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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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dadurch, daß das Böse in diesem Fall als eine systematische
Totalität sich fixirt, wieder eine gewisse Harmonie des Willens
und damit auch der Erscheinung hervorgebracht, welche die
Formen ästhetisch mildert. Die Verirrung des einzelnen
Lasters kann oft einen viel unangenehmern, grellern Ausdruck
haben, als das schlechthin Böse, das in seiner Negativität
wieder ein Ganzes ist. Das grobe Laster wird in seiner Ein¬
seitigkeit augenfällig; die Tiefe oder vielmehr Untiefe des
absolut Bösen durchdringt mit ihrer Intensität Habitus und
Antlitz auf gleichmäßigere Weise und kann existiren, ohne
der Criminaljustiz besondern Stoff zu bieten. Reiche, von
aller Cultur beleckte, jedem Eigensinn fröhnende, in den
feinsten Raffinements ihrer Selbstsucht schwelgende, in Frauen¬
verführung kokettirende, in der Qual ihrer Blasirtheit die
Qual ihrer Diener werdende Salonmenschen sind oft in das
abgrundlose Insichsein des Bösen verfallen. -- Nach rück¬
wärts mit der Natur verglichen erkennen wir hier die Steige¬
rung, daß die Natur in manchen Thieren das Häßliche
allerdings unmittelbar und positiv hervorbringt, daß der
Mensch aber die ihm gegebene Naturschönheit von Innen
heraus durch das Böse zu entstellen und zu verzerren ver¬
mag, ein Werk der sich selbst vernichtenden Freiheit, dessen
das Thier unfähig ist.

Die Ursache des Bösen und des durch dasselbe vermittelten
Häßlichen in der äußern Erscheinung des Menschen ist also
die Freiheit desselben, keineswegs ein transcendentes Wesen
außer ihm. Das Böse ist die eigene That des Menschen
und so gehören ihm auch dessen Folgen. Da nun der Mensch
die Naturseite wesentlich an sich hat, so ergibt sich, daß auch
alle diejenigen Bestimmungen des Häßlichen, die wir bei der
organischen, insbesondere animalischen Natur fanden, bei dem

dadurch, daß das Böſe in dieſem Fall als eine ſyſtematiſche
Totalität ſich fixirt, wieder eine gewiſſe Harmonie des Willens
und damit auch der Erſcheinung hervorgebracht, welche die
Formen äſthetiſch mildert. Die Verirrung des einzelnen
Laſters kann oft einen viel unangenehmern, grellern Ausdruck
haben, als das ſchlechthin Böſe, das in ſeiner Negativität
wieder ein Ganzes iſt. Das grobe Laſter wird in ſeiner Ein¬
ſeitigkeit augenfällig; die Tiefe oder vielmehr Untiefe des
abſolut Böſen durchdringt mit ihrer Intenſität Habitus und
Antlitz auf gleichmäßigere Weiſe und kann exiſtiren, ohne
der Criminaljuſtiz beſondern Stoff zu bieten. Reiche, von
aller Cultur beleckte, jedem Eigenſinn fröhnende, in den
feinſten Raffinements ihrer Selbſtſucht ſchwelgende, in Frauen¬
verführung kokettirende, in der Qual ihrer Blaſirtheit die
Qual ihrer Diener werdende Salonmenſchen ſind oft in das
abgrundloſe Inſichſein des Böſen verfallen. — Nach rück¬
wärts mit der Natur verglichen erkennen wir hier die Steige¬
rung, daß die Natur in manchen Thieren das Häßliche
allerdings unmittelbar und poſitiv hervorbringt, daß der
Menſch aber die ihm gegebene Naturſchönheit von Innen
heraus durch das Böſe zu entſtellen und zu verzerren ver¬
mag, ein Werk der ſich ſelbſt vernichtenden Freiheit, deſſen
das Thier unfähig iſt.

Die Urſache des Böſen und des durch daſſelbe vermittelten
Häßlichen in der äußern Erſcheinung des Menſchen iſt alſo
die Freiheit deſſelben, keineswegs ein transcendentes Weſen
außer ihm. Das Böſe iſt die eigene That des Menſchen
und ſo gehören ihm auch deſſen Folgen. Da nun der Menſch
die Naturſeite weſentlich an ſich hat, ſo ergibt ſich, daß auch
alle diejenigen Beſtimmungen des Häßlichen, die wir bei der
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[30/0052] dadurch, daß das Böſe in dieſem Fall als eine ſyſtematiſche Totalität ſich fixirt, wieder eine gewiſſe Harmonie des Willens und damit auch der Erſcheinung hervorgebracht, welche die Formen äſthetiſch mildert. Die Verirrung des einzelnen Laſters kann oft einen viel unangenehmern, grellern Ausdruck haben, als das ſchlechthin Böſe, das in ſeiner Negativität wieder ein Ganzes iſt. Das grobe Laſter wird in ſeiner Ein¬ ſeitigkeit augenfällig; die Tiefe oder vielmehr Untiefe des abſolut Böſen durchdringt mit ihrer Intenſität Habitus und Antlitz auf gleichmäßigere Weiſe und kann exiſtiren, ohne der Criminaljuſtiz beſondern Stoff zu bieten. Reiche, von aller Cultur beleckte, jedem Eigenſinn fröhnende, in den feinſten Raffinements ihrer Selbſtſucht ſchwelgende, in Frauen¬ verführung kokettirende, in der Qual ihrer Blaſirtheit die Qual ihrer Diener werdende Salonmenſchen ſind oft in das abgrundloſe Inſichſein des Böſen verfallen. — Nach rück¬ wärts mit der Natur verglichen erkennen wir hier die Steige¬ rung, daß die Natur in manchen Thieren das Häßliche allerdings unmittelbar und poſitiv hervorbringt, daß der Menſch aber die ihm gegebene Naturſchönheit von Innen heraus durch das Böſe zu entſtellen und zu verzerren ver¬ mag, ein Werk der ſich ſelbſt vernichtenden Freiheit, deſſen das Thier unfähig iſt. Die Urſache des Böſen und des durch daſſelbe vermittelten Häßlichen in der äußern Erſcheinung des Menſchen iſt alſo die Freiheit deſſelben, keineswegs ein transcendentes Weſen außer ihm. Das Böſe iſt die eigene That des Menſchen und ſo gehören ihm auch deſſen Folgen. Da nun der Menſch die Naturſeite weſentlich an ſich hat, ſo ergibt ſich, daß auch alle diejenigen Beſtimmungen des Häßlichen, die wir bei der organiſchen, insbeſondere animaliſchen Natur fanden, bei dem

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/52>, abgerufen am 28.04.2024.