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Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.

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warum uns Gott die Beschaffenh. etc.
daraus bewiesen, weil wir sie auch in der Ewig-
keit ausüben werden, da hingegen alle äußerliche
Vorzüge in ienem Leben aufhören werden. Selbst
die Einsichten von göttlichen und menschlichen
Dingen, die wir ietzt haben, werden zum Theil
aufhören, weil sie nicht mehr nöthig seyn werden,
zum Theil aber um ein merkliches verbeßert werden
müßen, weil sie ietzt gar zu unvollkommen sind.
Selbst die Apostel musten das demüthige Bekennt-
nis ablegen: Unser Wißen ist Stückwerk, unse-
re Einsichten in die göttlichen Wahrheiten sind
noch unvollkommen, und unser Weißagen ist
Stückwerk,
was wir aus göttlicher Offenbarung
erkennen, ist mangelhaft. Richtig und gewiß wa-
ren zwar ihre Kenntniße und Einsichten; aber sie
wusten bey weitem noch nicht alles, was sie viel-
leicht selbst zu wißen wünschten. Sie musten sich
an dem begnügen laßen, was ihnen Gott durch
seinen Geist zu ihrem und anderer Menschen Besten
entdeckte. Vieles von dem, was sie wusten, ge-
hörte nur für den unvollkommenen Zustand dieses
gegenwärtigen Lebens, und wird einst in der Ewig-
keit entbehrlich seyn. Wenn aber kommen wird
das Vollkommene,
wenn einst in ienem Leben
unser Zustand vollkommener werden wird, als er
hienieden auf Erden war, dann wird das Stück-
werk aufhören,
und alles Unvollkommene von selbst
wegfallen. Wenn solche erleuchtete Männer, die
Gott seiner besondern Offenbarungen würdigte,
sich nur für Anfänger in der Erkenntnis göttlicher
Wahrheiten halten müßen, was wollen denn wir
stolz auf unsere Einsichten seyn, die wir wieder als

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warum uns Gott die Beſchaffenh. ꝛc.
daraus bewieſen, weil wir ſie auch in der Ewig-
keit ausüben werden, da hingegen alle äußerliche
Vorzüge in ienem Leben aufhören werden. Selbſt
die Einſichten von göttlichen und menſchlichen
Dingen, die wir ietzt haben, werden zum Theil
aufhören, weil ſie nicht mehr nöthig ſeyn werden,
zum Theil aber um ein merkliches verbeßert werden
müßen, weil ſie ietzt gar zu unvollkommen ſind.
Selbſt die Apoſtel muſten das demüthige Bekennt-
nis ablegen: Unſer Wißen iſt Stückwerk, unſe-
re Einſichten in die göttlichen Wahrheiten ſind
noch unvollkommen, und unſer Weißagen iſt
Stückwerk,
was wir aus göttlicher Offenbarung
erkennen, iſt mangelhaft. Richtig und gewiß wa-
ren zwar ihre Kenntniße und Einſichten; aber ſie
wuſten bey weitem noch nicht alles, was ſie viel-
leicht ſelbſt zu wißen wünſchten. Sie muſten ſich
an dem begnügen laßen, was ihnen Gott durch
ſeinen Geiſt zu ihrem und anderer Menſchen Beſten
entdeckte. Vieles von dem, was ſie wuſten, ge-
hörte nur für den unvollkommenen Zuſtand dieſes
gegenwärtigen Lebens, und wird einſt in der Ewig-
keit entbehrlich ſeyn. Wenn aber kommen wird
das Vollkommene,
wenn einſt in ienem Leben
unſer Zuſtand vollkommener werden wird, als er
hienieden auf Erden war, dann wird das Stück-
werk aufhören,
und alles Unvollkommene von ſelbſt
wegfallen. Wenn ſolche erleuchtete Männer, die
Gott ſeiner beſondern Offenbarungen würdigte,
ſich nur für Anfänger in der Erkenntnis göttlicher
Wahrheiten halten müßen, was wollen denn wir
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[259[257]/0269] warum uns Gott die Beſchaffenh. ꝛc. daraus bewieſen, weil wir ſie auch in der Ewig- keit ausüben werden, da hingegen alle äußerliche Vorzüge in ienem Leben aufhören werden. Selbſt die Einſichten von göttlichen und menſchlichen Dingen, die wir ietzt haben, werden zum Theil aufhören, weil ſie nicht mehr nöthig ſeyn werden, zum Theil aber um ein merkliches verbeßert werden müßen, weil ſie ietzt gar zu unvollkommen ſind. Selbſt die Apoſtel muſten das demüthige Bekennt- nis ablegen: Unſer Wißen iſt Stückwerk, unſe- re Einſichten in die göttlichen Wahrheiten ſind noch unvollkommen, und unſer Weißagen iſt Stückwerk, was wir aus göttlicher Offenbarung erkennen, iſt mangelhaft. Richtig und gewiß wa- ren zwar ihre Kenntniße und Einſichten; aber ſie wuſten bey weitem noch nicht alles, was ſie viel- leicht ſelbſt zu wißen wünſchten. Sie muſten ſich an dem begnügen laßen, was ihnen Gott durch ſeinen Geiſt zu ihrem und anderer Menſchen Beſten entdeckte. Vieles von dem, was ſie wuſten, ge- hörte nur für den unvollkommenen Zuſtand dieſes gegenwärtigen Lebens, und wird einſt in der Ewig- keit entbehrlich ſeyn. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, wenn einſt in ienem Leben unſer Zuſtand vollkommener werden wird, als er hienieden auf Erden war, dann wird das Stück- werk aufhören, und alles Unvollkommene von ſelbſt wegfallen. Wenn ſolche erleuchtete Männer, die Gott ſeiner beſondern Offenbarungen würdigte, ſich nur für Anfänger in der Erkenntnis göttlicher Wahrheiten halten müßen, was wollen denn wir ſtolz auf unſere Einſichten ſeyn, die wir wieder als de- R

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Zitationshilfe: Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 259[257]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/269>, abgerufen am 18.07.2024.