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Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.

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Allwißenheit Gottes.
wißest. Du schaffest es, was ich vor oder
hernach thue,
oder vielmehr: Dein scharfsehen-
des Auge umgiebt mich auf allen Seiten, und
hältest deine Hand über mir,
bist allenthalben so
nahe um mich, daß deine Hand mich erreicht.
Menschen, Christen, möchtet ihr doch euch diesen
Gedanken in seiner vollen Stärke und Lebhaftigkeit
denken! Euer Schöpfer und höchster Wohlthäter,
aber auch euer höchster Gesetzgeber und Richter,
vor dessen Richterstuhl ihr einstens alle erscheinen
müßt, der alleine seelig machen und verdammen
kann -- dieser sieht alle eure Thaten, zwar auch
ieden guten Gedanken, eine iede fromme Regung,
die keinem Menschen bekannt ist, aber auch alle eu-
re Sünden, die öffentlich und die im verborgensten
Winkel begangen werden -- weiß iedes Wort,
das eure Zunge ausspricht, iede geheime Absicht
und Triebfeder eurer Handlungen, iede Tücke und
Falschheit, womit ihr euren Nebenmenschen zu
hintergehen suchet. Hier ist schlechterdings keine
Ausnahme. Der Monarch so wenig als der ge-
ringste Taglöhner, der Weise so wenig als der
Thor kann sich seinen allsehenden Blicken entziehen.
Ja, Gott kennet schon unsere Gedanken von ferne,
wie sich der heilige Dichter ausdrückt, lange zuvor,
ehe sie noch in unsern Seelen entstehen. So gut
ihm, noch ehe wir gebohren waren, die Zahl
unsrer künftigen Lebenstage bekannt war, so gut
war ihm auch iede unserer Veränderungen, bis auf
die kleinste, so bekannt, als ob sie schon wirklich
vorgegangen wäre.

Eine
P 2

Allwißenheit Gottes.
wißeſt. Du ſchaffeſt es, was ich vor oder
hernach thue,
oder vielmehr: Dein ſcharfſehen-
des Auge umgiebt mich auf allen Seiten, und
hälteſt deine Hand über mir,
biſt allenthalben ſo
nahe um mich, daß deine Hand mich erreicht.
Menſchen, Chriſten, möchtet ihr doch euch dieſen
Gedanken in ſeiner vollen Stärke und Lebhaftigkeit
denken! Euer Schöpfer und höchſter Wohlthäter,
aber auch euer höchſter Geſetzgeber und Richter,
vor deſſen Richterſtuhl ihr einſtens alle erſcheinen
müßt, der alleine ſeelig machen und verdammen
kann — dieſer ſieht alle eure Thaten, zwar auch
ieden guten Gedanken, eine iede fromme Regung,
die keinem Menſchen bekannt iſt, aber auch alle eu-
re Sünden, die öffentlich und die im verborgenſten
Winkel begangen werden — weiß iedes Wort,
das eure Zunge ausſpricht, iede geheime Abſicht
und Triebfeder eurer Handlungen, iede Tücke und
Falſchheit, womit ihr euren Nebenmenſchen zu
hintergehen ſuchet. Hier iſt ſchlechterdings keine
Ausnahme. Der Monarch ſo wenig als der ge-
ringſte Taglöhner, der Weiſe ſo wenig als der
Thor kann ſich ſeinen allſehenden Blicken entziehen.
Ja, Gott kennet ſchon unſere Gedanken von ferne,
wie ſich der heilige Dichter ausdrückt, lange zuvor,
ehe ſie noch in unſern Seelen entſtehen. So gut
ihm, noch ehe wir gebohren waren, die Zahl
unſrer künftigen Lebenstage bekannt war, ſo gut
war ihm auch iede unſerer Veränderungen, bis auf
die kleinſte, ſo bekannt, als ob ſie ſchon wirklich
vorgegangen wäre.

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[227/0239] Allwißenheit Gottes. wißeſt. Du ſchaffeſt es, was ich vor oder hernach thue, oder vielmehr: Dein ſcharfſehen- des Auge umgiebt mich auf allen Seiten, und hälteſt deine Hand über mir, biſt allenthalben ſo nahe um mich, daß deine Hand mich erreicht. Menſchen, Chriſten, möchtet ihr doch euch dieſen Gedanken in ſeiner vollen Stärke und Lebhaftigkeit denken! Euer Schöpfer und höchſter Wohlthäter, aber auch euer höchſter Geſetzgeber und Richter, vor deſſen Richterſtuhl ihr einſtens alle erſcheinen müßt, der alleine ſeelig machen und verdammen kann — dieſer ſieht alle eure Thaten, zwar auch ieden guten Gedanken, eine iede fromme Regung, die keinem Menſchen bekannt iſt, aber auch alle eu- re Sünden, die öffentlich und die im verborgenſten Winkel begangen werden — weiß iedes Wort, das eure Zunge ausſpricht, iede geheime Abſicht und Triebfeder eurer Handlungen, iede Tücke und Falſchheit, womit ihr euren Nebenmenſchen zu hintergehen ſuchet. Hier iſt ſchlechterdings keine Ausnahme. Der Monarch ſo wenig als der ge- ringſte Taglöhner, der Weiſe ſo wenig als der Thor kann ſich ſeinen allſehenden Blicken entziehen. Ja, Gott kennet ſchon unſere Gedanken von ferne, wie ſich der heilige Dichter ausdrückt, lange zuvor, ehe ſie noch in unſern Seelen entſtehen. So gut ihm, noch ehe wir gebohren waren, die Zahl unſrer künftigen Lebenstage bekannt war, ſo gut war ihm auch iede unſerer Veränderungen, bis auf die kleinſte, ſo bekannt, als ob ſie ſchon wirklich vorgegangen wäre. Eine P 2

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Zitationshilfe: Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/239>, abgerufen am 24.11.2024.