Was hier ohne Zweifel mit Bucheckern stattfindet, geschieht auch mit den Sämereien von vielen solchen Waldkräutern, von denen ebenfalls nicht sehr wahrscheinlich ist, daß sie aus solchen Samen erwuchsen, welche der Wind herzuführte. Noch vor Kurzem sahe ich in auffallendster Weise alle Erdhaufen, welche bei dem Eisenbahnbau zwischen Tharand und Freiberg von abgetragenem Waldboden aufgefahren worden waren, so vollständig mit zahllosen jungen Pflanzen von einer Hohlzahn-Art, Galeopsis, be- deckt, daß es aussah, als seien sie darauf ganz dick angesäet worden. Da an anderen Stellen, dicht daneben, die zum Aufgehen nicht minder geeignet gewesen wären, sich kein Exemplar dieser gemeinen Waldpflanze fand, so war kaum anzunehmen, daß in diesem Falle der Wind die Samen herbeigebracht haben sollte.
Diese und viele ähnliche Fälle berechtigen daher zu der Annahme, daß der Waldboden, namentlich der, welcher vielleicht seit Jahrtausenden schon immer Wald getragen hat, ein reichgefüllter Speicher von allerhand Waldsämereien sei, welche nach und nach unter begünstigenden Umständen zur Auferstehung kommen. Welcher Art freilich die Umstände sein mögen, wodurch denselben die Keimkraft bewahrt wurde, was uns mit allen Vor- sichtsmaßregeln oft nicht gelingt, darüber ist man noch sehr im Dunkeln.
So viel jedoch hat man hier von der Natur gelernt, daß tiefes Ein- graben in mäßigfeuchtes und im Feuchtigkeitsgehalt sich möglichst gleich- bleibendes Erdreich ein erprobtes Mittel ist, Waldsamen längere Zeit aufzubewahren und keimfähig zu erhalten.
Um nun zu den weiteren Lebenserscheinungen des Keimpflänzchens überzugehen, so kann ich mich dabei hinsichtlich der äußeren Erscheinungen im Allgemeinen auf allgemein Bekanntes beziehen, was wir in unserem Garten kennen gelernt haben und was in der Hauptsache bei den Wald- bäumen nicht anders ist.
Das Würzelchen des Keimes, das wir an Fig. XIX. 3 w sehen, dehnt sich, wie wir schon wissen, nach der Sprengung der Samenschale in den Boden eindringend immer mehr aus, jedoch nicht so unmittelbar, daß die Spitze der Wurzel selbst durch Vorschreiten diese Verlängerung bildete. Es findet vielmehr folgender Vorgang statt. An jeder Wurzelspitze, sei es die der Haupt- oder einer Nebenwurzel, bildet sich alsbald bei ihrem ersten Entstehen die sogenannte Wurzelhaube, eine feine Umhüllung
Was hier ohne Zweifel mit Bucheckern ſtattfindet, geſchieht auch mit den Sämereien von vielen ſolchen Waldkräutern, von denen ebenfalls nicht ſehr wahrſcheinlich iſt, daß ſie aus ſolchen Samen erwuchſen, welche der Wind herzuführte. Noch vor Kurzem ſahe ich in auffallendſter Weiſe alle Erdhaufen, welche bei dem Eiſenbahnbau zwiſchen Tharand und Freiberg von abgetragenem Waldboden aufgefahren worden waren, ſo vollſtändig mit zahlloſen jungen Pflanzen von einer Hohlzahn-Art, Galeopsis, be- deckt, daß es ausſah, als ſeien ſie darauf ganz dick angeſäet worden. Da an anderen Stellen, dicht daneben, die zum Aufgehen nicht minder geeignet geweſen wären, ſich kein Exemplar dieſer gemeinen Waldpflanze fand, ſo war kaum anzunehmen, daß in dieſem Falle der Wind die Samen herbeigebracht haben ſollte.
Dieſe und viele ähnliche Fälle berechtigen daher zu der Annahme, daß der Waldboden, namentlich der, welcher vielleicht ſeit Jahrtauſenden ſchon immer Wald getragen hat, ein reichgefüllter Speicher von allerhand Waldſämereien ſei, welche nach und nach unter begünſtigenden Umſtänden zur Auferſtehung kommen. Welcher Art freilich die Umſtände ſein mögen, wodurch denſelben die Keimkraft bewahrt wurde, was uns mit allen Vor- ſichtsmaßregeln oft nicht gelingt, darüber iſt man noch ſehr im Dunkeln.
So viel jedoch hat man hier von der Natur gelernt, daß tiefes Ein- graben in mäßigfeuchtes und im Feuchtigkeitsgehalt ſich möglichſt gleich- bleibendes Erdreich ein erprobtes Mittel iſt, Waldſamen längere Zeit aufzubewahren und keimfähig zu erhalten.
Um nun zu den weiteren Lebenserſcheinungen des Keimpflänzchens überzugehen, ſo kann ich mich dabei hinſichtlich der äußeren Erſcheinungen im Allgemeinen auf allgemein Bekanntes beziehen, was wir in unſerem Garten kennen gelernt haben und was in der Hauptſache bei den Wald- bäumen nicht anders iſt.
Das Würzelchen des Keimes, das wir an Fig. XIX. 3 w ſehen, dehnt ſich, wie wir ſchon wiſſen, nach der Sprengung der Samenſchale in den Boden eindringend immer mehr aus, jedoch nicht ſo unmittelbar, daß die Spitze der Wurzel ſelbſt durch Vorſchreiten dieſe Verlängerung bildete. Es findet vielmehr folgender Vorgang ſtatt. An jeder Wurzelſpitze, ſei es die der Haupt- oder einer Nebenwurzel, bildet ſich alsbald bei ihrem erſten Entſtehen die ſogenannte Wurzelhaube, eine feine Umhüllung
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Was hier ohne Zweifel mit Bucheckern ſtattfindet, geſchieht auch mit
den Sämereien von vielen ſolchen Waldkräutern, von denen ebenfalls nicht
ſehr wahrſcheinlich iſt, daß ſie aus ſolchen Samen erwuchſen, welche der
Wind herzuführte. Noch vor Kurzem ſahe ich in auffallendſter Weiſe alle
Erdhaufen, welche bei dem Eiſenbahnbau zwiſchen Tharand und Freiberg
von abgetragenem Waldboden aufgefahren worden waren, ſo vollſtändig
mit zahlloſen jungen Pflanzen von einer Hohlzahn-Art, Galeopsis, be-
deckt, daß es ausſah, als ſeien ſie darauf ganz dick angeſäet worden.
Da an anderen Stellen, dicht daneben, die zum Aufgehen nicht minder
geeignet geweſen wären, ſich kein Exemplar dieſer gemeinen Waldpflanze
fand, ſo war kaum anzunehmen, daß in dieſem Falle der Wind die Samen
herbeigebracht haben ſollte.
Dieſe und viele ähnliche Fälle berechtigen daher zu der Annahme,
daß der Waldboden, namentlich der, welcher vielleicht ſeit Jahrtauſenden
ſchon immer Wald getragen hat, ein reichgefüllter Speicher von allerhand
Waldſämereien ſei, welche nach und nach unter begünſtigenden Umſtänden
zur Auferſtehung kommen. Welcher Art freilich die Umſtände ſein mögen,
wodurch denſelben die Keimkraft bewahrt wurde, was uns mit allen Vor-
ſichtsmaßregeln oft nicht gelingt, darüber iſt man noch ſehr im Dunkeln.
So viel jedoch hat man hier von der Natur gelernt, daß tiefes Ein-
graben in mäßigfeuchtes und im Feuchtigkeitsgehalt ſich möglichſt gleich-
bleibendes Erdreich ein erprobtes Mittel iſt, Waldſamen längere Zeit
aufzubewahren und keimfähig zu erhalten.
Um nun zu den weiteren Lebenserſcheinungen des Keimpflänzchens
überzugehen, ſo kann ich mich dabei hinſichtlich der äußeren Erſcheinungen
im Allgemeinen auf allgemein Bekanntes beziehen, was wir in unſerem
Garten kennen gelernt haben und was in der Hauptſache bei den Wald-
bäumen nicht anders iſt.
Das Würzelchen des Keimes, das wir an Fig. XIX. 3 w ſehen, dehnt
ſich, wie wir ſchon wiſſen, nach der Sprengung der Samenſchale in den
Boden eindringend immer mehr aus, jedoch nicht ſo unmittelbar, daß
die Spitze der Wurzel ſelbſt durch Vorſchreiten dieſe Verlängerung bildete.
Es findet vielmehr folgender Vorgang ſtatt. An jeder Wurzelſpitze, ſei
es die der Haupt- oder einer Nebenwurzel, bildet ſich alsbald bei ihrem
erſten Entſtehen die ſogenannte Wurzelhaube, eine feine Umhüllung
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/170>, abgerufen am 22.12.2024.
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