so wäre ich vergangen in meinem Elende. Ps. 119, 92.
Aber ich kan leicht vermuthen, daß es nicht an Leuten fehlen wird, die, wenn sie die Wahrheit bekennen sollten, würden gestehen müßen, daß sie von dem allen noch nichts erfahren, und daß sie bey widrigen Zufällen die bleibende Beruhigung von welcher ich spreche, in der Religion nicht gefunden haben. Denn es ist zwar kein Mensch leicht so ir- religiös, daß er nicht wenigstens in Tagen der Be- trübnis seine Zuflucht zu Gott nehmen, und Trost suchen sollte. Aber wir werden uns auch nicht wun- dern dürfen, wenn der Sünder, der in seinem ganzen übrigen Leben aus Gott und Religion nichts macht, oder doch mit seinem Leben verleugnet, was er mit dem Munde bekennet, daß, sage ich, ein sol- cher Sünder zur Zeit der Noth auch den Trost nicht schmecken und empfinden kan, der eigentlich nur für wahre Christen und aufrichtige Verehrer Gottes gehört. Wie aber? Wünschen wir nicht alle bey den mannichfaltigen Zufällen des menschli- chen Lebens ein Mittel zu kennen, wie wir unser Herz beruhigen, und auf eine dauerhafte Weise zufrieden stellen können? Einmahl leben wir doch in einer Welt, wo alles unbeständig ist, und wo wir zum öftern Trost nöthig haben. Der glück- lichste Mensch weiß nicht, was ihm über kurz oder über lang begegnen kan. Sollen alsdann die Trost- gründe der Religion ihre erwünschten Wirkungen äußern, so müßen wir schon vorher, ehe das Lei- den kommt, uns in einer Gemüthsfaßung befinden, in welcher wir diese Tröstungen zu empfinden fähig
sind,
Zwölfte Betr. Die Widerw. des Le.
ſo wäre ich vergangen in meinem Elende. Pſ. 119, 92.
Aber ich kan leicht vermuthen, daß es nicht an Leuten fehlen wird, die, wenn ſie die Wahrheit bekennen ſollten, würden geſtehen müßen, daß ſie von dem allen noch nichts erfahren, und daß ſie bey widrigen Zufällen die bleibende Beruhigung von welcher ich ſpreche, in der Religion nicht gefunden haben. Denn es iſt zwar kein Menſch leicht ſo ir- religiös, daß er nicht wenigſtens in Tagen der Be- trübnis ſeine Zuflucht zu Gott nehmen, und Troſt ſuchen ſollte. Aber wir werden uns auch nicht wun- dern dürfen, wenn der Sünder, der in ſeinem ganzen übrigen Leben aus Gott und Religion nichts macht, oder doch mit ſeinem Leben verleugnet, was er mit dem Munde bekennet, daß, ſage ich, ein ſol- cher Sünder zur Zeit der Noth auch den Troſt nicht ſchmecken und empfinden kan, der eigentlich nur für wahre Chriſten und aufrichtige Verehrer Gottes gehört. Wie aber? Wünſchen wir nicht alle bey den mannichfaltigen Zufällen des menſchli- chen Lebens ein Mittel zu kennen, wie wir unſer Herz beruhigen, und auf eine dauerhafte Weiſe zufrieden ſtellen können? Einmahl leben wir doch in einer Welt, wo alles unbeſtändig iſt, und wo wir zum öftern Troſt nöthig haben. Der glück- lichſte Menſch weiß nicht, was ihm über kurz oder über lang begegnen kan. Sollen alsdann die Troſt- gründe der Religion ihre erwünſchten Wirkungen äußern, ſo müßen wir ſchon vorher, ehe das Lei- den kommt, uns in einer Gemüthsfaßung befinden, in welcher wir dieſe Tröſtungen zu empfinden fähig
ſind,
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Zwölfte Betr. Die Widerw. des Le.
ſo wäre ich vergangen in meinem Elende.
Pſ. 119, 92.
Aber ich kan leicht vermuthen, daß es nicht
an Leuten fehlen wird, die, wenn ſie die Wahrheit
bekennen ſollten, würden geſtehen müßen, daß ſie
von dem allen noch nichts erfahren, und daß ſie
bey widrigen Zufällen die bleibende Beruhigung von
welcher ich ſpreche, in der Religion nicht gefunden
haben. Denn es iſt zwar kein Menſch leicht ſo ir-
religiös, daß er nicht wenigſtens in Tagen der Be-
trübnis ſeine Zuflucht zu Gott nehmen, und Troſt
ſuchen ſollte. Aber wir werden uns auch nicht wun-
dern dürfen, wenn der Sünder, der in ſeinem
ganzen übrigen Leben aus Gott und Religion nichts
macht, oder doch mit ſeinem Leben verleugnet, was
er mit dem Munde bekennet, daß, ſage ich, ein ſol-
cher Sünder zur Zeit der Noth auch den Troſt
nicht ſchmecken und empfinden kan, der eigentlich
nur für wahre Chriſten und aufrichtige Verehrer
Gottes gehört. Wie aber? Wünſchen wir nicht
alle bey den mannichfaltigen Zufällen des menſchli-
chen Lebens ein Mittel zu kennen, wie wir unſer
Herz beruhigen, und auf eine dauerhafte Weiſe
zufrieden ſtellen können? Einmahl leben wir doch
in einer Welt, wo alles unbeſtändig iſt, und wo
wir zum öftern Troſt nöthig haben. Der glück-
lichſte Menſch weiß nicht, was ihm über kurz oder
über lang begegnen kan. Sollen alsdann die Troſt-
gründe der Religion ihre erwünſchten Wirkungen
äußern, ſo müßen wir ſchon vorher, ehe das Lei-
den kommt, uns in einer Gemüthsfaßung befinden,
in welcher wir dieſe Tröſtungen zu empfinden fähig
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Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/184>, abgerufen am 16.02.2025.
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