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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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Saftzuführung und im Lasttragen bereits kennen gelernt haben, ihn an
seine eigene Leibes- und Lebensordnung am wenigsten denken lasse, so
daß er inwendig oder seitlich dem Tode und der Fäulniß längst verfallen
sein kann und dennoch unverdrossen seinem gemeinnützigen Berufe lebt.

Von den zahlreichen Zweigen, welche im Verlaufe seines vielleicht
mehr als hundertjährigen Lebens zwischen seiner Wurzel und seinem
jetzigen ersten, aber 20 Ellen hoch stehenden Aste gestanden haben, aber
jung starben, ist an seiner glatten silbergrauen Rinde nichts mehr zu
sehen, als vielleicht einige längst vernarbte Wunden, wo ihm der Sturm
erst in reiferen Jahren einen Zweig glatt am Leibe abgerissen hatte.

Sehen wir eine alte Eiche oder Linde an, oder was sonst für einen
alten Laubholzbaum, wir finden dieselbe vollständige Verwischung seiner
Entstehungsgeschichte, seiner Altersstufen; eine tief gefurchte dicke Borke
umpanzert den mächtigen Leib. Wesentlich anders ist es bei den Nadel-
hölzern. Auch an einer alten mehr als mannsdicken Kiefer erkennt man
in den meisten Fällen bis herunter an die Erde ihre ehemaligen Astquirle
und während es bei einem alten Laubholzbaume ein sehr gewagtes Ding
ist, sein Alter zu schätzen, so kann man es bei einem Nadelbaume, na-
mentlich wenn er gefällt vor uns liegt, nicht blos schätzen, sondern bis
auf wenige Jahre ab und zu genau angeben, auch ohne daß wir am Ab-
schnitt seine Jahresringe zählen. Also bis in ihr hohes Alter bewährt
sich der Einfluß ihres mathematischen Lebensgesetzes bei den Nadelhölzern
von den wir vorhin sprachen (S. 70).

Der Forstmann sagt, daß sich der Nadelbaum später reinige als
der Laubholzbaum, d. h., daß er im Aelterwerden seine früheren, allmälig
absterbenden Aeste später abwerfe. Der Grund zu dieser Erscheinung,
welche eine Thatsache ist, liegt in mehr als einem Umstande. Das Harz,
welches den Nadelbäumen eigen ist, schützt die abgestorbenen Aeste längere
Zeit vor der Fäulniß. Da das Harz namentlich nach Verwundungen
hinströmt, so werden die Aststummel oft nach und nach ganz mit Harz
durchdrungen. Wer im Walde einigermaßen zu Hause ist, der weiß'
daß ein dürrer Ast eines Laubholzbaumes wie Glas abbricht, während
er von einem Nadelbaume viel schwerer abzubrechen ist. Ferner ist dem
Baue nach das Holz der Nadelbäume an sich zäher als das der Laub-
hölzer und namentlich ist die Astverbindung mit dem Stamme inniger als

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Saftzuführung und im Laſttragen bereits kennen gelernt haben, ihn an
ſeine eigene Leibes- und Lebensordnung am wenigſten denken laſſe, ſo
daß er inwendig oder ſeitlich dem Tode und der Fäulniß längſt verfallen
ſein kann und dennoch unverdroſſen ſeinem gemeinnützigen Berufe lebt.

Von den zahlreichen Zweigen, welche im Verlaufe ſeines vielleicht
mehr als hundertjährigen Lebens zwiſchen ſeiner Wurzel und ſeinem
jetzigen erſten, aber 20 Ellen hoch ſtehenden Aſte geſtanden haben, aber
jung ſtarben, iſt an ſeiner glatten ſilbergrauen Rinde nichts mehr zu
ſehen, als vielleicht einige längſt vernarbte Wunden, wo ihm der Sturm
erſt in reiferen Jahren einen Zweig glatt am Leibe abgeriſſen hatte.

Sehen wir eine alte Eiche oder Linde an, oder was ſonſt für einen
alten Laubholzbaum, wir finden dieſelbe vollſtändige Verwiſchung ſeiner
Entſtehungsgeſchichte, ſeiner Altersſtufen; eine tief gefurchte dicke Borke
umpanzert den mächtigen Leib. Weſentlich anders iſt es bei den Nadel-
hölzern. Auch an einer alten mehr als mannsdicken Kiefer erkennt man
in den meiſten Fällen bis herunter an die Erde ihre ehemaligen Aſtquirle
und während es bei einem alten Laubholzbaume ein ſehr gewagtes Ding
iſt, ſein Alter zu ſchätzen, ſo kann man es bei einem Nadelbaume, na-
mentlich wenn er gefällt vor uns liegt, nicht blos ſchätzen, ſondern bis
auf wenige Jahre ab und zu genau angeben, auch ohne daß wir am Ab-
ſchnitt ſeine Jahresringe zählen. Alſo bis in ihr hohes Alter bewährt
ſich der Einfluß ihres mathematiſchen Lebensgeſetzes bei den Nadelhölzern
von den wir vorhin ſprachen (S. 70).

Der Forſtmann ſagt, daß ſich der Nadelbaum ſpäter reinige als
der Laubholzbaum, d. h., daß er im Aelterwerden ſeine früheren, allmälig
abſterbenden Aeſte ſpäter abwerfe. Der Grund zu dieſer Erſcheinung,
welche eine Thatſache iſt, liegt in mehr als einem Umſtande. Das Harz,
welches den Nadelbäumen eigen iſt, ſchützt die abgeſtorbenen Aeſte längere
Zeit vor der Fäulniß. Da das Harz namentlich nach Verwundungen
hinſtrömt, ſo werden die Aſtſtummel oft nach und nach ganz mit Harz
durchdrungen. Wer im Walde einigermaßen zu Hauſe iſt, der weiß′
daß ein dürrer Aſt eines Laubholzbaumes wie Glas abbricht, während
er von einem Nadelbaume viel ſchwerer abzubrechen iſt. Ferner iſt dem
Baue nach das Holz der Nadelbäume an ſich zäher als das der Laub-
hölzer und namentlich iſt die Aſtverbindung mit dem Stamme inniger als

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[83/0107] Saftzuführung und im Laſttragen bereits kennen gelernt haben, ihn an ſeine eigene Leibes- und Lebensordnung am wenigſten denken laſſe, ſo daß er inwendig oder ſeitlich dem Tode und der Fäulniß längſt verfallen ſein kann und dennoch unverdroſſen ſeinem gemeinnützigen Berufe lebt. Von den zahlreichen Zweigen, welche im Verlaufe ſeines vielleicht mehr als hundertjährigen Lebens zwiſchen ſeiner Wurzel und ſeinem jetzigen erſten, aber 20 Ellen hoch ſtehenden Aſte geſtanden haben, aber jung ſtarben, iſt an ſeiner glatten ſilbergrauen Rinde nichts mehr zu ſehen, als vielleicht einige längſt vernarbte Wunden, wo ihm der Sturm erſt in reiferen Jahren einen Zweig glatt am Leibe abgeriſſen hatte. Sehen wir eine alte Eiche oder Linde an, oder was ſonſt für einen alten Laubholzbaum, wir finden dieſelbe vollſtändige Verwiſchung ſeiner Entſtehungsgeſchichte, ſeiner Altersſtufen; eine tief gefurchte dicke Borke umpanzert den mächtigen Leib. Weſentlich anders iſt es bei den Nadel- hölzern. Auch an einer alten mehr als mannsdicken Kiefer erkennt man in den meiſten Fällen bis herunter an die Erde ihre ehemaligen Aſtquirle und während es bei einem alten Laubholzbaume ein ſehr gewagtes Ding iſt, ſein Alter zu ſchätzen, ſo kann man es bei einem Nadelbaume, na- mentlich wenn er gefällt vor uns liegt, nicht blos ſchätzen, ſondern bis auf wenige Jahre ab und zu genau angeben, auch ohne daß wir am Ab- ſchnitt ſeine Jahresringe zählen. Alſo bis in ihr hohes Alter bewährt ſich der Einfluß ihres mathematiſchen Lebensgeſetzes bei den Nadelhölzern von den wir vorhin ſprachen (S. 70). Der Forſtmann ſagt, daß ſich der Nadelbaum ſpäter reinige als der Laubholzbaum, d. h., daß er im Aelterwerden ſeine früheren, allmälig abſterbenden Aeſte ſpäter abwerfe. Der Grund zu dieſer Erſcheinung, welche eine Thatſache iſt, liegt in mehr als einem Umſtande. Das Harz, welches den Nadelbäumen eigen iſt, ſchützt die abgeſtorbenen Aeſte längere Zeit vor der Fäulniß. Da das Harz namentlich nach Verwundungen hinſtrömt, ſo werden die Aſtſtummel oft nach und nach ganz mit Harz durchdrungen. Wer im Walde einigermaßen zu Hauſe iſt, der weiß′ daß ein dürrer Aſt eines Laubholzbaumes wie Glas abbricht, während er von einem Nadelbaume viel ſchwerer abzubrechen iſt. Ferner iſt dem Baue nach das Holz der Nadelbäume an ſich zäher als das der Laub- hölzer und namentlich iſt die Aſtverbindung mit dem Stamme inniger als 6*

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/107>, abgerufen am 17.05.2024.