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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Diese Beschränkung auf die Malerei wird von Paris selber
sogleich factisch dadurch widerlegt, das er den Roman Fau¬
vel
, le pelerinage de la vie humaine und la danse Macabre
als satirische Werke bespricht, aus denen die Miniaturmalerei
den Stoff zu den Bildern genommen hat, mit welchem die
Handschriften geschmückt sind. Die Poesie ist eben sowohl,
als die Malerei, ja wegen der höhern Geistigkeit ihres Dar¬
stellungsmittels in noch viel größerem Umfang und viel ein¬
dringlicherer Tiefe, der Carikirung fähig. Die Geschichte der
komischen Literatur von C. F. Flögel, 1784, 4 Bde., ent¬
hält besonders die Geschichte der satirischen Dichtung und
damit der poetischen Caricatur. Was aber das Wort Cari¬
catur anlangt, so haben wir Deutsche es wohl erst auf dem
Französischen Umwege aus dem Italienischen aufgenommen.
Im Italienischen leitet es sich von caricare: überladen, ab;
die Franzosen haben für Caricatur das ähnliche Wort charge
in Gebrauch. Wir Deutsche haben vordem den Ausdruck:
Afterbildniß für Caricatur gehabt. Eine besondere Richtung
auf die Beachtung des Häßlichen als Mittel der Carikirung
hat unter den Malern längst vor Hogarth Leonardo da
Vinci gehabt, dessen hierhergehörige Zeichnungen, meist Stu¬
dienköpfe, seit Caylus öfter herausgegeben sind.

Von der Natur wird man nur uneigentlich sagen
können, daß sie Caricaturen hervorbringe. Wenn ihre Reali¬
tät ihren Begriff nicht erreicht, so kann daraus, wie wir
uns früher überzeugten, das Häßliche, auch wohl, unter ge¬
wissen Bedingungen, das Komische entstehen, eine wirkliche
Caricatur aber würde die Möglichkeit voraussetzen, daß die
Gestalt in ihrer Verbildung auf Freiheit zurückgeführt werden
könnte. Wir nennen den Affen ein Zerrbild des Menschen,
allein wir wissen sehr wohl, daß dies nur witziger Weise ge¬

Dieſe Beſchränkung auf die Malerei wird von Paris ſelber
ſogleich factiſch dadurch widerlegt, das er den Roman Fau¬
vel
, le pélérinage de la vie humaine und la danse Macabre
als ſatiriſche Werke beſpricht, aus denen die Miniaturmalerei
den Stoff zu den Bildern genommen hat, mit welchem die
Handſchriften geſchmückt ſind. Die Poeſie iſt eben ſowohl,
als die Malerei, ja wegen der höhern Geiſtigkeit ihres Dar¬
ſtellungsmittels in noch viel größerem Umfang und viel ein¬
dringlicherer Tiefe, der Carikirung fähig. Die Geſchichte der
komiſchen Literatur von C. F. Flögel, 1784, 4 Bde., ent¬
hält beſonders die Geſchichte der ſatiriſchen Dichtung und
damit der poetiſchen Caricatur. Was aber das Wort Cari¬
catur anlangt, ſo haben wir Deutſche es wohl erſt auf dem
Franzöſiſchen Umwege aus dem Italieniſchen aufgenommen.
Im Italieniſchen leitet es ſich von caricare: überladen, ab;
die Franzoſen haben für Caricatur das ähnliche Wort charge
in Gebrauch. Wir Deutſche haben vordem den Ausdruck:
Afterbildniß für Caricatur gehabt. Eine beſondere Richtung
auf die Beachtung des Häßlichen als Mittel der Carikirung
hat unter den Malern längſt vor Hogarth Leonardo da
Vinci gehabt, deſſen hierhergehörige Zeichnungen, meiſt Stu¬
dienköpfe, ſeit Caylus öfter herausgegeben ſind.

Von der Natur wird man nur uneigentlich ſagen
können, daß ſie Caricaturen hervorbringe. Wenn ihre Reali¬
tät ihren Begriff nicht erreicht, ſo kann daraus, wie wir
uns früher überzeugten, das Häßliche, auch wohl, unter ge¬
wiſſen Bedingungen, das Komiſche entſtehen, eine wirkliche
Caricatur aber würde die Möglichkeit vorausſetzen, daß die
Geſtalt in ihrer Verbildung auf Freiheit zurückgeführt werden
könnte. Wir nennen den Affen ein Zerrbild des Menſchen,
allein wir wiſſen ſehr wohl, daß dies nur witziger Weiſe ge¬

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[395/0417] Dieſe Beſchränkung auf die Malerei wird von Paris ſelber ſogleich factiſch dadurch widerlegt, das er den Roman Fau¬ vel, le pélérinage de la vie humaine und la danse Macabre als ſatiriſche Werke beſpricht, aus denen die Miniaturmalerei den Stoff zu den Bildern genommen hat, mit welchem die Handſchriften geſchmückt ſind. Die Poeſie iſt eben ſowohl, als die Malerei, ja wegen der höhern Geiſtigkeit ihres Dar¬ ſtellungsmittels in noch viel größerem Umfang und viel ein¬ dringlicherer Tiefe, der Carikirung fähig. Die Geſchichte der komiſchen Literatur von C. F. Flögel, 1784, 4 Bde., ent¬ hält beſonders die Geſchichte der ſatiriſchen Dichtung und damit der poetiſchen Caricatur. Was aber das Wort Cari¬ catur anlangt, ſo haben wir Deutſche es wohl erſt auf dem Franzöſiſchen Umwege aus dem Italieniſchen aufgenommen. Im Italieniſchen leitet es ſich von caricare: überladen, ab; die Franzoſen haben für Caricatur das ähnliche Wort charge in Gebrauch. Wir Deutſche haben vordem den Ausdruck: Afterbildniß für Caricatur gehabt. Eine beſondere Richtung auf die Beachtung des Häßlichen als Mittel der Carikirung hat unter den Malern längſt vor Hogarth Leonardo da Vinci gehabt, deſſen hierhergehörige Zeichnungen, meiſt Stu¬ dienköpfe, ſeit Caylus öfter herausgegeben ſind. Von der Natur wird man nur uneigentlich ſagen können, daß ſie Caricaturen hervorbringe. Wenn ihre Reali¬ tät ihren Begriff nicht erreicht, ſo kann daraus, wie wir uns früher überzeugten, das Häßliche, auch wohl, unter ge¬ wiſſen Bedingungen, das Komiſche entſtehen, eine wirkliche Caricatur aber würde die Möglichkeit vorausſetzen, daß die Geſtalt in ihrer Verbildung auf Freiheit zurückgeführt werden könnte. Wir nennen den Affen ein Zerrbild des Menſchen, allein wir wiſſen ſehr wohl, daß dies nur witziger Weiſe ge¬

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/417>, abgerufen am 21.05.2024.