Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.gegen Gott. angenehmen Stunden und Augenblicken unsers Le-bens würden wir nichts gewust, nichts empfunden haben, wenn sie uns Gott nicht geschenkt hätte. Ohne ihm würden wir nichts angenehmes denken, wünschen und empfinden können; ohne ihm würden wir in ganz eigentlichem Verstande nichts seyn. Gott ist die Liebe, der Urheber alles Guten und Angenehmen im Himmel und auf Erden, deßen allerhöchste Güte in einem ieden Geschöpfe von dem höchsten Seraph bis zu dem niedrigsten Wurm sichtbar ist, und der absonderlich allen seinen ver- nünftigen Geschöpfen, der auch dir und mir, und allen Menschen alle nur mögliche Glückseeligkeit verschaffen will. Aber wenn nur nicht auch so viel Böses in und
gegen Gott. angenehmen Stunden und Augenblicken unſers Le-bens würden wir nichts gewuſt, nichts empfunden haben, wenn ſie uns Gott nicht geſchenkt hätte. Ohne ihm würden wir nichts angenehmes denken, wünſchen und empfinden können; ohne ihm würden wir in ganz eigentlichem Verſtande nichts ſeyn. Gott iſt die Liebe, der Urheber alles Guten und Angenehmen im Himmel und auf Erden, deßen allerhöchſte Güte in einem ieden Geſchöpfe von dem höchſten Seraph bis zu dem niedrigſten Wurm ſichtbar iſt, und der abſonderlich allen ſeinen ver- nünftigen Geſchöpfen, der auch dir und mir, und allen Menſchen alle nur mögliche Glückſeeligkeit verſchaffen will. Aber wenn nur nicht auch ſo viel Böſes in und
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0169" n="157"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">gegen Gott.</hi></fw><lb/> angenehmen Stunden und Augenblicken unſers Le-<lb/> bens würden wir nichts gewuſt, nichts empfunden<lb/> haben, wenn ſie uns <hi rendition="#fr">Gott</hi> nicht geſchenkt hätte.<lb/> Ohne ihm würden wir nichts angenehmes denken,<lb/> wünſchen und empfinden können; ohne ihm würden<lb/> wir in ganz eigentlichem Verſtande nichts ſeyn.<lb/><hi rendition="#fr">Gott iſt die Liebe,</hi> der Urheber alles Guten und<lb/> Angenehmen im Himmel und auf Erden, deßen<lb/> allerhöchſte Güte in einem ieden Geſchöpfe von dem<lb/> höchſten Seraph bis zu dem niedrigſten Wurm<lb/> ſichtbar iſt, und der abſonderlich allen ſeinen <hi rendition="#fr">ver-<lb/> nünftigen</hi> Geſchöpfen, der auch dir und mir, und<lb/> allen Menſchen alle nur mögliche Glückſeeligkeit<lb/> verſchaffen will.</p><lb/> <p>Aber wenn nur nicht auch ſo viel Böſes in<lb/> der Welt wäre, höre ich den Unzufriednen ſpre-<lb/> chen! Alle dieſe Freuden der Natur ſind für mich<lb/> todt, ſind nichts, wenn ich Schmerzen an meinem<lb/> Körper empfinde, wenn mich eine böſe Zunge lä-<lb/> ſtert, wenn mich feindſeeliggeſinnte Menſchen be-<lb/> trüben und kränken. Iſt Gott die Liebe, warum<lb/> läßt er es zu, daß ſich unter die Annehmlichkeiten<lb/> des Lebens ſo vieles Bittere miſcht, daß Menſchen<lb/> ſich untereinander wie wilde Thiere verfolgen, und<lb/> die Erde zu einem Jammerthal, und das Leben zu<lb/> einer Laſt machen? Warum hat er nicht die Ein-<lb/> richtung gemacht, daß wir unſer Leben in beſtändi-<lb/> gen Freuden, ohne Schmerz und Sorge und Be-<lb/> trübnis und Furcht zubringen können? Aber, du<lb/> Undankbarer, möchte man wohl einem ſolchen ant-<lb/> worten, warum rechneſt du nur das Unangenehme<lb/> in deinem Leben, und vergißeſt die |weit größern<lb/> <fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [157/0169]
gegen Gott.
angenehmen Stunden und Augenblicken unſers Le-
bens würden wir nichts gewuſt, nichts empfunden
haben, wenn ſie uns Gott nicht geſchenkt hätte.
Ohne ihm würden wir nichts angenehmes denken,
wünſchen und empfinden können; ohne ihm würden
wir in ganz eigentlichem Verſtande nichts ſeyn.
Gott iſt die Liebe, der Urheber alles Guten und
Angenehmen im Himmel und auf Erden, deßen
allerhöchſte Güte in einem ieden Geſchöpfe von dem
höchſten Seraph bis zu dem niedrigſten Wurm
ſichtbar iſt, und der abſonderlich allen ſeinen ver-
nünftigen Geſchöpfen, der auch dir und mir, und
allen Menſchen alle nur mögliche Glückſeeligkeit
verſchaffen will.
Aber wenn nur nicht auch ſo viel Böſes in
der Welt wäre, höre ich den Unzufriednen ſpre-
chen! Alle dieſe Freuden der Natur ſind für mich
todt, ſind nichts, wenn ich Schmerzen an meinem
Körper empfinde, wenn mich eine böſe Zunge lä-
ſtert, wenn mich feindſeeliggeſinnte Menſchen be-
trüben und kränken. Iſt Gott die Liebe, warum
läßt er es zu, daß ſich unter die Annehmlichkeiten
des Lebens ſo vieles Bittere miſcht, daß Menſchen
ſich untereinander wie wilde Thiere verfolgen, und
die Erde zu einem Jammerthal, und das Leben zu
einer Laſt machen? Warum hat er nicht die Ein-
richtung gemacht, daß wir unſer Leben in beſtändi-
gen Freuden, ohne Schmerz und Sorge und Be-
trübnis und Furcht zubringen können? Aber, du
Undankbarer, möchte man wohl einem ſolchen ant-
worten, warum rechneſt du nur das Unangenehme
in deinem Leben, und vergißeſt die |weit größern
und
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/169 |
Zitationshilfe: | Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/169>, abgerufen am 16.02.2025. |