endet, so wird nur insofern der Körpermasse noch Weiteres hinzugefügt, als z. B. durch besondere Muskelübung, durch reichliches Futter und der- gleichen die bereits vorhandenen Gewebekörper (Muskeln, Fettmassen) in derselben Weise wie eben angegeben größer werden, es wächst kein Muskel, kein Knochen neu hinzu. Der Thier-Körper lebt eben als ein Ganzes in allen seinen Theilen zugleich; der Kopf des Pferdes hat noch dieselben Theile die er am Füllen hatte, nur ist er in allen seinen Geweben in dieser Zeit durch den Stoffwechsel vielmal erneuert worden. (Der Zahn- und Haarwechsel widerlegt natürlich diese Regel nicht.)
Anders bei dem Baume. Wir haben gesehen, daß der durch Ver- mittlung der Blätter zubereitete Bildungssaft nicht in den Baumleib, wie er eben augenblicklich ist, eindringt und alle dessen vorhandene Theile und Gewebe theils von innen heraus, nennen wir es durch Ausdehnung, ver- größert, theils durch den Stoffwechsel verjüngt, sondern immer zu Neu- bildungen verwendet wird, entweder zu Hervorbringung von neuen Gewebemassen, die sich an die früheren, gleichen, anfügen und dann durch eine Grenze davon unterschieden sind, wie z. B. bei Holz und Rinde und den Jahressprossen; oder zur periodischen Wiederersetzung verlorener Theile, z. B. der Blätter und Blüthen. Alle diese Neubildungen sind aber nichts weiter als Zusätze und Wiederholungen. Es ist sehr fraglich, ob ein Stoffwechsel im Baume wie überhaupt in der Pflanze in demselben Sinne wie im Thierleibe besteht, d. h. ob z. B. der Stamm in seinen älteren Holzmassen mit Beibehaltung der Formelemente durch fortwährenden Umtausch des Stoffs gegen neuen sich verjüngt, so daß in einem alten Baume das hundertjährige Holz hundertmal seinen Stoff ge- wechselt, sich verjüngt, erneut hat, wie dies bei den Thieren der Fall ist; so daß z. B. die arbeitende Hand eines alten Mannes zwar immer noch dieselbe Hand ist, die sie vor funfzig Jahren war, aber in ihrem Stoff- bestande seitdem vielmal durch den Stoffwechsel erneut worden ist. Viele Erscheinungen sprechen dafür, daß die Zellenwände der älteren Baum- theile wohl eine Verdickung durch innere Anlagerung von Holzstoff und eine Durchtränkung mit zugeführten Lösungen erfahren hat, aber eine eigent- liche Stofferneuerung nicht stattfindet.
Während dieser vergleichenden Betrachtung des Lebens eines Baumes und eines Thieres haben uns einige Bedenken gegen die Stichhaltigkeit
endet, ſo wird nur inſofern der Körpermaſſe noch Weiteres hinzugefügt, als z. B. durch beſondere Muskelübung, durch reichliches Futter und der- gleichen die bereits vorhandenen Gewebekörper (Muskeln, Fettmaſſen) in derſelben Weiſe wie eben angegeben größer werden, es wächſt kein Muskel, kein Knochen neu hinzu. Der Thier-Körper lebt eben als ein Ganzes in allen ſeinen Theilen zugleich; der Kopf des Pferdes hat noch dieſelben Theile die er am Füllen hatte, nur iſt er in allen ſeinen Geweben in dieſer Zeit durch den Stoffwechſel vielmal erneuert worden. (Der Zahn- und Haarwechſel widerlegt natürlich dieſe Regel nicht.)
Anders bei dem Baume. Wir haben geſehen, daß der durch Ver- mittlung der Blätter zubereitete Bildungsſaft nicht in den Baumleib, wie er eben augenblicklich iſt, eindringt und alle deſſen vorhandene Theile und Gewebe theils von innen heraus, nennen wir es durch Ausdehnung, ver- größert, theils durch den Stoffwechſel verjüngt, ſondern immer zu Neu- bildungen verwendet wird, entweder zu Hervorbringung von neuen Gewebemaſſen, die ſich an die früheren, gleichen, anfügen und dann durch eine Grenze davon unterſchieden ſind, wie z. B. bei Holz und Rinde und den Jahresſproſſen; oder zur periodiſchen Wiedererſetzung verlorener Theile, z. B. der Blätter und Blüthen. Alle dieſe Neubildungen ſind aber nichts weiter als Zuſätze und Wiederholungen. Es iſt ſehr fraglich, ob ein Stoffwechſel im Baume wie überhaupt in der Pflanze in demſelben Sinne wie im Thierleibe beſteht, d. h. ob z. B. der Stamm in ſeinen älteren Holzmaſſen mit Beibehaltung der Formelemente durch fortwährenden Umtauſch des Stoffs gegen neuen ſich verjüngt, ſo daß in einem alten Baume das hundertjährige Holz hundertmal ſeinen Stoff ge- wechſelt, ſich verjüngt, erneut hat, wie dies bei den Thieren der Fall iſt; ſo daß z. B. die arbeitende Hand eines alten Mannes zwar immer noch dieſelbe Hand iſt, die ſie vor funfzig Jahren war, aber in ihrem Stoff- beſtande ſeitdem vielmal durch den Stoffwechſel erneut worden iſt. Viele Erſcheinungen ſprechen dafür, daß die Zellenwände der älteren Baum- theile wohl eine Verdickung durch innere Anlagerung von Holzſtoff und eine Durchtränkung mit zugeführten Löſungen erfahren hat, aber eine eigent- liche Stofferneuerung nicht ſtattfindet.
Während dieſer vergleichenden Betrachtung des Lebens eines Baumes und eines Thieres haben uns einige Bedenken gegen die Stichhaltigkeit
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endet, ſo wird nur inſofern der Körpermaſſe noch Weiteres hinzugefügt,
als z. B. durch beſondere Muskelübung, durch reichliches Futter und der-
gleichen die bereits vorhandenen Gewebekörper (Muskeln, Fettmaſſen) in
derſelben Weiſe wie eben angegeben größer werden, es wächſt kein Muskel,
kein Knochen neu hinzu. Der Thier-Körper lebt eben als ein Ganzes
in allen ſeinen Theilen zugleich; der Kopf des Pferdes hat noch dieſelben
Theile die er am Füllen hatte, nur iſt er in allen ſeinen Geweben in
dieſer Zeit durch den Stoffwechſel vielmal erneuert worden. (Der Zahn-
und Haarwechſel widerlegt natürlich dieſe Regel nicht.)
Anders bei dem Baume. Wir haben geſehen, daß der durch Ver-
mittlung der Blätter zubereitete Bildungsſaft nicht in den Baumleib, wie
er eben augenblicklich iſt, eindringt und alle deſſen vorhandene Theile und
Gewebe theils von innen heraus, nennen wir es durch Ausdehnung, ver-
größert, theils durch den Stoffwechſel verjüngt, ſondern immer zu Neu-
bildungen verwendet wird, entweder zu Hervorbringung von neuen
Gewebemaſſen, die ſich an die früheren, gleichen, anfügen und dann durch
eine Grenze davon unterſchieden ſind, wie z. B. bei Holz und Rinde und
den Jahresſproſſen; oder zur periodiſchen Wiedererſetzung verlorener
Theile, z. B. der Blätter und Blüthen. Alle dieſe Neubildungen ſind
aber nichts weiter als Zuſätze und Wiederholungen. Es iſt ſehr
fraglich, ob ein Stoffwechſel im Baume wie überhaupt in der Pflanze
in demſelben Sinne wie im Thierleibe beſteht, d. h. ob z. B. der Stamm
in ſeinen älteren Holzmaſſen mit Beibehaltung der Formelemente durch
fortwährenden Umtauſch des Stoffs gegen neuen ſich verjüngt, ſo daß in
einem alten Baume das hundertjährige Holz hundertmal ſeinen Stoff ge-
wechſelt, ſich verjüngt, erneut hat, wie dies bei den Thieren der Fall iſt;
ſo daß z. B. die arbeitende Hand eines alten Mannes zwar immer noch
dieſelbe Hand iſt, die ſie vor funfzig Jahren war, aber in ihrem Stoff-
beſtande ſeitdem vielmal durch den Stoffwechſel erneut worden iſt. Viele
Erſcheinungen ſprechen dafür, daß die Zellenwände der älteren Baum-
theile wohl eine Verdickung durch innere Anlagerung von Holzſtoff und
eine Durchtränkung mit zugeführten Löſungen erfahren hat, aber eine eigent-
liche Stofferneuerung nicht ſtattfindet.
Während dieſer vergleichenden Betrachtung des Lebens eines Baumes
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/204>, abgerufen am 22.12.2024.
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