des Bösen kommen hier in's Spiel, wie Wollust, Herrsch¬ sucht u. dgl., sondern der Abgrund der absoluten, bewußten Selbstsucht. Von dieser Form geht die eine Richtung mehr auf das Handeln, die andere mehr auf eine satanische Schön¬ seligkeit. Dort erzeugt die Kunst Charaktere, wie Judas RichardIII., Marinelli, Franz Moor, den Secretair Wurm, Francesco Cenci, Vautrin, Lugarto, u. a., hier zerrissene Seelen, wie Roquairol, Manfred u. s. w. In jenen handelnden Bösewichtern ist noch eine gewisse naive Gesundheit des negativen Princips, in diesen contemplativen Teufeln aber geht das Böse durch das sophistische Spiel einer schlechten, hohlen Ironie in eine scheußliche Verwesung über. Aus den unruhig ermatteten, genußgierig impotenten, über¬ sättigt gelangweilten, vornehm cynischen, zweckslos gebil¬ deten, jeder Schwäche willfahrenden, leichtsinnig lasterhaften, mit dem Schmerze kotettirenden Menschen der heutigen Zeit hat sich ein Ideal satanischer Blasirtheit entwickelt, das in den Romanen der Engländer, Franzosen und Deut¬ schen mit dem Anspruch auftritt, für edel gehalten zu wer¬ den, zumal diese Helden gewöhnlich viel reisen, sehr gut essen und trinken, die feinste Toilette machen, nach Patschouli duften und elegante weltmännische Manieren haben. Aber diese Noblesse ist nichts als die jüngste Form der anthropo¬ logischen Erscheinung des satanischen Princips. Der "schöne Ekel" in dieser Diabolik, die sich absichtlich in Sünde stürzt um nachher den süßen Schauder der Reue zu genießen, die Menschenverachtung, die Hingabe an das Böse, nur um in dem wüsten Gefühl der universellen Verworfenheit zu schwel¬ gen, die geniale Frechheit, welche die Moral den Philistern überläßt, die Angst vor der Möglichkeit einer wirklichen Ge¬ schichte, der Unglaube an den lebendigen Gott, der in Natur
des Böſen kommen hier in's Spiel, wie Wolluſt, Herrſch¬ ſucht u. dgl., ſondern der Abgrund der abſoluten, bewußten Selbſtſucht. Von dieſer Form geht die eine Richtung mehr auf das Handeln, die andere mehr auf eine ſataniſche Schön¬ ſeligkeit. Dort erzeugt die Kunſt Charaktere, wie Judas RichardIII., Marinelli, Franz Moor, den Secretair Wurm, Francesco Cenci, Vautrin, Lugarto, u. a., hier zerriſſene Seelen, wie Roquairol, Manfred u. ſ. w. In jenen handelnden Böſewichtern iſt noch eine gewiſſe naive Geſundheit des negativen Princips, in dieſen contemplativen Teufeln aber geht das Böſe durch das ſophiſtiſche Spiel einer ſchlechten, hohlen Ironie in eine ſcheußliche Verweſung über. Aus den unruhig ermatteten, genußgierig impotenten, über¬ ſättigt gelangweilten, vornehm cyniſchen, zweckslos gebil¬ deten, jeder Schwäche willfahrenden, leichtſinnig laſterhaften, mit dem Schmerze kotettirenden Menſchen der heutigen Zeit hat ſich ein Ideal ſataniſcher Blaſirtheit entwickelt, das in den Romanen der Engländer, Franzoſen und Deut¬ ſchen mit dem Anſpruch auftritt, für edel gehalten zu wer¬ den, zumal dieſe Helden gewöhnlich viel reiſen, ſehr gut eſſen und trinken, die feinſte Toilette machen, nach Patſchouli duften und elegante weltmänniſche Manieren haben. Aber dieſe Nobleſſe iſt nichts als die jüngſte Form der anthropo¬ logiſchen Erſcheinung des ſataniſchen Princips. Der „ſchöne Ekel“ in dieſer Diabolik, die ſich abſichtlich in Sünde ſtürzt um nachher den ſüßen Schauder der Reue zu genießen, die Menſchenverachtung, die Hingabe an das Böſe, nur um in dem wüſten Gefühl der univerſellen Verworfenheit zu ſchwel¬ gen, die geniale Frechheit, welche die Moral den Philiſtern überläßt, die Angſt vor der Möglichkeit einer wirklichen Ge¬ ſchichte, der Unglaube an den lebendigen Gott, der in Natur
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><p><pbfacs="#f0404"n="382"/>
des Böſen kommen hier in's Spiel, wie Wolluſt, Herrſch¬<lb/>ſucht u. dgl., ſondern der Abgrund der abſoluten, bewußten<lb/>
Selbſtſucht. Von dieſer Form geht die eine Richtung mehr<lb/>
auf das Handeln, die andere mehr auf eine ſataniſche Schön¬<lb/>ſeligkeit. Dort erzeugt die Kunſt Charaktere, wie <hirendition="#g">Judas<lb/>
Richard</hi><hirendition="#aq">III</hi>., <hirendition="#g">Marinelli</hi>, Franz <hirendition="#g">Moor</hi>, den Secretair<lb/><hirendition="#g">Wurm</hi>, Francesco <hirendition="#g">Cenci</hi>, <hirendition="#g">Vautrin</hi>, <hirendition="#g">Lugarto</hi>, u. a.,<lb/>
hier zerriſſene Seelen, wie <hirendition="#g">Roquairol</hi>, <hirendition="#g">Manfred</hi> u. ſ. w.<lb/>
In jenen handelnden Böſewichtern iſt noch eine gewiſſe naive<lb/>
Geſundheit des negativen Princips, in dieſen contemplativen<lb/>
Teufeln aber geht das Böſe durch das ſophiſtiſche Spiel einer<lb/>ſchlechten, hohlen Ironie in eine ſcheußliche Verweſung über.<lb/>
Aus den unruhig ermatteten, genußgierig impotenten, über¬<lb/>ſättigt gelangweilten, vornehm cyniſchen, zweckslos gebil¬<lb/>
deten, jeder Schwäche willfahrenden, leichtſinnig laſterhaften,<lb/>
mit dem Schmerze kotettirenden Menſchen der heutigen Zeit<lb/>
hat ſich ein <hirendition="#g">Ideal ſataniſcher Blaſirtheit</hi> entwickelt,<lb/>
das in den Romanen der Engländer, Franzoſen und Deut¬<lb/>ſchen mit dem Anſpruch auftritt, für edel gehalten zu wer¬<lb/>
den, zumal dieſe Helden gewöhnlich viel reiſen, ſehr gut eſſen<lb/>
und trinken, die feinſte Toilette machen, nach Patſchouli<lb/>
duften und elegante weltmänniſche Manieren haben. Aber<lb/>
dieſe Nobleſſe iſt nichts als die jüngſte Form der anthropo¬<lb/>
logiſchen Erſcheinung des ſataniſchen Princips. Der „ſchöne<lb/>
Ekel“ in dieſer Diabolik, die ſich abſichtlich in Sünde ſtürzt<lb/>
um nachher den ſüßen Schauder der Reue zu genießen, die<lb/>
Menſchenverachtung, die Hingabe an das Böſe, nur um in<lb/>
dem wüſten Gefühl der univerſellen Verworfenheit zu ſchwel¬<lb/>
gen, die geniale Frechheit, welche die Moral den Philiſtern<lb/>
überläßt, die Angſt vor der Möglichkeit einer wirklichen Ge¬<lb/>ſchichte, der Unglaube an den lebendigen Gott, der in Natur<lb/></p></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[382/0404]
des Böſen kommen hier in's Spiel, wie Wolluſt, Herrſch¬
ſucht u. dgl., ſondern der Abgrund der abſoluten, bewußten
Selbſtſucht. Von dieſer Form geht die eine Richtung mehr
auf das Handeln, die andere mehr auf eine ſataniſche Schön¬
ſeligkeit. Dort erzeugt die Kunſt Charaktere, wie Judas
Richard III., Marinelli, Franz Moor, den Secretair
Wurm, Francesco Cenci, Vautrin, Lugarto, u. a.,
hier zerriſſene Seelen, wie Roquairol, Manfred u. ſ. w.
In jenen handelnden Böſewichtern iſt noch eine gewiſſe naive
Geſundheit des negativen Princips, in dieſen contemplativen
Teufeln aber geht das Böſe durch das ſophiſtiſche Spiel einer
ſchlechten, hohlen Ironie in eine ſcheußliche Verweſung über.
Aus den unruhig ermatteten, genußgierig impotenten, über¬
ſättigt gelangweilten, vornehm cyniſchen, zweckslos gebil¬
deten, jeder Schwäche willfahrenden, leichtſinnig laſterhaften,
mit dem Schmerze kotettirenden Menſchen der heutigen Zeit
hat ſich ein Ideal ſataniſcher Blaſirtheit entwickelt,
das in den Romanen der Engländer, Franzoſen und Deut¬
ſchen mit dem Anſpruch auftritt, für edel gehalten zu wer¬
den, zumal dieſe Helden gewöhnlich viel reiſen, ſehr gut eſſen
und trinken, die feinſte Toilette machen, nach Patſchouli
duften und elegante weltmänniſche Manieren haben. Aber
dieſe Nobleſſe iſt nichts als die jüngſte Form der anthropo¬
logiſchen Erſcheinung des ſataniſchen Princips. Der „ſchöne
Ekel“ in dieſer Diabolik, die ſich abſichtlich in Sünde ſtürzt
um nachher den ſüßen Schauder der Reue zu genießen, die
Menſchenverachtung, die Hingabe an das Böſe, nur um in
dem wüſten Gefühl der univerſellen Verworfenheit zu ſchwel¬
gen, die geniale Frechheit, welche die Moral den Philiſtern
überläßt, die Angſt vor der Möglichkeit einer wirklichen Ge¬
ſchichte, der Unglaube an den lebendigen Gott, der in Natur
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/404>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.