Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

halten, wie die Römer ähnlich zwischen Lemuren und Larven
unterschieden. Die Vorstellung von Geistern, die ursprüng¬
lich einer andern Ordnung angehören, hat zwar etwas Außer¬
ordentliches, auch wohl Grauenhaftes, aber nichts Gespensti¬
sches an sich. Dämonen, Engel, Kobolde, sind, was sie
sind, von Hause aus, sind es nicht erst durch den Tod ge¬
worden. Sie stehen über den Schatten. Zwischen dem
Gespenst und dem Lebenden steht die eigenthümliche Vor¬
stellung des Vampyrismus. Der Vampyr wird als ein
Todter vorgestellt, der das Grab im Schein voller Leben¬
digkeit zeitweise verläßt, das junge, warme Leben zu ergreifen
und ihm das Blut auszusaugen. Der Vampyr ist schon
gestorben und doch gelüstet ihn noch, gegen das Wesen des
Todten, nach Nahrung, und zwar nach dem blühenden
Leben selber. Durch Göthe's Braut von Korinth, durch
Byron's Erzählung und Marschners Oper: der Vampyr,
ist diese Grabphantasie auch bei uns bekannt genug geworden.
Als Sage ist sie unter den Griechischen und Serbischen
Völkern dasselbe, was die Sage von den Wehrwölfen (loups
garoux
) unter den Romanischen. In den Mährchen von
Tausend und Einer Nacht kommt auch die Vorstellung von
Menschen vor, die das Gelüst haben, Leichen zu genießen,
das Leben also mit der Verwesung des Todes zu ersättigen,
die sogenannten Gulen. Diese Orientalischen Lamien sind
noch widerwärtiger, als die Vampyre, weil sie noch unna¬
türlicher sind.

Der Todte als einfacher Schatten erscheinend kann
den Eindruck des Fremden machen, braucht aber durchaus
nicht häßlich zu sein. Er kann im Wesentlichen dieselbe Ge¬
stalt, wie im Leben, haben, nur etwa ins Bleiche, Farblose
verschwimmend. In den Persern hat Aeschylos den

halten, wie die Römer ähnlich zwiſchen Lemuren und Larven
unterſchieden. Die Vorſtellung von Geiſtern, die urſprüng¬
lich einer andern Ordnung angehören, hat zwar etwas Außer¬
ordentliches, auch wohl Grauenhaftes, aber nichts Geſpenſti¬
ſches an ſich. Dämonen, Engel, Kobolde, ſind, was ſie
ſind, von Hauſe aus, ſind es nicht erſt durch den Tod ge¬
worden. Sie ſtehen über den Schatten. Zwiſchen dem
Geſpenſt und dem Lebenden ſteht die eigenthümliche Vor¬
ſtellung des Vampyrismus. Der Vampyr wird als ein
Todter vorgeſtellt, der das Grab im Schein voller Leben¬
digkeit zeitweiſe verläßt, das junge, warme Leben zu ergreifen
und ihm das Blut auszuſaugen. Der Vampyr iſt ſchon
geſtorben und doch gelüſtet ihn noch, gegen das Weſen des
Todten, nach Nahrung, und zwar nach dem blühenden
Leben ſelber. Durch Göthe's Braut von Korinth, durch
Byron's Erzählung und Marſchners Oper: der Vampyr,
iſt dieſe Grabphantaſie auch bei uns bekannt genug geworden.
Als Sage iſt ſie unter den Griechiſchen und Serbiſchen
Völkern daſſelbe, was die Sage von den Wehrwölfen (loups
garoux
) unter den Romaniſchen. In den Mährchen von
Tauſend und Einer Nacht kommt auch die Vorſtellung von
Menſchen vor, die das Gelüſt haben, Leichen zu genießen,
das Leben alſo mit der Verweſung des Todes zu erſättigen,
die ſogenannten Gulen. Dieſe Orientaliſchen Lamien ſind
noch widerwärtiger, als die Vampyre, weil ſie noch unna¬
türlicher ſind.

Der Todte als einfacher Schatten erſcheinend kann
den Eindruck des Fremden machen, braucht aber durchaus
nicht häßlich zu ſein. Er kann im Weſentlichen dieſelbe Ge¬
ſtalt, wie im Leben, haben, nur etwa ins Bleiche, Farbloſe
verſchwimmend. In den Perſern hat Aeſchylos den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0360" n="338"/>
halten, wie die Römer ähnlich zwi&#x017F;chen Lemuren und Larven<lb/>
unter&#x017F;chieden. Die Vor&#x017F;tellung von <hi rendition="#g">Gei&#x017F;tern</hi>, die ur&#x017F;prüng¬<lb/>
lich einer andern Ordnung angehören, hat zwar etwas Außer¬<lb/>
ordentliches, auch wohl Grauenhaftes, aber nichts Ge&#x017F;pen&#x017F;ti¬<lb/>
&#x017F;ches an &#x017F;ich. Dämonen, Engel, Kobolde, &#x017F;ind, was &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ind, von Hau&#x017F;e aus, &#x017F;ind es nicht er&#x017F;t durch den Tod ge¬<lb/>
worden. Sie &#x017F;tehen über den Schatten. Zwi&#x017F;chen dem<lb/>
Ge&#x017F;pen&#x017F;t und dem Lebenden &#x017F;teht die eigenthümliche Vor¬<lb/>
&#x017F;tellung des Vampyrismus. Der <hi rendition="#g">Vampyr</hi> wird als ein<lb/>
Todter vorge&#x017F;tellt, der das Grab im Schein voller Leben¬<lb/>
digkeit zeitwei&#x017F;e verläßt, das junge, warme Leben zu ergreifen<lb/>
und ihm das Blut auszu&#x017F;augen. Der Vampyr i&#x017F;t &#x017F;chon<lb/>
ge&#x017F;torben und doch gelü&#x017F;tet ihn noch, gegen das We&#x017F;en des<lb/>
Todten, nach Nahrung, und zwar nach dem blühenden<lb/>
Leben &#x017F;elber. Durch <hi rendition="#g">Göthe's</hi> Braut von Korinth, durch<lb/><hi rendition="#g">Byron's</hi> Erzählung und <hi rendition="#g">Mar&#x017F;chners</hi> Oper: der Vampyr,<lb/>
i&#x017F;t die&#x017F;e Grabphanta&#x017F;ie auch bei uns bekannt genug geworden.<lb/>
Als Sage i&#x017F;t &#x017F;ie unter den Griechi&#x017F;chen und Serbi&#x017F;chen<lb/>
Völkern da&#x017F;&#x017F;elbe, was die Sage von den Wehrwölfen (<hi rendition="#aq">loups<lb/>
garoux</hi>) unter den Romani&#x017F;chen. In den Mährchen von<lb/>
Tau&#x017F;end und Einer Nacht kommt auch die Vor&#x017F;tellung von<lb/>
Men&#x017F;chen vor, die das Gelü&#x017F;t haben, Leichen zu genießen,<lb/>
das Leben al&#x017F;o mit der Verwe&#x017F;ung des Todes zu er&#x017F;ättigen,<lb/>
die &#x017F;ogenannten <hi rendition="#g">Gulen</hi>. Die&#x017F;e Orientali&#x017F;chen Lamien &#x017F;ind<lb/>
noch widerwärtiger, als die Vampyre, weil &#x017F;ie noch unna¬<lb/>
türlicher &#x017F;ind.</p><lb/>
                  <p>Der Todte als einfacher Schatten er&#x017F;cheinend kann<lb/>
den Eindruck des Fremden machen, braucht aber durchaus<lb/>
nicht häßlich zu &#x017F;ein. Er kann im We&#x017F;entlichen die&#x017F;elbe Ge¬<lb/>
&#x017F;talt, wie im Leben, haben, nur etwa ins Bleiche, Farblo&#x017F;e<lb/>
ver&#x017F;chwimmend. In den <hi rendition="#g">Per&#x017F;ern</hi> hat <hi rendition="#g">Ae&#x017F;chylos</hi> den<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[338/0360] halten, wie die Römer ähnlich zwiſchen Lemuren und Larven unterſchieden. Die Vorſtellung von Geiſtern, die urſprüng¬ lich einer andern Ordnung angehören, hat zwar etwas Außer¬ ordentliches, auch wohl Grauenhaftes, aber nichts Geſpenſti¬ ſches an ſich. Dämonen, Engel, Kobolde, ſind, was ſie ſind, von Hauſe aus, ſind es nicht erſt durch den Tod ge¬ worden. Sie ſtehen über den Schatten. Zwiſchen dem Geſpenſt und dem Lebenden ſteht die eigenthümliche Vor¬ ſtellung des Vampyrismus. Der Vampyr wird als ein Todter vorgeſtellt, der das Grab im Schein voller Leben¬ digkeit zeitweiſe verläßt, das junge, warme Leben zu ergreifen und ihm das Blut auszuſaugen. Der Vampyr iſt ſchon geſtorben und doch gelüſtet ihn noch, gegen das Weſen des Todten, nach Nahrung, und zwar nach dem blühenden Leben ſelber. Durch Göthe's Braut von Korinth, durch Byron's Erzählung und Marſchners Oper: der Vampyr, iſt dieſe Grabphantaſie auch bei uns bekannt genug geworden. Als Sage iſt ſie unter den Griechiſchen und Serbiſchen Völkern daſſelbe, was die Sage von den Wehrwölfen (loups garoux) unter den Romaniſchen. In den Mährchen von Tauſend und Einer Nacht kommt auch die Vorſtellung von Menſchen vor, die das Gelüſt haben, Leichen zu genießen, das Leben alſo mit der Verweſung des Todes zu erſättigen, die ſogenannten Gulen. Dieſe Orientaliſchen Lamien ſind noch widerwärtiger, als die Vampyre, weil ſie noch unna¬ türlicher ſind. Der Todte als einfacher Schatten erſcheinend kann den Eindruck des Fremden machen, braucht aber durchaus nicht häßlich zu ſein. Er kann im Weſentlichen dieſelbe Ge¬ ſtalt, wie im Leben, haben, nur etwa ins Bleiche, Farbloſe verſchwimmend. In den Perſern hat Aeſchylos den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/360
Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/360>, abgerufen am 22.05.2024.