Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

jugendlicher Muskelfülle -- so wird man eine von den
komischen Posituren sehen, mit denen uns Harlekin und
Colombine unser Leben lang zu ergötzen wußten. Verfahre
man auf dieselbe Weise mit den beiden Nebenfiguren, und
man wird finden, daß hier der Pöbel gemeint sei, der am
meisten von solcherlei Vorstellungen angezogen wird."

"Es sei mir verziehen, daß ich hier weitläufiger als
vielleicht nöthig wäre, geworden; aber nicht jeder würde
mir, gleich auf den ersten Anblick, diesen antiken humoristi¬
schen Geniestreich zugeben, durch dessen Zauberkraft, zwischen
ein menschliches Schauspiel und ein geistiges Trauerspiel eine
lemurische Posse, zwischen das Schöne und Erhabene
ein Fratzenhaftes hineingebildet wird. Jedoch gestehe ich gern,
daß ich nicht leicht etwas Bewundernswürdigeres finde, als
das ästhetische Zusammenstellen dieser drei Zustände, welche
Alles enthalten, was der Mensch über seine Gegenwart
und Zukunft wissen, fühlen, wähnen und glauben kann."

"Das letzte Bild wie das erste spricht sich von selbst
aus. Charon hat die Künstlerin in das Land der Schatten
hinübergeführt, und schon blickt er zurück, wer allenfalls
wieder abzuholen drüben stehen möchte. Eine den Todten
günstige und daher auch ihr Verdienst in jenem Reich des
Vergessens bewahrende Gottheit blickt mit Gefallen auf ein
entfaltetes Pergamen, worauf wohl die Rollen verzeichnet
stehen mögen, in welchem die Künstlerin ihr Leben über
bewundert worden. -- Cerberus schweigt in ihrer Gegen¬
wart, sie findet schon wieder neue Bewunderer, vielleicht
schon ehemalige, die ihr zu diesen verborgenen Regionen
vorausgegangen. Eben so wenig fehlt es ihr an einer
Dienerin; auch hier folgt ihr eine nach, welche, die ehe¬
maligen Functionen fortsetzend, den Shwal für die Herrin

jugendlicher Muskelfülle — ſo wird man eine von den
komiſchen Poſituren ſehen, mit denen uns Harlekin und
Colombine unſer Leben lang zu ergötzen wußten. Verfahre
man auf dieſelbe Weiſe mit den beiden Nebenfiguren, und
man wird finden, daß hier der Pöbel gemeint ſei, der am
meiſten von ſolcherlei Vorſtellungen angezogen wird.“

„Es ſei mir verziehen, daß ich hier weitläufiger als
vielleicht nöthig wäre, geworden; aber nicht jeder würde
mir, gleich auf den erſten Anblick, dieſen antiken humoriſti¬
ſchen Genieſtreich zugeben, durch deſſen Zauberkraft, zwiſchen
ein menſchliches Schauſpiel und ein geiſtiges Trauerſpiel eine
lemuriſche Poſſe, zwiſchen das Schöne und Erhabene
ein Fratzenhaftes hineingebildet wird. Jedoch geſtehe ich gern,
daß ich nicht leicht etwas Bewundernswürdigeres finde, als
das äſthetiſche Zuſammenſtellen dieſer drei Zuſtände, welche
Alles enthalten, was der Menſch über ſeine Gegenwart
und Zukunft wiſſen, fühlen, wähnen und glauben kann.“

„Das letzte Bild wie das erſte ſpricht ſich von ſelbſt
aus. Charon hat die Künſtlerin in das Land der Schatten
hinübergeführt, und ſchon blickt er zurück, wer allenfalls
wieder abzuholen drüben ſtehen möchte. Eine den Todten
günſtige und daher auch ihr Verdienſt in jenem Reich des
Vergeſſens bewahrende Gottheit blickt mit Gefallen auf ein
entfaltetes Pergamen, worauf wohl die Rollen verzeichnet
ſtehen mögen, in welchem die Künſtlerin ihr Leben über
bewundert worden. — Cerberus ſchweigt in ihrer Gegen¬
wart, ſie findet ſchon wieder neue Bewunderer, vielleicht
ſchon ehemalige, die ihr zu dieſen verborgenen Regionen
vorausgegangen. Eben ſo wenig fehlt es ihr an einer
Dienerin; auch hier folgt ihr eine nach, welche, die ehe¬
maligen Functionen fortſetzend, den Shwal für die Herrin

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0363" n="341"/>
jugendlicher Muskelfülle &#x2014; &#x017F;o wird man eine von den<lb/>
komi&#x017F;chen Po&#x017F;ituren &#x017F;ehen, mit denen uns Harlekin und<lb/>
Colombine un&#x017F;er Leben lang zu ergötzen wußten. Verfahre<lb/>
man auf die&#x017F;elbe Wei&#x017F;e mit den beiden Nebenfiguren, und<lb/>
man wird finden, daß hier der Pöbel gemeint &#x017F;ei, der am<lb/>
mei&#x017F;ten von &#x017F;olcherlei Vor&#x017F;tellungen angezogen wird.&#x201C;</p><lb/>
                  <p>&#x201E;Es &#x017F;ei mir verziehen, daß ich hier weitläufiger als<lb/>
vielleicht nöthig wäre, geworden; aber nicht jeder würde<lb/>
mir, gleich auf den er&#x017F;ten Anblick, die&#x017F;en antiken humori&#x017F;ti¬<lb/>
&#x017F;chen Genie&#x017F;treich zugeben, durch de&#x017F;&#x017F;en Zauberkraft, zwi&#x017F;chen<lb/>
ein men&#x017F;chliches Schau&#x017F;piel und ein gei&#x017F;tiges Trauer&#x017F;piel eine<lb/><hi rendition="#g">lemuri&#x017F;che Po&#x017F;&#x017F;e</hi>, zwi&#x017F;chen das Schöne und Erhabene<lb/>
ein Fratzenhaftes hineingebildet wird. Jedoch ge&#x017F;tehe ich gern,<lb/>
daß ich nicht leicht etwas Bewundernswürdigeres finde, als<lb/>
das ä&#x017F;theti&#x017F;che Zu&#x017F;ammen&#x017F;tellen die&#x017F;er drei Zu&#x017F;tände, welche<lb/>
Alles enthalten, was der Men&#x017F;ch über &#x017F;eine Gegenwart<lb/>
und Zukunft wi&#x017F;&#x017F;en, fühlen, wähnen und glauben kann.&#x201C;</p><lb/>
                  <p>&#x201E;Das letzte Bild wie das er&#x017F;te &#x017F;pricht &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
aus. Charon hat die Kün&#x017F;tlerin in das Land der Schatten<lb/>
hinübergeführt, und &#x017F;chon blickt er zurück, wer allenfalls<lb/>
wieder abzuholen drüben &#x017F;tehen möchte. Eine den Todten<lb/>
gün&#x017F;tige und daher auch ihr Verdien&#x017F;t in jenem Reich des<lb/>
Verge&#x017F;&#x017F;ens bewahrende Gottheit blickt mit Gefallen auf ein<lb/>
entfaltetes Pergamen, worauf wohl die Rollen verzeichnet<lb/>
&#x017F;tehen mögen, in welchem die Kün&#x017F;tlerin ihr Leben über<lb/>
bewundert worden. &#x2014; Cerberus &#x017F;chweigt in ihrer Gegen¬<lb/>
wart, &#x017F;ie findet &#x017F;chon wieder neue Bewunderer, vielleicht<lb/>
&#x017F;chon ehemalige, die ihr zu die&#x017F;en verborgenen Regionen<lb/>
vorausgegangen. Eben &#x017F;o wenig fehlt es ihr an einer<lb/>
Dienerin; auch hier folgt ihr eine nach, welche, die ehe¬<lb/>
maligen Functionen fort&#x017F;etzend, den Shwal für die Herrin<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[341/0363] jugendlicher Muskelfülle — ſo wird man eine von den komiſchen Poſituren ſehen, mit denen uns Harlekin und Colombine unſer Leben lang zu ergötzen wußten. Verfahre man auf dieſelbe Weiſe mit den beiden Nebenfiguren, und man wird finden, daß hier der Pöbel gemeint ſei, der am meiſten von ſolcherlei Vorſtellungen angezogen wird.“ „Es ſei mir verziehen, daß ich hier weitläufiger als vielleicht nöthig wäre, geworden; aber nicht jeder würde mir, gleich auf den erſten Anblick, dieſen antiken humoriſti¬ ſchen Genieſtreich zugeben, durch deſſen Zauberkraft, zwiſchen ein menſchliches Schauſpiel und ein geiſtiges Trauerſpiel eine lemuriſche Poſſe, zwiſchen das Schöne und Erhabene ein Fratzenhaftes hineingebildet wird. Jedoch geſtehe ich gern, daß ich nicht leicht etwas Bewundernswürdigeres finde, als das äſthetiſche Zuſammenſtellen dieſer drei Zuſtände, welche Alles enthalten, was der Menſch über ſeine Gegenwart und Zukunft wiſſen, fühlen, wähnen und glauben kann.“ „Das letzte Bild wie das erſte ſpricht ſich von ſelbſt aus. Charon hat die Künſtlerin in das Land der Schatten hinübergeführt, und ſchon blickt er zurück, wer allenfalls wieder abzuholen drüben ſtehen möchte. Eine den Todten günſtige und daher auch ihr Verdienſt in jenem Reich des Vergeſſens bewahrende Gottheit blickt mit Gefallen auf ein entfaltetes Pergamen, worauf wohl die Rollen verzeichnet ſtehen mögen, in welchem die Künſtlerin ihr Leben über bewundert worden. — Cerberus ſchweigt in ihrer Gegen¬ wart, ſie findet ſchon wieder neue Bewunderer, vielleicht ſchon ehemalige, die ihr zu dieſen verborgenen Regionen vorausgegangen. Eben ſo wenig fehlt es ihr an einer Dienerin; auch hier folgt ihr eine nach, welche, die ehe¬ maligen Functionen fortſetzend, den Shwal für die Herrin

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/363
Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/363>, abgerufen am 15.05.2024.