wandeln kann. Zähle meine Thränen; ohne Zweifel du zählest sie. Psalm. 56, 9. -- Und die mit Thränen säen, werden mit Freuden erndten.
Auf so mancherley Art, kann das öftere An- denken an die Allgegenwart und Allwißenheit unsers Gottes unsere Gemüther beßern und beruhigen. Aber wie oft sind uns bisher dergleichen Gedanken beygefallen? Die christliche Religion bietet uns al- lerhand Mittel dar, unsere Gemüther zu beßern, uns die Sünde verhast, und die Tugend liebens- würdig zu machen. Aber was nutzt es uns, wenn wir sie zwar alle kennen, und zum Theil auch scharfsinnig davon sprechen können, aber von kei- nem einzigen den rechten Gebrauch machen? So ist es gerade mit dieser Wahrheit. Wir wißen sie alle, und es werden wohl wenige Christen seyn, die iemahls in ihrem Leben daran sollten gezweifelt haben. Aber, wenn wir gewohnt wären, sie auf eine christliche und Gott wohlgefällige Art zu ge- brauchen und anzuwenden, müsten wir nicht ganz andere Menschen seyn, als wir wirklich sind? Lehrt nicht die betrübte Erfahrung, daß ungemein viele Menschen so denken, reden und handeln, als ob sie nie etwas von dieser Wahrheit gehört hätten? Wenn alle die Sünden, die im finstern begangen werden, wenn so manches Geheimnis der Bosheit, das solange die Welt steht in einer finstern Nacht verborgen bleiben wird, wenn so manche Tücke und gottlose Anschläge des Heuchlers auf einmal offenbar werden sollten, würden sich nicht alle Tu- gendhafte und redliche Menschen entsetzen? Wür-
de
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Allwißenheit Gottes.
wandeln kann. Zähle meine Thränen; ohne Zweifel du zähleſt ſie. Pſalm. 56, 9. — Und die mit Thränen ſäen, werden mit Freuden erndten.
Auf ſo mancherley Art, kann das öftere An- denken an die Allgegenwart und Allwißenheit unſers Gottes unſere Gemüther beßern und beruhigen. Aber wie oft ſind uns bisher dergleichen Gedanken beygefallen? Die chriſtliche Religion bietet uns al- lerhand Mittel dar, unſere Gemüther zu beßern, uns die Sünde verhaſt, und die Tugend liebens- würdig zu machen. Aber was nutzt es uns, wenn wir ſie zwar alle kennen, und zum Theil auch ſcharfſinnig davon ſprechen können, aber von kei- nem einzigen den rechten Gebrauch machen? So iſt es gerade mit dieſer Wahrheit. Wir wißen ſie alle, und es werden wohl wenige Chriſten ſeyn, die iemahls in ihrem Leben daran ſollten gezweifelt haben. Aber, wenn wir gewohnt wären, ſie auf eine chriſtliche und Gott wohlgefällige Art zu ge- brauchen und anzuwenden, müſten wir nicht ganz andere Menſchen ſeyn, als wir wirklich ſind? Lehrt nicht die betrübte Erfahrung, daß ungemein viele Menſchen ſo denken, reden und handeln, als ob ſie nie etwas von dieſer Wahrheit gehört hätten? Wenn alle die Sünden, die im finſtern begangen werden, wenn ſo manches Geheimnis der Bosheit, das ſolange die Welt ſteht in einer finſtern Nacht verborgen bleiben wird, wenn ſo manche Tücke und gottloſe Anſchläge des Heuchlers auf einmal offenbar werden ſollten, würden ſich nicht alle Tu- gendhafte und redliche Menſchen entſetzen? Wür-
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Allwißenheit Gottes.
wandeln kann. Zähle meine Thränen; ohne
Zweifel du zähleſt ſie. Pſalm. 56, 9. — Und
die mit Thränen ſäen, werden mit Freuden
erndten.
Auf ſo mancherley Art, kann das öftere An-
denken an die Allgegenwart und Allwißenheit unſers
Gottes unſere Gemüther beßern und beruhigen.
Aber wie oft ſind uns bisher dergleichen Gedanken
beygefallen? Die chriſtliche Religion bietet uns al-
lerhand Mittel dar, unſere Gemüther zu beßern,
uns die Sünde verhaſt, und die Tugend liebens-
würdig zu machen. Aber was nutzt es uns, wenn
wir ſie zwar alle kennen, und zum Theil auch
ſcharfſinnig davon ſprechen können, aber von kei-
nem einzigen den rechten Gebrauch machen? So
iſt es gerade mit dieſer Wahrheit. Wir wißen ſie
alle, und es werden wohl wenige Chriſten ſeyn,
die iemahls in ihrem Leben daran ſollten gezweifelt
haben. Aber, wenn wir gewohnt wären, ſie auf
eine chriſtliche und Gott wohlgefällige Art zu ge-
brauchen und anzuwenden, müſten wir nicht ganz
andere Menſchen ſeyn, als wir wirklich ſind? Lehrt
nicht die betrübte Erfahrung, daß ungemein viele
Menſchen ſo denken, reden und handeln, als ob
ſie nie etwas von dieſer Wahrheit gehört hätten?
Wenn alle die Sünden, die im finſtern begangen
werden, wenn ſo manches Geheimnis der Bosheit,
das ſolange die Welt ſteht in einer finſtern Nacht
verborgen bleiben wird, wenn ſo manche Tücke
und gottloſe Anſchläge des Heuchlers auf einmal
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Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/245>, abgerufen am 18.07.2024.
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