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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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allerdings das wichtigste Moment des Schönen, das positive,
hin. Sollen aber Natur und Geist nach ihrer ganzen dra¬
matischen Tiefe zur Darstellung kommen, so darf das natür¬
lich Häßliche, so darf das Böse und Teuflische nicht fehlen.
Die Griechen, so sehr sie im Idealischen lebten, haben doch
Hekatoncheiren, Kyklopen, Satyre, Grajen, Empusen, Har¬
pyen, Chimären, haben einen hinkenden Gott gehabt, haben
in ihrer Tragödie Verbrechen der scheußlichsten Art (Oedipodie
und Orestie), Wahnsinn (Ajas), ekle Krankheit (der Eiter¬
fuß des Philoktetes) und vollends in ihrer Komödie Untu¬
genden und Schändlichkeiten aller Art zur Anschauung ge¬
bracht. Mit der christlichen Religion aber als der, welche
das Böse in seiner Wurzel erkennen und von Grund aus
überwinden lehrt, ist das Häßliche nun vollends in die Welt
der Kunst eingeführt.

Aus diesem Grunde also, die Erscheinung der Idee
nach ihrer Totalität zu schildern, kann die Kunst die Bil¬
dung des Häßlichen nicht umgehen. Es wäre eine ober¬
flächliche Auffassung der Idee, wollte sie sich auf das einfach
Schöne beschränken. Aus dieser Integration folgt jedoch
nicht, daß das Häßliche mit dem Schönen ästhetisch auf
gleicher Stufe stünde. Die secundäre Entstehung des Hä߬
lichen macht auch hier einen Unterschied. Das Schöne näm¬
lich, weil es in sich selbst beruhet, kann auch ganz bezie¬
hungslos und ohne allen weitern Hintergrund von der Kunst
hervorgebracht werden, während das Häßliche einer gleichen
Selbstständigkeit ästhetisch nicht fähig ist. Empirisch freilich
versteht es sich von selbst, daß das Häßliche auch isolirt
auftreten kann, ästhetisch hingegen ist ein abstractes Fixiren
des Häßlichen unzulässig, denn ästhetisch muß es sich immer
in das Schöne reflectiren, an welchem es die Bedingung

allerdings das wichtigſte Moment des Schönen, das poſitive,
hin. Sollen aber Natur und Geiſt nach ihrer ganzen dra¬
matiſchen Tiefe zur Darſtellung kommen, ſo darf das natür¬
lich Häßliche, ſo darf das Böſe und Teufliſche nicht fehlen.
Die Griechen, ſo ſehr ſie im Idealiſchen lebten, haben doch
Hekatoncheiren, Kyklopen, Satyre, Grajen, Empuſen, Har¬
pyen, Chimären, haben einen hinkenden Gott gehabt, haben
in ihrer Tragödie Verbrechen der ſcheußlichſten Art (Oedipodie
und Oreſtie), Wahnſinn (Ajas), ekle Krankheit (der Eiter¬
fuß des Philoktetes) und vollends in ihrer Komödie Untu¬
genden und Schändlichkeiten aller Art zur Anſchauung ge¬
bracht. Mit der chriſtlichen Religion aber als der, welche
das Böſe in ſeiner Wurzel erkennen und von Grund aus
überwinden lehrt, iſt das Häßliche nun vollends in die Welt
der Kunſt eingeführt.

Aus dieſem Grunde alſo, die Erſcheinung der Idee
nach ihrer Totalität zu ſchildern, kann die Kunſt die Bil¬
dung des Häßlichen nicht umgehen. Es wäre eine ober¬
flächliche Auffaſſung der Idee, wollte ſie ſich auf das einfach
Schöne beſchränken. Aus dieſer Integration folgt jedoch
nicht, daß das Häßliche mit dem Schönen äſthetiſch auf
gleicher Stufe ſtünde. Die ſecundäre Entſtehung des Hä߬
lichen macht auch hier einen Unterſchied. Das Schöne näm¬
lich, weil es in ſich ſelbſt beruhet, kann auch ganz bezie¬
hungslos und ohne allen weitern Hintergrund von der Kunſt
hervorgebracht werden, während das Häßliche einer gleichen
Selbſtſtändigkeit äſthetiſch nicht fähig iſt. Empiriſch freilich
verſteht es ſich von ſelbſt, daß das Häßliche auch iſolirt
auftreten kann, äſthetiſch hingegen iſt ein abſtractes Fixiren
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[39/0061] allerdings das wichtigſte Moment des Schönen, das poſitive, hin. Sollen aber Natur und Geiſt nach ihrer ganzen dra¬ matiſchen Tiefe zur Darſtellung kommen, ſo darf das natür¬ lich Häßliche, ſo darf das Böſe und Teufliſche nicht fehlen. Die Griechen, ſo ſehr ſie im Idealiſchen lebten, haben doch Hekatoncheiren, Kyklopen, Satyre, Grajen, Empuſen, Har¬ pyen, Chimären, haben einen hinkenden Gott gehabt, haben in ihrer Tragödie Verbrechen der ſcheußlichſten Art (Oedipodie und Oreſtie), Wahnſinn (Ajas), ekle Krankheit (der Eiter¬ fuß des Philoktetes) und vollends in ihrer Komödie Untu¬ genden und Schändlichkeiten aller Art zur Anſchauung ge¬ bracht. Mit der chriſtlichen Religion aber als der, welche das Böſe in ſeiner Wurzel erkennen und von Grund aus überwinden lehrt, iſt das Häßliche nun vollends in die Welt der Kunſt eingeführt. Aus dieſem Grunde alſo, die Erſcheinung der Idee nach ihrer Totalität zu ſchildern, kann die Kunſt die Bil¬ dung des Häßlichen nicht umgehen. Es wäre eine ober¬ flächliche Auffaſſung der Idee, wollte ſie ſich auf das einfach Schöne beſchränken. Aus dieſer Integration folgt jedoch nicht, daß das Häßliche mit dem Schönen äſthetiſch auf gleicher Stufe ſtünde. Die ſecundäre Entſtehung des Hä߬ lichen macht auch hier einen Unterſchied. Das Schöne näm¬ lich, weil es in ſich ſelbſt beruhet, kann auch ganz bezie¬ hungslos und ohne allen weitern Hintergrund von der Kunſt hervorgebracht werden, während das Häßliche einer gleichen Selbſtſtändigkeit äſthetiſch nicht fähig iſt. Empiriſch freilich verſteht es ſich von ſelbſt, daß das Häßliche auch iſolirt auftreten kann, äſthetiſch hingegen iſt ein abſtractes Fixiren des Häßlichen unzuläſſig, denn äſthetiſch muß es ſich immer in das Schöne reflectiren, an welchem es die Bedingung

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/61>, abgerufen am 27.04.2024.