Funfzehnte Betrachtung. Von der Allwißenheit Gottes.
Ueber Ps. 139, 1 -- 12. Herr du erforschest mich und kennst mich. Ich sitze, oder stehe auf, so weißest du es, und verstehesi meine Gedanken von ferne. Ich gehe oder liege, so bist du um mich, und siehest alle meine Wege. Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zungen, daß du, Herr, nicht alles wißest. Du schaffest es, was ich vor oder hernach thue, und hältest deine Hand über mir. Solches Erkenntniß ist mir zu wunderlich und zu hoch, ich kans nicht begreiffen. Wo soll ich hingehen für deinem Geiste? Und wo soll ich hinfliehen für deinem Angesichte? Führe ich gen Him- mel, so bist du da, bettete ich mir in die Hölle, siehe so bist du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröthe, und bliebe am äusersten Meer, so würde mich doch deine Hand daselbst führen, und deine Rechte mich halten. Spräche ich: Finsterniß mö- ge mich decken, so muß die Nacht auch Licht um mich seyn. Denn auch Finsterniß nicht finster ist bey dir, und die Nacht leuch- tet wie der Tag, Finsterniß ist wie das Licht.
David
Funfzehnte Betr. Von der
Funfzehnte Betrachtung. Von der Allwißenheit Gottes.
Ueber Pſ. 139, 1 — 12. Herr du erforſcheſt mich und kennſt mich. Ich ſitze, oder ſtehe auf, ſo weißeſt du es, und verſteheſi meine Gedanken von ferne. Ich gehe oder liege, ſo biſt du um mich, und ſieheſt alle meine Wege. Denn ſiehe, es iſt kein Wort auf meiner Zungen, daß du, Herr, nicht alles wißeſt. Du ſchaffeſt es, was ich vor oder hernach thue, und hälteſt deine Hand über mir. Solches Erkenntniß iſt mir zu wunderlich und zu hoch, ich kans nicht begreiffen. Wo ſoll ich hingehen für deinem Geiſte? Und wo ſoll ich hinfliehen für deinem Angeſichte? Führe ich gen Him- mel, ſo biſt du da, bettete ich mir in die Hölle, ſiehe ſo biſt du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröthe, und bliebe am äuſerſten Meer, ſo würde mich doch deine Hand daſelbſt führen, und deine Rechte mich halten. Spräche ich: Finſterniß mö- ge mich decken, ſo muß die Nacht auch Licht um mich ſeyn. Denn auch Finſterniß nicht finſter iſt bey dir, und die Nacht leuch- tet wie der Tag, Finſterniß iſt wie das Licht.
David
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Funfzehnte Betr. Von der
Funfzehnte Betrachtung.
Von der Allwißenheit Gottes.
Ueber Pſ. 139, 1 — 12.
Herr du erforſcheſt mich und kennſt mich. Ich
ſitze, oder ſtehe auf, ſo weißeſt du es, und
verſteheſi meine Gedanken von ferne. Ich
gehe oder liege, ſo biſt du um mich, und
ſieheſt alle meine Wege. Denn ſiehe, es iſt
kein Wort auf meiner Zungen, daß du,
Herr, nicht alles wißeſt. Du ſchaffeſt es,
was ich vor oder hernach thue, und hälteſt
deine Hand über mir. Solches Erkenntniß
iſt mir zu wunderlich und zu hoch, ich kans
nicht begreiffen. Wo ſoll ich hingehen für
deinem Geiſte? Und wo ſoll ich hinfliehen
für deinem Angeſichte? Führe ich gen Him-
mel, ſo biſt du da, bettete ich mir in die
Hölle, ſiehe ſo biſt du auch da. Nähme
ich Flügel der Morgenröthe, und bliebe am
äuſerſten Meer, ſo würde mich doch deine
Hand daſelbſt führen, und deine Rechte
mich halten. Spräche ich: Finſterniß mö-
ge mich decken, ſo muß die Nacht auch
Licht um mich ſeyn. Denn auch Finſterniß
nicht finſter iſt bey dir, und die Nacht leuch-
tet wie der Tag, Finſterniß iſt wie das Licht.
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Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/234>, abgerufen am 18.07.2024.
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