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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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rippe und Todtenhemden lieben, zuweilen aber, wie gleich
in Bürgers Lenore, den Schatten scheinbar auch in der
Form der vollen Wirklichkeit auftreten lassen. Die Unfarben,
Schwarz, Weiß, Grau, sind bei allen Völkern die Farben der
Schattenwelt, denn alle wirklichen Farben gehören dem Leben,
dem Tage und der Welt an. Zum Gespenst, larva, wird
nun der Schatten, wenn denselben noch ein ethischer Zusam¬
menhang mit der diesseitigen Welt verknüpft und ihn also im
Interesse der Geschichte aus dem Jenseits, worin er Ruhe
finden sollte, wieder in das Getriebe des Diesseits zurückruft.
Absolute, freie Ruhe, Seligkeit kann nur der Geist finden,
der die Geschichte überwunden hat. Wenn der Mensch seine
Geschichte noch nicht ausgelebt hat, so läßt ihn die Phantasie
aus dem Grabe wiederkehren, auf der Oberwelt die Vollendung
seines Dramas zu betreiben. Sie verspart die Abwickelung
des Restes seiner Geschichte nicht auf eine unbestimmte Zeit
eines allgemeinen Gerichtes, sondern lös't sie als poetische
Gerechtigkeit hier schon auf. Der Todte hat hiernach etwas
gethan oder ihm ist etwas gethan, was als ein Angefangenes
zum Schluß geführt, oder als eine Schuld gesühnt werden
muß. Aeußerlich hat ihn der Tod aus dem geschichtlichen
Zusammenhang herausgerissen, allein die Einheit der innern
Nothwendigkeit läßt ihn noch nicht los und er erscheint noch
wieder, sein Recht, seine Sühne zu suchen. Nachts, wenn
der Schlaf die Lebenden umfängt, schleicht er hervor aus
der Erde Schooß, der ihn als einen noch Ungerechtfertigten
noch nicht für immer bergen kann, und nahet sich dem Lager
der Träumenden, Halbwachenden. Er zeigt der Gattin
oder dem Sohne die blutende Wunde, die ihm, fern von
ihnen, von tückischer Hand geschlagen; er beunruhigt den
Mörder selbst durch die Qual seines Anblicks; er fordert

rippe und Todtenhemden lieben, zuweilen aber, wie gleich
in Bürgers Lenore, den Schatten ſcheinbar auch in der
Form der vollen Wirklichkeit auftreten laſſen. Die Unfarben,
Schwarz, Weiß, Grau, ſind bei allen Völkern die Farben der
Schattenwelt, denn alle wirklichen Farben gehören dem Leben,
dem Tage und der Welt an. Zum Geſpenſt, larva, wird
nun der Schatten, wenn denſelben noch ein ethiſcher Zuſam¬
menhang mit der dieſſeitigen Welt verknüpft und ihn alſo im
Intereſſe der Geſchichte aus dem Jenſeits, worin er Ruhe
finden ſollte, wieder in das Getriebe des Dieſſeits zurückruft.
Abſolute, freie Ruhe, Seligkeit kann nur der Geiſt finden,
der die Geſchichte überwunden hat. Wenn der Menſch ſeine
Geſchichte noch nicht ausgelebt hat, ſo läßt ihn die Phantaſie
aus dem Grabe wiederkehren, auf der Oberwelt die Vollendung
ſeines Dramas zu betreiben. Sie verſpart die Abwickelung
des Reſtes ſeiner Geſchichte nicht auf eine unbeſtimmte Zeit
eines allgemeinen Gerichtes, ſondern löſ't ſie als poetiſche
Gerechtigkeit hier ſchon auf. Der Todte hat hiernach etwas
gethan oder ihm iſt etwas gethan, was als ein Angefangenes
zum Schluß geführt, oder als eine Schuld geſühnt werden
muß. Aeußerlich hat ihn der Tod aus dem geſchichtlichen
Zuſammenhang herausgeriſſen, allein die Einheit der innern
Nothwendigkeit läßt ihn noch nicht los und er erſcheint noch
wieder, ſein Recht, ſeine Sühne zu ſuchen. Nachts, wenn
der Schlaf die Lebenden umfängt, ſchleicht er hervor aus
der Erde Schooß, der ihn als einen noch Ungerechtfertigten
noch nicht für immer bergen kann, und nahet ſich dem Lager
der Träumenden, Halbwachenden. Er zeigt der Gattin
oder dem Sohne die blutende Wunde, die ihm, fern von
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Mörder ſelbſt durch die Qual ſeines Anblicks; er fordert

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[343/0365] rippe und Todtenhemden lieben, zuweilen aber, wie gleich in Bürgers Lenore, den Schatten ſcheinbar auch in der Form der vollen Wirklichkeit auftreten laſſen. Die Unfarben, Schwarz, Weiß, Grau, ſind bei allen Völkern die Farben der Schattenwelt, denn alle wirklichen Farben gehören dem Leben, dem Tage und der Welt an. Zum Geſpenſt, larva, wird nun der Schatten, wenn denſelben noch ein ethiſcher Zuſam¬ menhang mit der dieſſeitigen Welt verknüpft und ihn alſo im Intereſſe der Geſchichte aus dem Jenſeits, worin er Ruhe finden ſollte, wieder in das Getriebe des Dieſſeits zurückruft. Abſolute, freie Ruhe, Seligkeit kann nur der Geiſt finden, der die Geſchichte überwunden hat. Wenn der Menſch ſeine Geſchichte noch nicht ausgelebt hat, ſo läßt ihn die Phantaſie aus dem Grabe wiederkehren, auf der Oberwelt die Vollendung ſeines Dramas zu betreiben. Sie verſpart die Abwickelung des Reſtes ſeiner Geſchichte nicht auf eine unbeſtimmte Zeit eines allgemeinen Gerichtes, ſondern löſ't ſie als poetiſche Gerechtigkeit hier ſchon auf. Der Todte hat hiernach etwas gethan oder ihm iſt etwas gethan, was als ein Angefangenes zum Schluß geführt, oder als eine Schuld geſühnt werden muß. Aeußerlich hat ihn der Tod aus dem geſchichtlichen Zuſammenhang herausgeriſſen, allein die Einheit der innern Nothwendigkeit läßt ihn noch nicht los und er erſcheint noch wieder, ſein Recht, ſeine Sühne zu ſuchen. Nachts, wenn der Schlaf die Lebenden umfängt, ſchleicht er hervor aus der Erde Schooß, der ihn als einen noch Ungerechtfertigten noch nicht für immer bergen kann, und nahet ſich dem Lager der Träumenden, Halbwachenden. Er zeigt der Gattin oder dem Sohne die blutende Wunde, die ihm, fern von ihnen, von tückiſcher Hand geſchlagen; er beunruhigt den Mörder ſelbſt durch die Qual ſeines Anblicks; er fordert

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/365>, abgerufen am 24.11.2024.