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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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erscheinen, allein es ist nicht nothwendig. Daß man dies
nicht so zu verstehen habe, als ob Wahrheit und Güte, wenn
sie nicht in idealer Schönheit zu erscheinen vermögen, sich
häßlich darstellen müßten, ist ausdrücklich bemerkt worden.
Das unbefangen Häßliche hat weder in der Natur, noch im
Geist einen ihm äußern Zweck. Die Natur warnt uns vor
Giften in Metallen, Pflanzen und Thieren nicht durch ab¬
schreckende Gestalt und Farbe und der liebenswürdigste Geist
kann das fatale Schicksal haben, mit einem Aesopischen Höcker,
mit einem Byronschen Schleppfuß zeitlebens vorlieb nehmen
zu müssen.

Wie kann nun die Kunst, deren Zweck nur das
Schöne sein soll, dazu kommen, das Häßliche zu bilden?
Der Grund muß offenbar tiefer liegen, als in jenem äußer¬
lichen Reflexionsverhältniß. Er liegt im Wesen der Idee
selber. Die Kunst hat zwar -- und dies ist gegen die Frei¬
heit des Guten und Wahren ihre Schranke -- das sinnliche
Element nothwendig, aber in diesem Element will und soll
sie die Erscheinung der Idee nach ihrer Totalität ausdrücken.
Es gehört zum Wesen der Idee, die Existenz ihrer Erschei¬
nung frei zu lassen und damit die Möglichkeit des Negativen
zu setzen. Alle Formen, die aus dem Zufall und aus der
Willkür entspringen können, realisiren auch factisch ihre
Möglichkeit und die Idee beweist ihre Göttlichkeit vornämlich
durch die Macht, mit welcher sie im Gewimmel der sich kreu¬
zenden Phänomene, in der Entzweiung von Zufall und
Zufall, von Trieb und Trieb, von Willkür und Willkür,
von Leidenschaft und Leidenschaft, doch in dem Ganzen die
Einheit ihres Gesetzes erhält. Will also die Kunst die Idee
nicht blos einseitig zur Anschauung bringen, so kann sie auch
des Häßlichen nicht entbehren. Die reinen Ideale stellen uns

erſcheinen, allein es iſt nicht nothwendig. Daß man dies
nicht ſo zu verſtehen habe, als ob Wahrheit und Güte, wenn
ſie nicht in idealer Schönheit zu erſcheinen vermögen, ſich
häßlich darſtellen müßten, iſt ausdrücklich bemerkt worden.
Das unbefangen Häßliche hat weder in der Natur, noch im
Geiſt einen ihm äußern Zweck. Die Natur warnt uns vor
Giften in Metallen, Pflanzen und Thieren nicht durch ab¬
ſchreckende Geſtalt und Farbe und der liebenswürdigſte Geiſt
kann das fatale Schickſal haben, mit einem Aeſopiſchen Höcker,
mit einem Byronſchen Schleppfuß zeitlebens vorlieb nehmen
zu müſſen.

Wie kann nun die Kunſt, deren Zweck nur das
Schöne ſein ſoll, dazu kommen, das Häßliche zu bilden?
Der Grund muß offenbar tiefer liegen, als in jenem äußer¬
lichen Reflexionsverhältniß. Er liegt im Weſen der Idee
ſelber. Die Kunſt hat zwar — und dies iſt gegen die Frei¬
heit des Guten und Wahren ihre Schranke — das ſinnliche
Element nothwendig, aber in dieſem Element will und ſoll
ſie die Erſcheinung der Idee nach ihrer Totalität ausdrücken.
Es gehört zum Weſen der Idee, die Exiſtenz ihrer Erſchei¬
nung frei zu laſſen und damit die Möglichkeit des Negativen
zu ſetzen. Alle Formen, die aus dem Zufall und aus der
Willkür entſpringen können, realiſiren auch factiſch ihre
Möglichkeit und die Idee beweiſt ihre Göttlichkeit vornämlich
durch die Macht, mit welcher ſie im Gewimmel der ſich kreu¬
zenden Phänomene, in der Entzweiung von Zufall und
Zufall, von Trieb und Trieb, von Willkür und Willkür,
von Leidenſchaft und Leidenſchaft, doch in dem Ganzen die
Einheit ihres Geſetzes erhält. Will alſo die Kunſt die Idee
nicht blos einſeitig zur Anſchauung bringen, ſo kann ſie auch
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[38/0060] erſcheinen, allein es iſt nicht nothwendig. Daß man dies nicht ſo zu verſtehen habe, als ob Wahrheit und Güte, wenn ſie nicht in idealer Schönheit zu erſcheinen vermögen, ſich häßlich darſtellen müßten, iſt ausdrücklich bemerkt worden. Das unbefangen Häßliche hat weder in der Natur, noch im Geiſt einen ihm äußern Zweck. Die Natur warnt uns vor Giften in Metallen, Pflanzen und Thieren nicht durch ab¬ ſchreckende Geſtalt und Farbe und der liebenswürdigſte Geiſt kann das fatale Schickſal haben, mit einem Aeſopiſchen Höcker, mit einem Byronſchen Schleppfuß zeitlebens vorlieb nehmen zu müſſen. Wie kann nun die Kunſt, deren Zweck nur das Schöne ſein ſoll, dazu kommen, das Häßliche zu bilden? Der Grund muß offenbar tiefer liegen, als in jenem äußer¬ lichen Reflexionsverhältniß. Er liegt im Weſen der Idee ſelber. Die Kunſt hat zwar — und dies iſt gegen die Frei¬ heit des Guten und Wahren ihre Schranke — das ſinnliche Element nothwendig, aber in dieſem Element will und ſoll ſie die Erſcheinung der Idee nach ihrer Totalität ausdrücken. Es gehört zum Weſen der Idee, die Exiſtenz ihrer Erſchei¬ nung frei zu laſſen und damit die Möglichkeit des Negativen zu ſetzen. Alle Formen, die aus dem Zufall und aus der Willkür entſpringen können, realiſiren auch factiſch ihre Möglichkeit und die Idee beweiſt ihre Göttlichkeit vornämlich durch die Macht, mit welcher ſie im Gewimmel der ſich kreu¬ zenden Phänomene, in der Entzweiung von Zufall und Zufall, von Trieb und Trieb, von Willkür und Willkür, von Leidenſchaft und Leidenſchaft, doch in dem Ganzen die Einheit ihres Geſetzes erhält. Will alſo die Kunſt die Idee nicht blos einſeitig zur Anſchauung bringen, ſo kann ſie auch des Häßlichen nicht entbehren. Die reinen Ideale ſtellen uns

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/60>, abgerufen am 23.11.2024.