Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Gottes zu begnadigen.
hat, und dennoch bey der nächsten Gelegenheit sei-
nem wirklichen oder vermeinten Feind durch Ver-
leumdung, oder auf eine andere Weise zu schaden
sucht. Wenn solche Leute nun doch noch von Reue
und Betrübnis über ihre Sünden sprechen, heist
das nicht mit Worten spielen, oder selbst nicht
wißen was man sagt? Bey einer aufrichtigen,
wahren Reue muß die überzeugende Erkenntnis des
Unrechts nothwendig zum Grunde liegen. Man
muß selber über seinen Lebenswandel nachgedacht,
und sein Verhalten strafwürdig befunden haben.
Zu dieser Ueberzeugung gelangt man durch eine
sorgfältige Prüfung seines Herzens und Lebens, die
man oft mit einer unpartheyischen Strenge mit sich
anstellen muß. Da wir aber so verblendet sind,
daß wir gemeiniglich unsere Augen muthwillig vor
unsern Fehlern zuschließen; da wir aus falscher
Eigenliebe unsere schlimmsten Gewohnheiten ent-
schuldigen, und die grösten Laster für unbedeutend
halten, so müßen wir Gott um Erleuchtung anru-
fen, daß er uns doch unsern Seelenzustand recht
nach der Wahrheit wolle zu erkennen geben, so wie
David bat: Erforsche mich Gott und erfah-
re mein Herz, prüfe mich und gieb mir zu erken-
nen, wie ich es meine
Ps. 139. Weil dieses ei-
ne so wichtige Sache ist, so wird in der Schrift so
sehr auf die Erkenntnis der Sünden gedrungen,
und sie wird oft für die Bekehrung selbst gesetzt,
weil sie der Anfang derselben ist. Ich bin barm-
herzig, spricht der Herr, und will nicht ewi-
glich zürnen. Allein erkenne deine Mißethat,
daß du wider den Herren deinen Gott gesündi-

get

Gottes zu begnadigen.
hat, und dennoch bey der nächſten Gelegenheit ſei-
nem wirklichen oder vermeinten Feind durch Ver-
leumdung, oder auf eine andere Weiſe zu ſchaden
ſucht. Wenn ſolche Leute nun doch noch von Reue
und Betrübnis über ihre Sünden ſprechen, heiſt
das nicht mit Worten ſpielen, oder ſelbſt nicht
wißen was man ſagt? Bey einer aufrichtigen,
wahren Reue muß die überzeugende Erkenntnis des
Unrechts nothwendig zum Grunde liegen. Man
muß ſelber über ſeinen Lebenswandel nachgedacht,
und ſein Verhalten ſtrafwürdig befunden haben.
Zu dieſer Ueberzeugung gelangt man durch eine
ſorgfältige Prüfung ſeines Herzens und Lebens, die
man oft mit einer unpartheyiſchen Strenge mit ſich
anſtellen muß. Da wir aber ſo verblendet ſind,
daß wir gemeiniglich unſere Augen muthwillig vor
unſern Fehlern zuſchließen; da wir aus falſcher
Eigenliebe unſere ſchlimmſten Gewohnheiten ent-
ſchuldigen, und die gröſten Laſter für unbedeutend
halten, ſo müßen wir Gott um Erleuchtung anru-
fen, daß er uns doch unſern Seelenzuſtand recht
nach der Wahrheit wolle zu erkennen geben, ſo wie
David bat: Erforſche mich Gott und erfah-
re mein Herz, prüfe mich und gieb mir zu erken-
nen, wie ich es meine
Pſ. 139. Weil dieſes ei-
ne ſo wichtige Sache iſt, ſo wird in der Schrift ſo
ſehr auf die Erkenntnis der Sünden gedrungen,
und ſie wird oft für die Bekehrung ſelbſt geſetzt,
weil ſie der Anfang derſelben iſt. Ich bin barm-
herzig, ſpricht der Herr, und will nicht ewi-
glich zürnen. Allein erkenne deine Mißethat,
daß du wider den Herren deinen Gott geſündi-

get
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0071" n="59"/><fw place="top" type="header">Gottes zu begnadigen.</fw><lb/>
hat, und dennoch bey der näch&#x017F;ten Gelegenheit &#x017F;ei-<lb/>
nem wirklichen oder vermeinten Feind durch Ver-<lb/>
leumdung, oder auf eine andere Wei&#x017F;e zu &#x017F;chaden<lb/>
&#x017F;ucht. Wenn &#x017F;olche Leute nun doch noch von Reue<lb/>
und Betrübnis über ihre Sünden &#x017F;prechen, hei&#x017F;t<lb/>
das nicht mit Worten &#x017F;pielen, oder &#x017F;elb&#x017F;t nicht<lb/>
wißen was man &#x017F;agt? Bey einer aufrichtigen,<lb/>
wahren Reue muß die überzeugende Erkenntnis des<lb/>
Unrechts nothwendig zum Grunde liegen. Man<lb/>
muß &#x017F;elber über &#x017F;einen Lebenswandel nachgedacht,<lb/>
und &#x017F;ein Verhalten &#x017F;trafwürdig befunden haben.<lb/>
Zu die&#x017F;er Ueberzeugung gelangt man durch eine<lb/>
&#x017F;orgfältige Prüfung &#x017F;eines Herzens und Lebens, die<lb/>
man oft mit einer unpartheyi&#x017F;chen Strenge mit &#x017F;ich<lb/>
an&#x017F;tellen muß. Da wir aber &#x017F;o verblendet &#x017F;ind,<lb/>
daß wir gemeiniglich un&#x017F;ere Augen muthwillig vor<lb/>
un&#x017F;ern Fehlern zu&#x017F;chließen; da wir aus fal&#x017F;cher<lb/>
Eigenliebe un&#x017F;ere &#x017F;chlimm&#x017F;ten Gewohnheiten ent-<lb/>
&#x017F;chuldigen, und die grö&#x017F;ten La&#x017F;ter für unbedeutend<lb/>
halten, &#x017F;o müßen wir Gott um Erleuchtung anru-<lb/>
fen, daß er uns doch un&#x017F;ern Seelenzu&#x017F;tand recht<lb/>
nach der Wahrheit wolle zu erkennen geben, &#x017F;o wie<lb/>
David bat: <hi rendition="#fr">Erfor&#x017F;che mich Gott und erfah-<lb/>
re mein Herz, prüfe mich und gieb mir zu erken-<lb/>
nen, wie ich es meine</hi> P&#x017F;. 139. Weil die&#x017F;es ei-<lb/>
ne &#x017F;o wichtige Sache i&#x017F;t, &#x017F;o wird in der Schrift &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ehr auf die <hi rendition="#fr">Erkenntnis</hi> der Sünden gedrungen,<lb/>
und &#x017F;ie wird oft für die Bekehrung &#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;etzt,<lb/>
weil &#x017F;ie der Anfang der&#x017F;elben i&#x017F;t. <hi rendition="#fr">Ich bin barm-<lb/>
herzig, &#x017F;pricht der Herr, und will nicht ewi-<lb/>
glich zürnen. Allein erkenne deine Mißethat,<lb/>
daß du wider den Herren deinen Gott ge&#x017F;ündi-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">get</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[59/0071] Gottes zu begnadigen. hat, und dennoch bey der nächſten Gelegenheit ſei- nem wirklichen oder vermeinten Feind durch Ver- leumdung, oder auf eine andere Weiſe zu ſchaden ſucht. Wenn ſolche Leute nun doch noch von Reue und Betrübnis über ihre Sünden ſprechen, heiſt das nicht mit Worten ſpielen, oder ſelbſt nicht wißen was man ſagt? Bey einer aufrichtigen, wahren Reue muß die überzeugende Erkenntnis des Unrechts nothwendig zum Grunde liegen. Man muß ſelber über ſeinen Lebenswandel nachgedacht, und ſein Verhalten ſtrafwürdig befunden haben. Zu dieſer Ueberzeugung gelangt man durch eine ſorgfältige Prüfung ſeines Herzens und Lebens, die man oft mit einer unpartheyiſchen Strenge mit ſich anſtellen muß. Da wir aber ſo verblendet ſind, daß wir gemeiniglich unſere Augen muthwillig vor unſern Fehlern zuſchließen; da wir aus falſcher Eigenliebe unſere ſchlimmſten Gewohnheiten ent- ſchuldigen, und die gröſten Laſter für unbedeutend halten, ſo müßen wir Gott um Erleuchtung anru- fen, daß er uns doch unſern Seelenzuſtand recht nach der Wahrheit wolle zu erkennen geben, ſo wie David bat: Erforſche mich Gott und erfah- re mein Herz, prüfe mich und gieb mir zu erken- nen, wie ich es meine Pſ. 139. Weil dieſes ei- ne ſo wichtige Sache iſt, ſo wird in der Schrift ſo ſehr auf die Erkenntnis der Sünden gedrungen, und ſie wird oft für die Bekehrung ſelbſt geſetzt, weil ſie der Anfang derſelben iſt. Ich bin barm- herzig, ſpricht der Herr, und will nicht ewi- glich zürnen. Allein erkenne deine Mißethat, daß du wider den Herren deinen Gott geſündi- get

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/71
Zitationshilfe: Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/71>, abgerufen am 18.07.2024.