Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.dem Versöhner der Menschen. gel zu unserer Rettung auf Erden senden wollen,würde der zu einem solchen Geschäfte die nöthigen Eigenschaften gehabt haben? Wer selbst niemahls Unglück und Leiden erdultet hat, weiß nicht, wie Elenden und Leidenden zu Muthe ist, und ist da- her auch weit nicht so bereitwillig zur Hülfe als ie- mand, der sich in ähnlichen Umständen befunden hat. Wenn mancher Reiche und Vornehme wü- ste, was der Dürftige empfindet, wenn er mit Mangel und Verachtung kämpfen muß, würde er wohl so lieblos und hart gegen dieienige seyn, die ihn um Hülfe anflehen? Sehet hier die Ursache, warum der Sohn Gottes unser Bruder worden ist. Als Sohn Gottes kan er Glück und Wohlergehen austheilen, wie es seine Weisheit für gut befindet -- kan seine Verehrer Ewigkeiten hindurch beglü- cken. Aber die Hinderniße unserer ewigen Wohl- farth wegzuschaffen, die Verschuldung die uns von den Seeligkeiten des Himmels ausschloß, aufzu- heben, dazu wurde erfordert, daß er selbst an un- serer statt die Strafen unserer Sünden dultete. Wie hätte er das thun können, ohne selbst ein Mensch zu seyn? Welch ein großer Trost für uns! Wir haben an ihm einen mitleidigen Versöhner, einen Vertretter bey Gott, auf welchen wir uns sicher verlaßen können, daß er unsern Vortheil so eifrig besorgen werde, als wenn es sein eigener wäre. Denn darinnen er gelitten hat, und versucht ist, kan er helfen denen, die versucht werden. Er hat selbst Noth und Ungemach von mancherley Art empfunden, und zuletzt den Tod ausgestanden. Wenn daher seine Brüder in Angst und Kummer seuf- G 2
dem Verſöhner der Menſchen. gel zu unſerer Rettung auf Erden ſenden wollen,würde der zu einem ſolchen Geſchäfte die nöthigen Eigenſchaften gehabt haben? Wer ſelbſt niemahls Unglück und Leiden erdultet hat, weiß nicht, wie Elenden und Leidenden zu Muthe iſt, und iſt da- her auch weit nicht ſo bereitwillig zur Hülfe als ie- mand, der ſich in ähnlichen Umſtänden befunden hat. Wenn mancher Reiche und Vornehme wü- ſte, was der Dürftige empfindet, wenn er mit Mangel und Verachtung kämpfen muß, würde er wohl ſo lieblos und hart gegen dieienige ſeyn, die ihn um Hülfe anflehen? Sehet hier die Urſache, warum der Sohn Gottes unſer Bruder worden iſt. Als Sohn Gottes kan er Glück und Wohlergehen austheilen, wie es ſeine Weisheit für gut befindet — kan ſeine Verehrer Ewigkeiten hindurch beglü- cken. Aber die Hinderniße unſerer ewigen Wohl- farth wegzuſchaffen, die Verſchuldung die uns von den Seeligkeiten des Himmels ausſchloß, aufzu- heben, dazu wurde erfordert, daß er ſelbſt an un- ſerer ſtatt die Strafen unſerer Sünden dultete. Wie hätte er das thun können, ohne ſelbſt ein Menſch zu ſeyn? Welch ein großer Troſt für uns! Wir haben an ihm einen mitleidigen Verſöhner, einen Vertretter bey Gott, auf welchen wir uns ſicher verlaßen können, daß er unſern Vortheil ſo eifrig beſorgen werde, als wenn es ſein eigener wäre. Denn darinnen er gelitten hat, und verſucht iſt, kan er helfen denen, die verſucht werden. Er hat ſelbſt Noth und Ungemach von mancherley Art empfunden, und zuletzt den Tod ausgeſtanden. Wenn daher ſeine Brüder in Angſt und Kummer ſeuf- G 2
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dem Verſöhner der Menſchen.
gel zu unſerer Rettung auf Erden ſenden wollen,
würde der zu einem ſolchen Geſchäfte die nöthigen
Eigenſchaften gehabt haben? Wer ſelbſt niemahls
Unglück und Leiden erdultet hat, weiß nicht, wie
Elenden und Leidenden zu Muthe iſt, und iſt da-
her auch weit nicht ſo bereitwillig zur Hülfe als ie-
mand, der ſich in ähnlichen Umſtänden befunden
hat. Wenn mancher Reiche und Vornehme wü-
ſte, was der Dürftige empfindet, wenn er mit
Mangel und Verachtung kämpfen muß, würde er
wohl ſo lieblos und hart gegen dieienige ſeyn, die
ihn um Hülfe anflehen? Sehet hier die Urſache,
warum der Sohn Gottes unſer Bruder worden iſt.
Als Sohn Gottes kan er Glück und Wohlergehen
austheilen, wie es ſeine Weisheit für gut befindet
— kan ſeine Verehrer Ewigkeiten hindurch beglü-
cken. Aber die Hinderniße unſerer ewigen Wohl-
farth wegzuſchaffen, die Verſchuldung die uns von
den Seeligkeiten des Himmels ausſchloß, aufzu-
heben, dazu wurde erfordert, daß er ſelbſt an un-
ſerer ſtatt die Strafen unſerer Sünden dultete.
Wie hätte er das thun können, ohne ſelbſt ein
Menſch zu ſeyn? Welch ein großer Troſt für uns!
Wir haben an ihm einen mitleidigen Verſöhner,
einen Vertretter bey Gott, auf welchen wir uns
ſicher verlaßen können, daß er unſern Vortheil ſo
eifrig beſorgen werde, als wenn es ſein eigener wäre.
Denn darinnen er gelitten hat, und verſucht
iſt, kan er helfen denen, die verſucht werden.
Er hat ſelbſt Noth und Ungemach von mancherley
Art empfunden, und zuletzt den Tod ausgeſtanden.
Wenn daher ſeine Brüder in Angſt und Kummer
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