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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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verspottet das an sich Nichtige durch seine eigene Uebertrei¬
bung, mit welcher es seine Ohnmacht enthüllt und damit in's
Lächerliche übergeht. Das Thier eignet sich, gewisse Einsei¬
tigkeiten und Laster recht entschieden darzustellen. Die
höhern, edleren Eigenschaften des Menschen vermag die thie¬
rische Analogie weniger adäquat auszudrücken, als die Re¬
gungen eines beschränkten, selbstsüchtigen Egoismus. Doch
ist das Thiereich groß und mannigfaltig genug, auch gute
Eigenschaften und Tugenden in's Spiel zu bringen, um ein
ziemlich vollständiges Gegenbild des menschlichen Treibens
darbieten zu können. Der Orient, das Alterthum, das
Mittelalter, die moderne Zeit, haben die Abspiegelung des¬
selben in der Thiermaske gleich sehr geliebt. Die Batra¬
chomyomachie
der Homeriden ist eine der ältesten und
trefflichsten solcher Dichtungen. Die alte Komödie bediente
sich solcher Thiermasken in ihren Chören, wie uns noch die
Wespen und Frösche des Aristophanes erhalten sind.
Unter den kleinen Genrebildern der Pompejanischen Wand¬
malerei finden wir viele groteske, in's Satirische hinüber¬
spielende Thierscenen. Ein Wiedehopf kutschirt stolz auf einer
Biga, die von Stieglitzen, von Schmetterlingen, von Greifen
gezogen wird. Eine Ente geht auf ein Gefäß zu, zu trinken
begierig; eine Glasglocke verhindert sie daran, sie steht da
voll getäuschter Erwartung u. s. w. Ein vorzügliches Bild
ist jenes treffliche, das den frommen Aeneas verspottet, wie
er mit seinem Vater Anchises auf den Schultern und den
kleinen Ascanius an der Hand die Trümmer des brennenden
Troja verläßt. Aeneas und Ascanius sind als hundsköpfige
Affen, Anchises als ein alter Bär dargestellt. Statt der
vaterländischen Penaten hat dieser ein Würfelspiel aus den
Flammen gerettet. Die Ausdeutung dieses Bildes als einer

verſpottet das an ſich Nichtige durch ſeine eigene Uebertrei¬
bung, mit welcher es ſeine Ohnmacht enthüllt und damit in's
Lächerliche übergeht. Das Thier eignet ſich, gewiſſe Einſei¬
tigkeiten und Laſter recht entſchieden darzuſtellen. Die
höhern, edleren Eigenſchaften des Menſchen vermag die thie¬
riſche Analogie weniger adäquat auszudrücken, als die Re¬
gungen eines beſchränkten, ſelbſtſüchtigen Egoismus. Doch
iſt das Thiereich groß und mannigfaltig genug, auch gute
Eigenſchaften und Tugenden in's Spiel zu bringen, um ein
ziemlich vollſtändiges Gegenbild des menſchlichen Treibens
darbieten zu können. Der Orient, das Alterthum, das
Mittelalter, die moderne Zeit, haben die Abſpiegelung deſ¬
ſelben in der Thiermaske gleich ſehr geliebt. Die Batra¬
chomyomachie
der Homeriden iſt eine der älteſten und
trefflichſten ſolcher Dichtungen. Die alte Komödie bediente
ſich ſolcher Thiermasken in ihren Chören, wie uns noch die
Wespen und Fröſche des Ariſtophanes erhalten ſind.
Unter den kleinen Genrebildern der Pompejaniſchen Wand¬
malerei finden wir viele groteske, in's Satiriſche hinüber¬
ſpielende Thierſcenen. Ein Wiedehopf kutſchirt ſtolz auf einer
Biga, die von Stieglitzen, von Schmetterlingen, von Greifen
gezogen wird. Eine Ente geht auf ein Gefäß zu, zu trinken
begierig; eine Glasglocke verhindert ſie daran, ſie ſteht da
voll getäuſchter Erwartung u. ſ. w. Ein vorzügliches Bild
iſt jenes treffliche, das den frommen Aeneas verſpottet, wie
er mit ſeinem Vater Anchiſes auf den Schultern und den
kleinen Ascanius an der Hand die Trümmer des brennenden
Troja verläßt. Aeneas und Ascanius ſind als hundsköpfige
Affen, Anchiſes als ein alter Bär dargeſtellt. Statt der
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Flammen gerettet. Die Ausdeutung dieſes Bildes als einer

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[397/0419] verſpottet das an ſich Nichtige durch ſeine eigene Uebertrei¬ bung, mit welcher es ſeine Ohnmacht enthüllt und damit in's Lächerliche übergeht. Das Thier eignet ſich, gewiſſe Einſei¬ tigkeiten und Laſter recht entſchieden darzuſtellen. Die höhern, edleren Eigenſchaften des Menſchen vermag die thie¬ riſche Analogie weniger adäquat auszudrücken, als die Re¬ gungen eines beſchränkten, ſelbſtſüchtigen Egoismus. Doch iſt das Thiereich groß und mannigfaltig genug, auch gute Eigenſchaften und Tugenden in's Spiel zu bringen, um ein ziemlich vollſtändiges Gegenbild des menſchlichen Treibens darbieten zu können. Der Orient, das Alterthum, das Mittelalter, die moderne Zeit, haben die Abſpiegelung deſ¬ ſelben in der Thiermaske gleich ſehr geliebt. Die Batra¬ chomyomachie der Homeriden iſt eine der älteſten und trefflichſten ſolcher Dichtungen. Die alte Komödie bediente ſich ſolcher Thiermasken in ihren Chören, wie uns noch die Wespen und Fröſche des Ariſtophanes erhalten ſind. Unter den kleinen Genrebildern der Pompejaniſchen Wand¬ malerei finden wir viele groteske, in's Satiriſche hinüber¬ ſpielende Thierſcenen. Ein Wiedehopf kutſchirt ſtolz auf einer Biga, die von Stieglitzen, von Schmetterlingen, von Greifen gezogen wird. Eine Ente geht auf ein Gefäß zu, zu trinken begierig; eine Glasglocke verhindert ſie daran, ſie ſteht da voll getäuſchter Erwartung u. ſ. w. Ein vorzügliches Bild iſt jenes treffliche, das den frommen Aeneas verſpottet, wie er mit ſeinem Vater Anchiſes auf den Schultern und den kleinen Ascanius an der Hand die Trümmer des brennenden Troja verläßt. Aeneas und Ascanius ſind als hundsköpfige Affen, Anchiſes als ein alter Bär dargeſtellt. Statt der vaterländiſchen Penaten hat dieſer ein Würfelſpiel aus den Flammen gerettet. Die Ausdeutung dieſes Bildes als einer

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/419>, abgerufen am 21.05.2024.