume, während in den Kronen ſelbſt alter Eichen und Hornbäume faſt immer noch ein kleiner Theil derſelben hängen bleibt. Beſonders halten junge Eichen, Buchen und Hornbäume ihr todtes Laub über den Winter oft ſo feſt, daß es erſt im Frühjahre kurz vor dem Auf- brechen der Knospen abfällt und man kann dann belaubte Traubenkirſchen, der ſich am zeitigſten belaubende Baum, und mit dürrem Laub bedeckte Eichenſtämmchen neben einander ſehen. Nicht zu verwechſeln iſt mit dieſem vollſtändigen Verbleiben der todten Blätter an den Bäumen, die namentlich an Eichen vorkommende Erſcheinung, daß vereinzelte dürre Blattbüſchel, oft in Mehrzahl, über Winter am Baume bleiben. Dies ſind die ſogenannten großen Raupen- neſter von dem Goldafter, Liparis chrysorrhoea, deren im Herbſt noch unausgewachſene Raupen, Schwammraupen genannt, in ſolchen Blätterbüſcheln überwintern, die ſie dadurch vom Abfallen hindern, daß ſie die Blattſtiele an den Trieb feſt ſpinnen. Eine ähnliche Erſcheinung ſind die von den Raupen des Baumweißlings, Pontia Crataegi, herrührenden und mehr aus einzelnen Blättern beſtehenden kleinen Raupenneſter. Die Lärche macht durch ihren regelmäßigen Nadelfall, worin ſie den Laubhölzern gleich iſt, den Uebergang von dieſen zu den immergrünen Nadelhölzern. Die Nadeln derſelben hinterlaſſen am Triebe eben ſolche genau umſchriebene Narben, wie die Blattſtielnarben der Laubhölzer ſind. Die Nadeln der übrigen wintergrünem Nadelhölzer ſind übrigens auch nicht unbegrenzt bleibend, ſondern fallen endlich auch ab, nur bei der einen Art früher als bei der andern und ſelbſt nach dem Alter des Baumes findet hierin ein Unterſchied ſtatt. Bei der Leichtigkeit, das Alter der Triebe an einem Nadelholzbäumchen oder am Wipfel eines älteren Baumes abzuleſen (S. 69) kann man leicht ſehen, wie viele Jahre die Nadeln ſtehen, ehe ſie abfallen. Am längſten bleiben die Nadeln bei der Tanne ſtehen, indem man namentlich an der Hauptaxe, am Stamme, oft acht- ja zuweilen ſogar neunjährige Nadeln ſieht, deren weite Auseinanderſtellung im Vergleich zu den jüngeren Trieben, zugleich lehrt, daß die Axenglieder auch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/212
Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/212>, abgerufen am 22.12.2024.