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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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der Häßlichkeit, wenn sie die Gestalt abnorm verändert, wo¬
hin also auch Wassersucht, Tympanitis u. dergl. gehören.
Aber sie ist es nicht, wenn sie in Kacherie, in Hektik, in
Fieberzuständen, dem Organismus jene transcendente Tinctur
gibt, die ihn ätherischer erscheinen läßt. Die Abmagerung, der
brennende Blick, die bleichen oder vom Fieber gerötheten
Wangen des Kranken können das Wesen des Geistes sogar
unmittelbarer zur Anschauung bringen. Der Geist ist dann
gleichsam schon von seinem Organismus geschieden. Er durch¬
wohnt ihn noch, allein nur um ihn in der That zum reinen
Zeichen zu machen. Der ganze Körper in seiner durchsichti¬
gen Morbidezza bedeutet schon nichts mehr für sich und ist
durch und durch nur noch Ausdruck des von ihm bereits
auswandernden, naturunabhängigen Geistes. Wer hätte nicht
schon eine Jungfrau oder einen Jüngling auf dem Sterbe¬
bette gesehen, die als Opfer der Schwindsucht einen wahr¬
haft verklärten Anblick darboten! So etwas ist bei keinem
Thiere möglich. -- Aus denselben Gründen ergibt sich auch,
daß der Tod keineswegs mit Unausbleiblichkeit eine Verhä߬
lichung der Gesichtszüge hervorzubringen hat, sondern eben
sowohl einen schönen, seligen Ausdruck hinterlassen kann.

Kann nun Krankheit den Menschen unter gewissen
Umständen sogar verschönen, so kann sie noch mehr im Ver¬
schwinden eine Ursache des Schönen werden. Die allmälige
Wiederkehr der Gesundheit gibt dem Blicke freie Klarheit,
den Wangen sanfte Röthe. Das Wiederschwellen der Adern
und Muskeln und das Spiel der Kraft, die sich genußverlan¬
gend wieder zu regen beginnt, verbreiten eine außerordentliche
potenzirte Schönheit und übergießen die Gestalt mit jenem
unaussprechlichen Zauber, in welchem der Reiz der Verjün¬
gung noch seinen Gegensatz der Hinfälligkeit, das Leben den

Rosenkranz, Aesthetik des Häßlichen. 3

der Häßlichkeit, wenn ſie die Geſtalt abnorm verändert, wo¬
hin alſo auch Waſſerſucht, Tympanitis u. dergl. gehören.
Aber ſie iſt es nicht, wenn ſie in Kacherie, in Hektik, in
Fieberzuſtänden, dem Organismus jene transcendente Tinctur
gibt, die ihn ätheriſcher erſcheinen läßt. Die Abmagerung, der
brennende Blick, die bleichen oder vom Fieber gerötheten
Wangen des Kranken können das Weſen des Geiſtes ſogar
unmittelbarer zur Anſchauung bringen. Der Geiſt iſt dann
gleichſam ſchon von ſeinem Organismus geſchieden. Er durch¬
wohnt ihn noch, allein nur um ihn in der That zum reinen
Zeichen zu machen. Der ganze Körper in ſeiner durchſichti¬
gen Morbidezza bedeutet ſchon nichts mehr für ſich und iſt
durch und durch nur noch Ausdruck des von ihm bereits
auswandernden, naturunabhängigen Geiſtes. Wer hätte nicht
ſchon eine Jungfrau oder einen Jüngling auf dem Sterbe¬
bette geſehen, die als Opfer der Schwindſucht einen wahr¬
haft verklärten Anblick darboten! So etwas iſt bei keinem
Thiere möglich. — Aus denſelben Gründen ergibt ſich auch,
daß der Tod keineswegs mit Unausbleiblichkeit eine Verhä߬
lichung der Geſichtszüge hervorzubringen hat, ſondern eben
ſowohl einen ſchönen, ſeligen Ausdruck hinterlaſſen kann.

Kann nun Krankheit den Menſchen unter gewiſſen
Umſtänden ſogar verſchönen, ſo kann ſie noch mehr im Ver¬
ſchwinden eine Urſache des Schönen werden. Die allmälige
Wiederkehr der Geſundheit gibt dem Blicke freie Klarheit,
den Wangen ſanfte Röthe. Das Wiederſchwellen der Adern
und Muskeln und das Spiel der Kraft, die ſich genußverlan¬
gend wieder zu regen beginnt, verbreiten eine außerordentliche
potenzirte Schönheit und übergießen die Geſtalt mit jenem
unausſprechlichen Zauber, in welchem der Reiz der Verjün¬
gung noch ſeinen Gegenſatz der Hinfälligkeit, das Leben den

Roſenkranz, Aeſthetik des Häßlichen. 3
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[33/0055] der Häßlichkeit, wenn ſie die Geſtalt abnorm verändert, wo¬ hin alſo auch Waſſerſucht, Tympanitis u. dergl. gehören. Aber ſie iſt es nicht, wenn ſie in Kacherie, in Hektik, in Fieberzuſtänden, dem Organismus jene transcendente Tinctur gibt, die ihn ätheriſcher erſcheinen läßt. Die Abmagerung, der brennende Blick, die bleichen oder vom Fieber gerötheten Wangen des Kranken können das Weſen des Geiſtes ſogar unmittelbarer zur Anſchauung bringen. Der Geiſt iſt dann gleichſam ſchon von ſeinem Organismus geſchieden. Er durch¬ wohnt ihn noch, allein nur um ihn in der That zum reinen Zeichen zu machen. Der ganze Körper in ſeiner durchſichti¬ gen Morbidezza bedeutet ſchon nichts mehr für ſich und iſt durch und durch nur noch Ausdruck des von ihm bereits auswandernden, naturunabhängigen Geiſtes. Wer hätte nicht ſchon eine Jungfrau oder einen Jüngling auf dem Sterbe¬ bette geſehen, die als Opfer der Schwindſucht einen wahr¬ haft verklärten Anblick darboten! So etwas iſt bei keinem Thiere möglich. — Aus denſelben Gründen ergibt ſich auch, daß der Tod keineswegs mit Unausbleiblichkeit eine Verhä߬ lichung der Geſichtszüge hervorzubringen hat, ſondern eben ſowohl einen ſchönen, ſeligen Ausdruck hinterlaſſen kann. Kann nun Krankheit den Menſchen unter gewiſſen Umſtänden ſogar verſchönen, ſo kann ſie noch mehr im Ver¬ ſchwinden eine Urſache des Schönen werden. Die allmälige Wiederkehr der Geſundheit gibt dem Blicke freie Klarheit, den Wangen ſanfte Röthe. Das Wiederſchwellen der Adern und Muskeln und das Spiel der Kraft, die ſich genußverlan¬ gend wieder zu regen beginnt, verbreiten eine außerordentliche potenzirte Schönheit und übergießen die Geſtalt mit jenem unausſprechlichen Zauber, in welchem der Reiz der Verjün¬ gung noch ſeinen Gegenſatz der Hinfälligkeit, das Leben den Roſenkranz, Aeſthetik des Häßlichen. 3

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/55>, abgerufen am 27.04.2024.