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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Zwischen der chemischen Beschaffenheit und der Form findet
allerdings auch ein Zusammenhang statt, der von Haus¬
mann
in einer classischen Abhandlung namentlich auch für
das Verhältniß nachgewiesen ist, in welchem die Bodenge¬
stalt zur Vegetation und zur Thierwelt steht. Die Erkaltung
der einst glühenden Erdrinde und das Spiel von Wasser und
Luft haben die großen Lineamente der Erdphysiognomik ge¬
zeichnet (8).

Die Pflanzen sind fast durchgängig schön. Die Gift¬
pflanzen müßten, einer antiquirten Theologie zufolge, häßlich
sein und sie gerade bieten uns eine überschwängliche Fülle
zierlicher Formen und köstlicher Farben. Ihre narkotische
Kraft kann allerdings dem Leben den Tod bringen, allein
was geht diese Wirkung die Pflanze an? Liegt es denn in
ihrem Begriff, zu tödten? Wie die Narkose lethal wirken
kann, so kann sie ja auch im Rausch, den sie erzeugt, ent¬
zücken; ja sie kann das Leben aus Erkrankungen retten.
Gift ist ein ganz relativer Begriff und das Griechische Phar¬
makon bezeichnet eben sowohl Gift als Heilmittel (9).

Aber weil die Pflanze lebendig ist, so kann sie auch
häßlich werden. Das Leben als die Freiheit der Gestaltung
führt sie nothwendig in diese Möglichkeit ein. Pflanzen
können, was ihre Erscheinung in Gruppen betrifft, sich über¬
wuchern und so in selbsterzeugter Ungestalt sich verhäßlichen.
Sie können von Außen her gewaltsam angegriffen, willkür¬
lich gemodelt und verhunzt werden. Aber sie können auch
von Innen heraus durch Erkrankung verkümmern und ent¬
arten. Mit der Erkrankung kann auch die Entstaltung und
Verfärbung und zwar als eine häßliche sich entwickeln. In
allen diesen Fällen ist die natürliche Ursache der Häßlichkeit
eine ganz offenbare. Es ist kein dem Leben und der Pflanze

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Zwiſchen der chemiſchen Beſchaffenheit und der Form findet
allerdings auch ein Zuſammenhang ſtatt, der von Haus¬
mann
in einer claſſiſchen Abhandlung namentlich auch für
das Verhältniß nachgewieſen iſt, in welchem die Bodenge¬
ſtalt zur Vegetation und zur Thierwelt ſteht. Die Erkaltung
der einſt glühenden Erdrinde und das Spiel von Waſſer und
Luft haben die großen Lineamente der Erdphyſiognomik ge¬
zeichnet (8).

Die Pflanzen ſind faſt durchgängig ſchön. Die Gift¬
pflanzen müßten, einer antiquirten Theologie zufolge, häßlich
ſein und ſie gerade bieten uns eine überſchwängliche Fülle
zierlicher Formen und köſtlicher Farben. Ihre narkotiſche
Kraft kann allerdings dem Leben den Tod bringen, allein
was geht dieſe Wirkung die Pflanze an? Liegt es denn in
ihrem Begriff, zu tödten? Wie die Narkoſe lethal wirken
kann, ſo kann ſie ja auch im Rauſch, den ſie erzeugt, ent¬
zücken; ja ſie kann das Leben aus Erkrankungen retten.
Gift iſt ein ganz relativer Begriff und das Griechiſche Phar¬
makon bezeichnet eben ſowohl Gift als Heilmittel (9).

Aber weil die Pflanze lebendig iſt, ſo kann ſie auch
häßlich werden. Das Leben als die Freiheit der Geſtaltung
führt ſie nothwendig in dieſe Möglichkeit ein. Pflanzen
können, was ihre Erſcheinung in Gruppen betrifft, ſich über¬
wuchern und ſo in ſelbſterzeugter Ungeſtalt ſich verhäßlichen.
Sie können von Außen her gewaltſam angegriffen, willkür¬
lich gemodelt und verhunzt werden. Aber ſie können auch
von Innen heraus durch Erkrankung verkümmern und ent¬
arten. Mit der Erkrankung kann auch die Entſtaltung und
Verfärbung und zwar als eine häßliche ſich entwickeln. In
allen dieſen Fällen iſt die natürliche Urſache der Häßlichkeit
eine ganz offenbare. Es iſt kein dem Leben und der Pflanze

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[19/0041] Zwiſchen der chemiſchen Beſchaffenheit und der Form findet allerdings auch ein Zuſammenhang ſtatt, der von Haus¬ mann in einer claſſiſchen Abhandlung namentlich auch für das Verhältniß nachgewieſen iſt, in welchem die Bodenge¬ ſtalt zur Vegetation und zur Thierwelt ſteht. Die Erkaltung der einſt glühenden Erdrinde und das Spiel von Waſſer und Luft haben die großen Lineamente der Erdphyſiognomik ge¬ zeichnet (8). Die Pflanzen ſind faſt durchgängig ſchön. Die Gift¬ pflanzen müßten, einer antiquirten Theologie zufolge, häßlich ſein und ſie gerade bieten uns eine überſchwängliche Fülle zierlicher Formen und köſtlicher Farben. Ihre narkotiſche Kraft kann allerdings dem Leben den Tod bringen, allein was geht dieſe Wirkung die Pflanze an? Liegt es denn in ihrem Begriff, zu tödten? Wie die Narkoſe lethal wirken kann, ſo kann ſie ja auch im Rauſch, den ſie erzeugt, ent¬ zücken; ja ſie kann das Leben aus Erkrankungen retten. Gift iſt ein ganz relativer Begriff und das Griechiſche Phar¬ makon bezeichnet eben ſowohl Gift als Heilmittel (9). Aber weil die Pflanze lebendig iſt, ſo kann ſie auch häßlich werden. Das Leben als die Freiheit der Geſtaltung führt ſie nothwendig in dieſe Möglichkeit ein. Pflanzen können, was ihre Erſcheinung in Gruppen betrifft, ſich über¬ wuchern und ſo in ſelbſterzeugter Ungeſtalt ſich verhäßlichen. Sie können von Außen her gewaltſam angegriffen, willkür¬ lich gemodelt und verhunzt werden. Aber ſie können auch von Innen heraus durch Erkrankung verkümmern und ent¬ arten. Mit der Erkrankung kann auch die Entſtaltung und Verfärbung und zwar als eine häßliche ſich entwickeln. In allen dieſen Fällen iſt die natürliche Urſache der Häßlichkeit eine ganz offenbare. Es iſt kein dem Leben und der Pflanze 2 *

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/41>, abgerufen am 19.04.2024.