des Gemüths kranken, bemerkt man in der Feierlichkeit, mit der sie öfter auftreten, den Verrath des gebrochenen Selbstgefühls an der Hohlheit und Zusammenhanglosigkeit ihres Pathos.
Das Kunsthäßliche.
Das Reich des Häßlichen ist, wie wir sehen, so groß, als das Reich der sinnlichen Erscheinung überhaupt; der sinnlichen Erscheinung, denn ein ästhetisches Object wird das Böse und die unselige Selbstentfremdung des Geistes erst durch die Vermittelung der äußerlichen Darstellung. Weil das Häßliche an dem Schönen ist, so kann es als die Ne¬ gation jeder seiner Formen sich sowohl vermöge der Noth¬ wendigkeit der Natur als der Freiheit des Geistes erzeugen. Die Natur mischt Schönes und Häßliches nach der Zufälligkeit, wie Aristoteles sagen würde, khatabebekhos, zusammen. Die empirische Wirklichkeit des Geistes thut dasselbe. Um daher das Schöne an und für sich zu genießen, muß der Geist es hervorbringen und zu einer eigenthümlichen Welt für sich ab¬ schließen. So entsteht die Kunst. Aeußerlich knüpft auch sie an Bedürfnisse des Menschen an, allein ihr wahrhafter Grund bleibt doch die Sehnsucht des Geistes nach dem reinen, unvermischten Schönen.
Ist nun das Hervorbringen des Schönen Aufgabe der Kunst, muß es da nicht als der größte Widerspruch erschei¬ nen, wenn wir sehen, daß die Kunst auch das Häßliche hervorbringt?
Wollten wir hierauf antworten, daß die Kunst aller¬ dings das Häßliche hervorbringe, jedoch als ein Schönes, so würden wir offenbar zu dem erstbemerkten Widerspruch nur
3 *
des Gemüths kranken, bemerkt man in der Feierlichkeit, mit der ſie öfter auftreten, den Verrath des gebrochenen Selbſtgefühls an der Hohlheit und Zuſammenhangloſigkeit ihres Pathos.
Das Kunſthäßliche.
Das Reich des Häßlichen iſt, wie wir ſehen, ſo groß, als das Reich der ſinnlichen Erſcheinung überhaupt; der ſinnlichen Erſcheinung, denn ein äſthetiſches Object wird das Böſe und die unſelige Selbſtentfremdung des Geiſtes erſt durch die Vermittelung der äußerlichen Darſtellung. Weil das Häßliche an dem Schönen iſt, ſo kann es als die Ne¬ gation jeder ſeiner Formen ſich ſowohl vermöge der Noth¬ wendigkeit der Natur als der Freiheit des Geiſtes erzeugen. Die Natur miſcht Schönes und Häßliches nach der Zufälligkeit, wie Ariſtoteles ſagen würde, χαταβεβηχῶς, zuſammen. Die empiriſche Wirklichkeit des Geiſtes thut daſſelbe. Um daher das Schöne an und für ſich zu genießen, muß der Geiſt es hervorbringen und zu einer eigenthümlichen Welt für ſich ab¬ ſchließen. So entſteht die Kunſt. Aeußerlich knüpft auch ſie an Bedürfniſſe des Menſchen an, allein ihr wahrhafter Grund bleibt doch die Sehnſucht des Geiſtes nach dem reinen, unvermiſchten Schönen.
Iſt nun das Hervorbringen des Schönen Aufgabe der Kunſt, muß es da nicht als der größte Widerſpruch erſchei¬ nen, wenn wir ſehen, daß die Kunſt auch das Häßliche hervorbringt?
Wollten wir hierauf antworten, daß die Kunſt aller¬ dings das Häßliche hervorbringe, jedoch als ein Schönes, ſo würden wir offenbar zu dem erſtbemerkten Widerſpruch nur
3 *
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0057"n="35"/>
des Gemüths kranken, bemerkt man in der Feierlichkeit,<lb/>
mit der ſie öfter auftreten, den Verrath des gebrochenen<lb/>
Selbſtgefühls an der Hohlheit und Zuſammenhangloſigkeit<lb/>
ihres Pathos.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div><divn="2"><head><hirendition="#b">Das Kunſthäßliche.</hi><lb/></head><p>Das Reich des Häßlichen iſt, wie wir ſehen, ſo groß,<lb/>
als das Reich der ſinnlichen Erſcheinung überhaupt; der<lb/>ſinnlichen Erſcheinung, denn ein äſthetiſches Object wird das<lb/>
Böſe und die unſelige Selbſtentfremdung des Geiſtes erſt<lb/>
durch die Vermittelung der äußerlichen Darſtellung. Weil<lb/>
das Häßliche an dem Schönen iſt, ſo kann es als die Ne¬<lb/>
gation jeder ſeiner Formen ſich ſowohl vermöge der Noth¬<lb/>
wendigkeit der Natur als der Freiheit des Geiſtes erzeugen.<lb/>
Die Natur miſcht Schönes und Häßliches nach der Zufälligkeit,<lb/>
wie Ariſtoteles ſagen würde, χαταβεβηχῶς, zuſammen. Die<lb/>
empiriſche Wirklichkeit des Geiſtes thut daſſelbe. Um daher<lb/>
das Schöne an und für ſich zu genießen, muß der Geiſt es<lb/>
hervorbringen und zu einer eigenthümlichen Welt für ſich ab¬<lb/>ſchließen. So entſteht die Kunſt. Aeußerlich knüpft auch<lb/>ſie an Bedürfniſſe des Menſchen an, allein ihr wahrhafter<lb/>
Grund bleibt doch die Sehnſucht des Geiſtes nach dem reinen,<lb/>
unvermiſchten Schönen.</p><lb/><p>Iſt nun das Hervorbringen des Schönen Aufgabe der<lb/>
Kunſt, muß es da nicht als der größte Widerſpruch erſchei¬<lb/>
nen, wenn wir ſehen, daß die Kunſt auch das Häßliche<lb/>
hervorbringt?</p><lb/><p>Wollten wir hierauf antworten, daß die Kunſt aller¬<lb/>
dings das Häßliche hervorbringe, jedoch als ein Schönes, ſo<lb/>
würden wir offenbar zu dem erſtbemerkten Widerſpruch nur<lb/><fwplace="bottom"type="sig">3 *<lb/></fw></p></div></div></body></text></TEI>
[35/0057]
des Gemüths kranken, bemerkt man in der Feierlichkeit,
mit der ſie öfter auftreten, den Verrath des gebrochenen
Selbſtgefühls an der Hohlheit und Zuſammenhangloſigkeit
ihres Pathos.
Das Kunſthäßliche.
Das Reich des Häßlichen iſt, wie wir ſehen, ſo groß,
als das Reich der ſinnlichen Erſcheinung überhaupt; der
ſinnlichen Erſcheinung, denn ein äſthetiſches Object wird das
Böſe und die unſelige Selbſtentfremdung des Geiſtes erſt
durch die Vermittelung der äußerlichen Darſtellung. Weil
das Häßliche an dem Schönen iſt, ſo kann es als die Ne¬
gation jeder ſeiner Formen ſich ſowohl vermöge der Noth¬
wendigkeit der Natur als der Freiheit des Geiſtes erzeugen.
Die Natur miſcht Schönes und Häßliches nach der Zufälligkeit,
wie Ariſtoteles ſagen würde, χαταβεβηχῶς, zuſammen. Die
empiriſche Wirklichkeit des Geiſtes thut daſſelbe. Um daher
das Schöne an und für ſich zu genießen, muß der Geiſt es
hervorbringen und zu einer eigenthümlichen Welt für ſich ab¬
ſchließen. So entſteht die Kunſt. Aeußerlich knüpft auch
ſie an Bedürfniſſe des Menſchen an, allein ihr wahrhafter
Grund bleibt doch die Sehnſucht des Geiſtes nach dem reinen,
unvermiſchten Schönen.
Iſt nun das Hervorbringen des Schönen Aufgabe der
Kunſt, muß es da nicht als der größte Widerſpruch erſchei¬
nen, wenn wir ſehen, daß die Kunſt auch das Häßliche
hervorbringt?
Wollten wir hierauf antworten, daß die Kunſt aller¬
dings das Häßliche hervorbringe, jedoch als ein Schönes, ſo
würden wir offenbar zu dem erſtbemerkten Widerſpruch nur
3 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/57>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.