Schönen. Aus dem Häßlichen lasse sich viel machen, aus dem Schönen nichts. Freilich mache dies uns zu etwas, jenes vernichte uns und Caricaturen hinterließen einen un¬ auslöschlichen Eindruck, der durchaus zu verabscheuen sei. "Warum sollen jedoch, meint einer der Unterredner, Bilder besser sein, als wir selbst? Unser Geist scheint zwei Seiten zu haben, die ohne einander nicht bestehen können. Licht und Finsterniß, Gutes und Böses, Hohes und Tiefes, Edles und Niedriges und noch so viel andere Gegensätze scheinen, nur in veränderten Portionen, die Ingredienzien der mensch¬ lichen Natur zu sein, und wie kann man einem Maler ver¬ denken, wenn er einen Engel weiß, licht und schön gemalt hat, daß ihm einfällt, einen Teufel schwarz, finster und häßlich zu malen.
Amalie. Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn nur nicht die Freunde der Verhäßlichungskunst auch das in ihr Gebiet zögen, was bessern Regionen angehört.
Seyton. Darin handeln sie, dünkt mich, ganz recht. Ziehen doch die Freunde der Verschönerungskunst auch zu sich hinüber, was ihnen kaum angehören kann.
Amalie. Und doch werde ich den Verzerrern niemals verzeihen, daß sie mir die Bilder vorzüglicher Menschen so schändlich entstellen. Ich mag es machen, wie ich will, so muß ich mir den großen Pitt als einen stumpfnäsigen Besen¬ stiel, und den in so manchem Betracht schätzenswerthen Fox als ein wohlgesacktes Schwein denken.
Henriette. Das ist, was ich sagte. Alle solche Frazzenbilder drücken sich unauslöschlich ein und ich leugne nicht, daß ich mir manchmal in Gedanken damit einen Spaß mache, diese Gespenster aufrufe und sie noch schlimmer ver¬ zerre."
Schönen. Aus dem Häßlichen laſſe ſich viel machen, aus dem Schönen nichts. Freilich mache dies uns zu etwas, jenes vernichte uns und Caricaturen hinterließen einen un¬ auslöſchlichen Eindruck, der durchaus zu verabſcheuen ſei. „Warum ſollen jedoch, meint einer der Unterredner, Bilder beſſer ſein, als wir ſelbſt? Unſer Geiſt ſcheint zwei Seiten zu haben, die ohne einander nicht beſtehen können. Licht und Finſterniß, Gutes und Böſes, Hohes und Tiefes, Edles und Niedriges und noch ſo viel andere Gegenſätze ſcheinen, nur in veränderten Portionen, die Ingredienzien der menſch¬ lichen Natur zu ſein, und wie kann man einem Maler ver¬ denken, wenn er einen Engel weiß, licht und ſchön gemalt hat, daß ihm einfällt, einen Teufel ſchwarz, finſter und häßlich zu malen.
Amalie. Dagegen wäre nichts zu ſagen, wenn nur nicht die Freunde der Verhäßlichungskunſt auch das in ihr Gebiet zögen, was beſſern Regionen angehört.
Seyton. Darin handeln ſie, dünkt mich, ganz recht. Ziehen doch die Freunde der Verſchönerungskunſt auch zu ſich hinüber, was ihnen kaum angehören kann.
Amalie. Und doch werde ich den Verzerrern niemals verzeihen, daß ſie mir die Bilder vorzüglicher Menſchen ſo ſchändlich entſtellen. Ich mag es machen, wie ich will, ſo muß ich mir den großen Pitt als einen ſtumpfnäſigen Beſen¬ ſtiel, und den in ſo manchem Betracht ſchätzenswerthen Fox als ein wohlgeſacktes Schwein denken.
Henriette. Das iſt, was ich ſagte. Alle ſolche Frazzenbilder drücken ſich unauslöſchlich ein und ich leugne nicht, daß ich mir manchmal in Gedanken damit einen Spaß mache, dieſe Geſpenſter aufrufe und ſie noch ſchlimmer ver¬ zerre.“
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Schönen. Aus dem Häßlichen laſſe ſich viel machen, aus
dem Schönen nichts. Freilich mache dies uns zu etwas,
jenes vernichte uns und Caricaturen hinterließen einen un¬
auslöſchlichen Eindruck, der durchaus zu verabſcheuen ſei.
„Warum ſollen jedoch, meint einer der Unterredner, Bilder
beſſer ſein, als wir ſelbſt? Unſer Geiſt ſcheint zwei Seiten
zu haben, die ohne einander nicht beſtehen können. Licht
und Finſterniß, Gutes und Böſes, Hohes und Tiefes, Edles
und Niedriges und noch ſo viel andere Gegenſätze ſcheinen,
nur in veränderten Portionen, die Ingredienzien der menſch¬
lichen Natur zu ſein, und wie kann man einem Maler ver¬
denken, wenn er einen Engel weiß, licht und ſchön gemalt
hat, daß ihm einfällt, einen Teufel ſchwarz, finſter und
häßlich zu malen.
Amalie. Dagegen wäre nichts zu ſagen, wenn nur
nicht die Freunde der Verhäßlichungskunſt auch das in ihr
Gebiet zögen, was beſſern Regionen angehört.
Seyton. Darin handeln ſie, dünkt mich, ganz recht.
Ziehen doch die Freunde der Verſchönerungskunſt auch zu
ſich hinüber, was ihnen kaum angehören kann.
Amalie. Und doch werde ich den Verzerrern niemals
verzeihen, daß ſie mir die Bilder vorzüglicher Menſchen ſo
ſchändlich entſtellen. Ich mag es machen, wie ich will, ſo
muß ich mir den großen Pitt als einen ſtumpfnäſigen Beſen¬
ſtiel, und den in ſo manchem Betracht ſchätzenswerthen
Fox als ein wohlgeſacktes Schwein denken.
Henriette. Das iſt, was ich ſagte. Alle ſolche
Frazzenbilder drücken ſich unauslöſchlich ein und ich leugne
nicht, daß ich mir manchmal in Gedanken damit einen Spaß
mache, dieſe Geſpenſter aufrufe und ſie noch ſchlimmer ver¬
zerre.“
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/424>, abgerufen am 25.11.2024.
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