Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.Vierzehnte Betr. Von der nothwend. sten noch solche Begierden in sich vermerken, leug-net Paulus nicht. Die Erfahrung lehret auch, daß die frömmsten Christen noch über aufsteigende sündliche Gedanken klagen müßen. Die Disposi- tion ihres Körpers, die Beschaffenheit ihres Ge- blüts, ihr Temperament kan viel dazu beytragen, daß die Aufwallungen des Zorns, die Versuchun- gen zur Unkeuschheit, zur Wollust, zum Ehrgeiz bey ihnen sehr stark sind; und sie werden es wohl nie so weit bringen, daß es ihnen gelingen sollte, diese Unarten völlig aus ihren Herzen auszurotten. Aber als Christen haben sie so viel Macht über sich selbst, daß sie sich nicht mehr genöthiget sehen, nach dem Fleisch zu leben. Sie achten sich viel- mehr schuldig und verbunden, und es gelingt ihnen auch wirklich, die aufsteigenden bösen Lüste bey Zeiten zu unterdrücken, daß sie nicht in die That ausbrechen können. So empfinden sie oft Auf- wallungen des Zorns, wo sie nicht zürnen sollten; aber sie haben gelernt an sich zu halten daß sie nicht dasienige thun, was ihnen die erste Hitze anräth, sondern vielmehr ihre Leidenschaft unterdrücken, oh- ne sie in die That ausbrechen zu laßen. Oder wenn sie sich auch bisweilen in einem heftigen Sturm ihrer Leidenschaft einigermaßen vergehen, so besinnen sie sich doch bald eines andern, erken- nen und bereuen das begangene Unrecht, und su- chen den zu Schulden gebrachten Fehler wieder zu verbeßern. Auf solche Art haben sie die Herrschaft über alle ihre Affecten, Begierden und Leidenschaf- ten erlangt, daß sie selbige in Ordnung zu erhal- ten, und zu besiegen wißen. Das ist es, was Pau-
Vierzehnte Betr. Von der nothwend. ſten noch ſolche Begierden in ſich vermerken, leug-net Paulus nicht. Die Erfahrung lehret auch, daß die frömmſten Chriſten noch über aufſteigende ſündliche Gedanken klagen müßen. Die Diſpoſi- tion ihres Körpers, die Beſchaffenheit ihres Ge- blüts, ihr Temperament kan viel dazu beytragen, daß die Aufwallungen des Zorns, die Verſuchun- gen zur Unkeuſchheit, zur Wolluſt, zum Ehrgeiz bey ihnen ſehr ſtark ſind; und ſie werden es wohl nie ſo weit bringen, daß es ihnen gelingen ſollte, dieſe Unarten völlig aus ihren Herzen auszurotten. Aber als Chriſten haben ſie ſo viel Macht über ſich ſelbſt, daß ſie ſich nicht mehr genöthiget ſehen, nach dem Fleiſch zu leben. Sie achten ſich viel- mehr ſchuldig und verbunden, und es gelingt ihnen auch wirklich, die aufſteigenden böſen Lüſte bey Zeiten zu unterdrücken, daß ſie nicht in die That ausbrechen können. So empfinden ſie oft Auf- wallungen des Zorns, wo ſie nicht zürnen ſollten; aber ſie haben gelernt an ſich zu halten daß ſie nicht dasienige thun, was ihnen die erſte Hitze anräth, ſondern vielmehr ihre Leidenſchaft unterdrücken, oh- ne ſie in die That ausbrechen zu laßen. Oder wenn ſie ſich auch bisweilen in einem heftigen Sturm ihrer Leidenſchaft einigermaßen vergehen, ſo beſinnen ſie ſich doch bald eines andern, erken- nen und bereuen das begangene Unrecht, und ſu- chen den zu Schulden gebrachten Fehler wieder zu verbeßern. Auf ſolche Art haben ſie die Herrſchaft über alle ihre Affecten, Begierden und Leidenſchaf- ten erlangt, daß ſie ſelbige in Ordnung zu erhal- ten, und zu beſiegen wißen. Das iſt es, was Pau-
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Vierzehnte Betr. Von der nothwend.
ſten noch ſolche Begierden in ſich vermerken, leug-
net Paulus nicht. Die Erfahrung lehret auch,
daß die frömmſten Chriſten noch über aufſteigende
ſündliche Gedanken klagen müßen. Die Diſpoſi-
tion ihres Körpers, die Beſchaffenheit ihres Ge-
blüts, ihr Temperament kan viel dazu beytragen,
daß die Aufwallungen des Zorns, die Verſuchun-
gen zur Unkeuſchheit, zur Wolluſt, zum Ehrgeiz
bey ihnen ſehr ſtark ſind; und ſie werden es wohl
nie ſo weit bringen, daß es ihnen gelingen ſollte,
dieſe Unarten völlig aus ihren Herzen auszurotten.
Aber als Chriſten haben ſie ſo viel Macht über ſich
ſelbſt, daß ſie ſich nicht mehr genöthiget ſehen,
nach dem Fleiſch zu leben. Sie achten ſich viel-
mehr ſchuldig und verbunden, und es gelingt ihnen
auch wirklich, die aufſteigenden böſen Lüſte bey
Zeiten zu unterdrücken, daß ſie nicht in die That
ausbrechen können. So empfinden ſie oft Auf-
wallungen des Zorns, wo ſie nicht zürnen ſollten;
aber ſie haben gelernt an ſich zu halten daß ſie nicht
dasienige thun, was ihnen die erſte Hitze anräth,
ſondern vielmehr ihre Leidenſchaft unterdrücken, oh-
ne ſie in die That ausbrechen zu laßen. Oder
wenn ſie ſich auch bisweilen in einem heftigen
Sturm ihrer Leidenſchaft einigermaßen vergehen,
ſo beſinnen ſie ſich doch bald eines andern, erken-
nen und bereuen das begangene Unrecht, und ſu-
chen den zu Schulden gebrachten Fehler wieder zu
verbeßern. Auf ſolche Art haben ſie die Herrſchaft
über alle ihre Affecten, Begierden und Leidenſchaf-
ten erlangt, daß ſie ſelbige in Ordnung zu erhal-
ten, und zu beſiegen wißen. Das iſt es, was
Pau-
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