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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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Zustande abgeschlossene Triebe haben. Ich erinnere an die Weiden und
andere vorhin genannte Bäume.

Wenn die Buche, die Linde, die Eiche im Mai ihre Triebe aus den
Knospen herausgebildet haben, so steht nach längstens 14 Tagen das
Treiben dieser Bäume für einige Zeit vollständig still. Es wächst ihnen
kein neues Blatt nach; die Triebe werden keinen Strohhalm breit länger.
Dies sind die Bäume mit abgeschlossenen Trieben. Wenn wir am An-
fange und am Ende dieser Periode des Stillstandes, welche ungefähr
6--8 Wochen dauert, zu verschiedenen Zeiten Photographien von einem
solchen Baum nehmen könnten, so würden wir diese sämmtlich hinsichtlich
der Blätter und Triebe vollkommen einander gleich bekommen. Aber dann
ermannt sich das Baumleben noch einmal zu Neubildungen, namentlich
bei Buche und Eiche.

Einzelne Knospen, End- wie Seitenknospen, deren Mutterblatt noch
lebensfrisch neben ihnen steht, öffnen sich und treiben einen meist ziemlich
kurz bleibenden, belaubten Trieb, dessen Blätter bei der Buche so zu
sagen meist etwas schlechter gerathen als die Maiblätter. Dann verleihen
diese zweitgeborenen Blätter durch ihre jugendliche gelbgrüne Farbe diesen
Bäumen eine Zeit lang ein absonderliches Ansehen, indem ihr ernstes
tiefes Grün von frischem Gelbgrün besprenkelt erscheint, bis nach kurzer
Zeit auch diese neuen Blätter dieselbe tiefe Farbe wie die Maiblätter an-
genommen haben.

Diesen zweiten Trieb nennt man Sommer-, Johannis- oder
auch wohl (gegen die Zeit) Augusttrieb. Seine Zeit fällt je nach den
Witterungsverhältnissen in diesem Zeitraume etwas früher oder etwas
später. Da nun dieser zweite Trieb auch aus einer Knospe hervorgeht,
so zeigt er zuletzt an seiner Basis, wo er an den Maitrieb grenzt, ähn-
liche Kennzeichen, wie dieser an seiner Grenze gegen den vorjährigen Trieb.
Man kann daher Gefahr laufen, Maitrieb und Sommertrieb Eines Jahres
für 2 Jahrestriebe zu halten und dann einem Zweige ein höheres Alter
zuschreiben als er hat. Vor dem Laubfall kann man diesen Irrthum
freilich nicht begehen, denn da man dann an beiden Trieben Blätter
findet, so weiß man, daß beide derselben Vegetationsperiode angehören müssen.

Man kann den Sommertrieb während der ganzen Vegetationsperiode
künstlich hervorrufen, wenn man z. B. die Maitriebe stark zurückstutzt,

Zuſtande abgeſchloſſene Triebe haben. Ich erinnere an die Weiden und
andere vorhin genannte Bäume.

Wenn die Buche, die Linde, die Eiche im Mai ihre Triebe aus den
Knospen herausgebildet haben, ſo ſteht nach längſtens 14 Tagen das
Treiben dieſer Bäume für einige Zeit vollſtändig ſtill. Es wächſt ihnen
kein neues Blatt nach; die Triebe werden keinen Strohhalm breit länger.
Dies ſind die Bäume mit abgeſchloſſenen Trieben. Wenn wir am An-
fange und am Ende dieſer Periode des Stillſtandes, welche ungefähr
6—8 Wochen dauert, zu verſchiedenen Zeiten Photographien von einem
ſolchen Baum nehmen könnten, ſo würden wir dieſe ſämmtlich hinſichtlich
der Blätter und Triebe vollkommen einander gleich bekommen. Aber dann
ermannt ſich das Baumleben noch einmal zu Neubildungen, namentlich
bei Buche und Eiche.

Einzelne Knospen, End- wie Seitenknospen, deren Mutterblatt noch
lebensfriſch neben ihnen ſteht, öffnen ſich und treiben einen meiſt ziemlich
kurz bleibenden, belaubten Trieb, deſſen Blätter bei der Buche ſo zu
ſagen meiſt etwas ſchlechter gerathen als die Maiblätter. Dann verleihen
dieſe zweitgeborenen Blätter durch ihre jugendliche gelbgrüne Farbe dieſen
Bäumen eine Zeit lang ein abſonderliches Anſehen, indem ihr ernſtes
tiefes Grün von friſchem Gelbgrün beſprenkelt erſcheint, bis nach kurzer
Zeit auch dieſe neuen Blätter dieſelbe tiefe Farbe wie die Maiblätter an-
genommen haben.

Dieſen zweiten Trieb nennt man Sommer-, Johannis- oder
auch wohl (gegen die Zeit) Auguſttrieb. Seine Zeit fällt je nach den
Witterungsverhältniſſen in dieſem Zeitraume etwas früher oder etwas
ſpäter. Da nun dieſer zweite Trieb auch aus einer Knospe hervorgeht,
ſo zeigt er zuletzt an ſeiner Baſis, wo er an den Maitrieb grenzt, ähn-
liche Kennzeichen, wie dieſer an ſeiner Grenze gegen den vorjährigen Trieb.
Man kann daher Gefahr laufen, Maitrieb und Sommertrieb Eines Jahres
für 2 Jahrestriebe zu halten und dann einem Zweige ein höheres Alter
zuſchreiben als er hat. Vor dem Laubfall kann man dieſen Irrthum
freilich nicht begehen, denn da man dann an beiden Trieben Blätter
findet, ſo weiß man, daß beide derſelben Vegetationsperiode angehören müſſen.

Man kann den Sommertrieb während der ganzen Vegetationsperiode
künſtlich hervorrufen, wenn man z. B. die Maitriebe ſtark zurückſtutzt,

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[80/0104] Zuſtande abgeſchloſſene Triebe haben. Ich erinnere an die Weiden und andere vorhin genannte Bäume. Wenn die Buche, die Linde, die Eiche im Mai ihre Triebe aus den Knospen herausgebildet haben, ſo ſteht nach längſtens 14 Tagen das Treiben dieſer Bäume für einige Zeit vollſtändig ſtill. Es wächſt ihnen kein neues Blatt nach; die Triebe werden keinen Strohhalm breit länger. Dies ſind die Bäume mit abgeſchloſſenen Trieben. Wenn wir am An- fange und am Ende dieſer Periode des Stillſtandes, welche ungefähr 6—8 Wochen dauert, zu verſchiedenen Zeiten Photographien von einem ſolchen Baum nehmen könnten, ſo würden wir dieſe ſämmtlich hinſichtlich der Blätter und Triebe vollkommen einander gleich bekommen. Aber dann ermannt ſich das Baumleben noch einmal zu Neubildungen, namentlich bei Buche und Eiche. Einzelne Knospen, End- wie Seitenknospen, deren Mutterblatt noch lebensfriſch neben ihnen ſteht, öffnen ſich und treiben einen meiſt ziemlich kurz bleibenden, belaubten Trieb, deſſen Blätter bei der Buche ſo zu ſagen meiſt etwas ſchlechter gerathen als die Maiblätter. Dann verleihen dieſe zweitgeborenen Blätter durch ihre jugendliche gelbgrüne Farbe dieſen Bäumen eine Zeit lang ein abſonderliches Anſehen, indem ihr ernſtes tiefes Grün von friſchem Gelbgrün beſprenkelt erſcheint, bis nach kurzer Zeit auch dieſe neuen Blätter dieſelbe tiefe Farbe wie die Maiblätter an- genommen haben. Dieſen zweiten Trieb nennt man Sommer-, Johannis- oder auch wohl (gegen die Zeit) Auguſttrieb. Seine Zeit fällt je nach den Witterungsverhältniſſen in dieſem Zeitraume etwas früher oder etwas ſpäter. Da nun dieſer zweite Trieb auch aus einer Knospe hervorgeht, ſo zeigt er zuletzt an ſeiner Baſis, wo er an den Maitrieb grenzt, ähn- liche Kennzeichen, wie dieſer an ſeiner Grenze gegen den vorjährigen Trieb. Man kann daher Gefahr laufen, Maitrieb und Sommertrieb Eines Jahres für 2 Jahrestriebe zu halten und dann einem Zweige ein höheres Alter zuſchreiben als er hat. Vor dem Laubfall kann man dieſen Irrthum freilich nicht begehen, denn da man dann an beiden Trieben Blätter findet, ſo weiß man, daß beide derſelben Vegetationsperiode angehören müſſen. Man kann den Sommertrieb während der ganzen Vegetationsperiode künſtlich hervorrufen, wenn man z. B. die Maitriebe ſtark zurückſtutzt,

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/104>, abgerufen am 17.05.2024.