Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.Achte Betr. Die hohe Würde an den Höfen der Großen gesehen. Unter armenFischern, unter verachteten Zöllnern; mitten unter den Hülfsbedürftigen, Kranken, Lahmen, Blin- den und Elenden war sein gewöhnlicher Aufenthalt. So viel tausend Menschen erfreute er mit seiner wohlthätigen Hülfe, und er selbst hatte nicht so viel eigenes da er sein Haupt hätte hinlegen kön- nen. Luc. 9, 58. Er opferte sich ganz für das Wohl der Menschen auf, that die mühsamsten Rei- sen, behielt oft nicht so viel Zeit, daß er nur hät- te Speisen zu sich nehmen können, und durchwach- te doch noch ganze Nächte im Gebet und ernsthaf- ten Betrachtungen. Und dennoch wurde er für al- le seine Mühe und Arbeit von den mehresten seiner Zeitgenoßen mit Undank und Verachtung belohnt. Man schalt ihn einen Freund der Zöllner, einen Samariter, einen Unsinnigen. Bey dem allen wurde er nicht müde, sein großes Geschäfte mit dem grösten Eifer fortzusetzen. Kein Undank, kei- ne Verachtung, keine Lästerung seiner Feinde war vermögend seinen Muth darnieder zuschlagen. Im- mer hatte er das große Werk vor Augen, zu des- sen Ausführung ihn sein Vater gesandt hatte. Die Wuth seiner Feinde gieng endlich so weit, daß sie ihn zu dem schimpflichsten Tod verurtheilten. Auch dieses konnte seinen Muth nicht schwächen, weil er wuste, daß der Rathschluß seines Vaters Unterwerfung, Gedult und Standhaftigkeit von ihm verlange, weil er versichert war, daß sein äußerst schmerzlicher und schimpflicher Tod zum Heyl des menschlichen Geschlechts gereichen würde. Daher stieg er, so zu reden, auf die niedrigste Stufe
Achte Betr. Die hohe Würde an den Höfen der Großen geſehen. Unter armenFiſchern, unter verachteten Zöllnern; mitten unter den Hülfsbedürftigen, Kranken, Lahmen, Blin- den und Elenden war ſein gewöhnlicher Aufenthalt. So viel tauſend Menſchen erfreute er mit ſeiner wohlthätigen Hülfe, und er ſelbſt hatte nicht ſo viel eigenes da er ſein Haupt hätte hinlegen kön- nen. Luc. 9, 58. Er opferte ſich ganz für das Wohl der Menſchen auf, that die mühſamſten Rei- ſen, behielt oft nicht ſo viel Zeit, daß er nur hät- te Speiſen zu ſich nehmen können, und durchwach- te doch noch ganze Nächte im Gebet und ernſthaf- ten Betrachtungen. Und dennoch wurde er für al- le ſeine Mühe und Arbeit von den mehreſten ſeiner Zeitgenoßen mit Undank und Verachtung belohnt. Man ſchalt ihn einen Freund der Zöllner, einen Samariter, einen Unſinnigen. Bey dem allen wurde er nicht müde, ſein großes Geſchäfte mit dem gröſten Eifer fortzuſetzen. Kein Undank, kei- ne Verachtung, keine Läſterung ſeiner Feinde war vermögend ſeinen Muth darnieder zuſchlagen. Im- mer hatte er das große Werk vor Augen, zu deſ- ſen Ausführung ihn ſein Vater geſandt hatte. Die Wuth ſeiner Feinde gieng endlich ſo weit, daß ſie ihn zu dem ſchimpflichſten Tod verurtheilten. Auch dieſes konnte ſeinen Muth nicht ſchwächen, weil er wuſte, daß der Rathſchluß ſeines Vaters Unterwerfung, Gedult und Standhaftigkeit von ihm verlange, weil er verſichert war, daß ſein äußerſt ſchmerzlicher und ſchimpflicher Tod zum Heyl des menſchlichen Geſchlechts gereichen würde. Daher ſtieg er, ſo zu reden, auf die niedrigſte Stufe
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0120" n="108"/><fw place="top" type="header">Achte Betr. Die hohe Würde</fw><lb/> an den Höfen der Großen geſehen. Unter armen<lb/> Fiſchern, unter verachteten Zöllnern; mitten unter<lb/> den Hülfsbedürftigen, Kranken, Lahmen, Blin-<lb/> den und Elenden war ſein gewöhnlicher Aufenthalt.<lb/> So viel tauſend Menſchen erfreute er mit ſeiner<lb/> wohlthätigen Hülfe, und er ſelbſt hatte nicht ſo<lb/> viel eigenes <hi rendition="#fr">da er ſein Haupt hätte hinlegen kön-<lb/> nen.</hi> Luc. 9, 58. Er opferte ſich ganz für das<lb/> Wohl der Menſchen auf, that die mühſamſten Rei-<lb/> ſen, behielt oft nicht ſo viel Zeit, daß er nur hät-<lb/> te Speiſen zu ſich nehmen können, und durchwach-<lb/> te doch noch ganze Nächte im Gebet und ernſthaf-<lb/> ten Betrachtungen. Und dennoch wurde er für al-<lb/> le ſeine Mühe und Arbeit von den mehreſten ſeiner<lb/> Zeitgenoßen mit Undank und Verachtung belohnt.<lb/> Man ſchalt ihn einen Freund der Zöllner, einen<lb/> Samariter, einen Unſinnigen. Bey dem allen<lb/> wurde er nicht müde, ſein großes Geſchäfte mit<lb/> dem gröſten Eifer fortzuſetzen. Kein Undank, kei-<lb/> ne Verachtung, keine Läſterung ſeiner Feinde war<lb/> vermögend ſeinen Muth darnieder zuſchlagen. Im-<lb/> mer hatte er das große Werk vor Augen, zu deſ-<lb/> ſen Ausführung ihn ſein Vater geſandt hatte.<lb/> Die Wuth ſeiner Feinde gieng endlich ſo weit, daß<lb/> ſie ihn zu dem ſchimpflichſten Tod verurtheilten.<lb/> Auch dieſes konnte ſeinen Muth nicht ſchwächen,<lb/> weil er wuſte, daß der Rathſchluß ſeines Vaters<lb/> Unterwerfung, Gedult und Standhaftigkeit von<lb/> ihm verlange, weil er verſichert war, daß ſein<lb/> äußerſt ſchmerzlicher und ſchimpflicher Tod zum<lb/> Heyl des menſchlichen Geſchlechts gereichen würde.<lb/> Daher ſtieg er, ſo zu reden, auf die niedrigſte<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Stufe</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [108/0120]
Achte Betr. Die hohe Würde
an den Höfen der Großen geſehen. Unter armen
Fiſchern, unter verachteten Zöllnern; mitten unter
den Hülfsbedürftigen, Kranken, Lahmen, Blin-
den und Elenden war ſein gewöhnlicher Aufenthalt.
So viel tauſend Menſchen erfreute er mit ſeiner
wohlthätigen Hülfe, und er ſelbſt hatte nicht ſo
viel eigenes da er ſein Haupt hätte hinlegen kön-
nen. Luc. 9, 58. Er opferte ſich ganz für das
Wohl der Menſchen auf, that die mühſamſten Rei-
ſen, behielt oft nicht ſo viel Zeit, daß er nur hät-
te Speiſen zu ſich nehmen können, und durchwach-
te doch noch ganze Nächte im Gebet und ernſthaf-
ten Betrachtungen. Und dennoch wurde er für al-
le ſeine Mühe und Arbeit von den mehreſten ſeiner
Zeitgenoßen mit Undank und Verachtung belohnt.
Man ſchalt ihn einen Freund der Zöllner, einen
Samariter, einen Unſinnigen. Bey dem allen
wurde er nicht müde, ſein großes Geſchäfte mit
dem gröſten Eifer fortzuſetzen. Kein Undank, kei-
ne Verachtung, keine Läſterung ſeiner Feinde war
vermögend ſeinen Muth darnieder zuſchlagen. Im-
mer hatte er das große Werk vor Augen, zu deſ-
ſen Ausführung ihn ſein Vater geſandt hatte.
Die Wuth ſeiner Feinde gieng endlich ſo weit, daß
ſie ihn zu dem ſchimpflichſten Tod verurtheilten.
Auch dieſes konnte ſeinen Muth nicht ſchwächen,
weil er wuſte, daß der Rathſchluß ſeines Vaters
Unterwerfung, Gedult und Standhaftigkeit von
ihm verlange, weil er verſichert war, daß ſein
äußerſt ſchmerzlicher und ſchimpflicher Tod zum
Heyl des menſchlichen Geſchlechts gereichen würde.
Daher ſtieg er, ſo zu reden, auf die niedrigſte
Stufe
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/120 |
Zitationshilfe: | Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/120>, abgerufen am 18.07.2024. |