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Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.

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warum uns Gott die Beschaffenh. etc.
den können, wenn uns ein anderer als der ge-
genwärtige Zustand wäre angewiesen worden,
oder wir müsten ganz andere Geschöpfe seyn als
wir gegenwärtig sind. Sollen wir geprüft wer-
den, so müßen sich Schwierigkeiten und Ver-
suchungen bey Vollbringung unserer Pflichten fin-
den. Daher hat Gott zwar unserer Tugend
große Gnadenbelohnungen versprochen, aber die
Natur nnd Beschaffenheit derselben in einer ge-
wißen Dunkelheit gelaßen. Unsere Natur ist
so eingerichtet, daß göttliche Dinge zwar einen
lebhaften Eindruck in unsere Gemüther machen
können, dabey aber unsere sinnlichen Begierden
so stark sind, daß wir immer auf Mittel bedacht
seyn müßen, sie zu mäßigen und in der gehöri-
gen Ordnung zu erhalten. Dieser Kampf wi-
der unsere unordentlichen Begierden und Leiden-
schaften ist zwar ungemein schwer; aber der
Sieg ist desto rühmlicher. So werden wir in der
Gedult, Mäßigkeit, Selbstverleugnung, Gelaßenheit
Sanftmuth, Versöhnlichkeit, und andern großen
Tugenden geübet. Aber alle diese Tugenden
würden wegfallen und die Ausübung derselben wür-
de völlig überflüßig seyn, wenn die Gerechten
ihre Belohnungen schon ietzt auf das deutlichste
vor Augen sähen. Wie könnte unsere Aufrich-
tigkeit geprüft werden, wenn keine Versuchung da
wäre, wenn eine iede irdische Neigung durch die über-
wiegende Vorstellung der Ewigkeit augenblicklich
vernichtet würde? Was für Gelegenheiten würden
wir noch haben, unsere Kräfte anzustrengen, und
uns in der Tugend zu üben? Man nehme die
Dunkelheit, in welche die Zukunft eingehüllet ist,

hin-

warum uns Gott die Beſchaffenh. ꝛc.
den können, wenn uns ein anderer als der ge-
genwärtige Zuſtand wäre angewieſen worden,
oder wir müſten ganz andere Geſchöpfe ſeyn als
wir gegenwärtig ſind. Sollen wir geprüft wer-
den, ſo müßen ſich Schwierigkeiten und Ver-
ſuchungen bey Vollbringung unſerer Pflichten fin-
den. Daher hat Gott zwar unſerer Tugend
große Gnadenbelohnungen verſprochen, aber die
Natur nnd Beſchaffenheit derſelben in einer ge-
wißen Dunkelheit gelaßen. Unſere Natur iſt
ſo eingerichtet, daß göttliche Dinge zwar einen
lebhaften Eindruck in unſere Gemüther machen
können, dabey aber unſere ſinnlichen Begierden
ſo ſtark ſind, daß wir immer auf Mittel bedacht
ſeyn müßen, ſie zu mäßigen und in der gehöri-
gen Ordnung zu erhalten. Dieſer Kampf wi-
der unſere unordentlichen Begierden und Leiden-
ſchaften iſt zwar ungemein ſchwer; aber der
Sieg iſt deſto rühmlicher. So werden wir in der
Gedult, Mäßigkeit, Selbſtverleugnung, Gelaßenheit
Sanftmuth, Verſöhnlichkeit, und andern großen
Tugenden geübet. Aber alle dieſe Tugenden
würden wegfallen und die Ausübung derſelben wür-
de völlig überflüßig ſeyn, wenn die Gerechten
ihre Belohnungen ſchon ietzt auf das deutlichſte
vor Augen ſähen. Wie könnte unſere Aufrich-
tigkeit geprüft werden, wenn keine Verſuchung da
wäre, wenn eine iede irdiſche Neigung durch die über-
wiegende Vorſtellung der Ewigkeit augenblicklich
vernichtet würde? Was für Gelegenheiten würden
wir noch haben, unſere Kräfte anzuſtrengen, und
uns in der Tugend zu üben? Man nehme die
Dunkelheit, in welche die Zukunft eingehüllet iſt,

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[265[263]/0275] warum uns Gott die Beſchaffenh. ꝛc. den können, wenn uns ein anderer als der ge- genwärtige Zuſtand wäre angewieſen worden, oder wir müſten ganz andere Geſchöpfe ſeyn als wir gegenwärtig ſind. Sollen wir geprüft wer- den, ſo müßen ſich Schwierigkeiten und Ver- ſuchungen bey Vollbringung unſerer Pflichten fin- den. Daher hat Gott zwar unſerer Tugend große Gnadenbelohnungen verſprochen, aber die Natur nnd Beſchaffenheit derſelben in einer ge- wißen Dunkelheit gelaßen. Unſere Natur iſt ſo eingerichtet, daß göttliche Dinge zwar einen lebhaften Eindruck in unſere Gemüther machen können, dabey aber unſere ſinnlichen Begierden ſo ſtark ſind, daß wir immer auf Mittel bedacht ſeyn müßen, ſie zu mäßigen und in der gehöri- gen Ordnung zu erhalten. Dieſer Kampf wi- der unſere unordentlichen Begierden und Leiden- ſchaften iſt zwar ungemein ſchwer; aber der Sieg iſt deſto rühmlicher. So werden wir in der Gedult, Mäßigkeit, Selbſtverleugnung, Gelaßenheit Sanftmuth, Verſöhnlichkeit, und andern großen Tugenden geübet. Aber alle dieſe Tugenden würden wegfallen und die Ausübung derſelben wür- de völlig überflüßig ſeyn, wenn die Gerechten ihre Belohnungen ſchon ietzt auf das deutlichſte vor Augen ſähen. Wie könnte unſere Aufrich- tigkeit geprüft werden, wenn keine Verſuchung da wäre, wenn eine iede irdiſche Neigung durch die über- wiegende Vorſtellung der Ewigkeit augenblicklich vernichtet würde? Was für Gelegenheiten würden wir noch haben, unſere Kräfte anzuſtrengen, und uns in der Tugend zu üben? Man nehme die Dunkelheit, in welche die Zukunft eingehüllet iſt, hin-

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Zitationshilfe: Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 265[263]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/275>, abgerufen am 18.07.2024.