Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

lektik der modernen Philosophie damit spottet, daß den strei¬
tenden Philosophen die Aufgabe gestellt wird, den Urbe¬
griff des Drecks
zu definiren. Der eine will nun z. B.
beweisen, daß man den Sinn des Drecks nie verstanden habe,
weil man nicht einmal sein Genus richtig gefaßt:

Subject und Object, absolut identisch sind sie Beiden,
Es ist das A egal dem B und nicht zu unterscheiden.
Das B, das Object, ist der Dreck. Das ist doch reine
Wahrheit?

Daß ich das A, das Subject bin, ist evidente Klarheit;
Und mithin bin ich selbst der Dreck, ich selbst, identisch bin ich.
Es ist bewiesne Wahrheit dieß und wenn auch widersinnig!
Wenn einer nun gesetzten Falls den Dreck euch producirt hat,
So folgt daraus, daß dieser Mann sich eben selbst creirt hat.
Nun nenn ich solche Zeugung doch wahrhaftig ungeschlechtlich,
Und sag' ich: der, und sag' ich: die, so ist es widerrechtlich.
Vielmehr um diesen ganzen Schluß in einem Wort zu fassen,
So kann fortan als richtig nur: das Dreck ich gelten lassen.

Man könnte von der Verwesung sagen, daß sie durch
die christliche Religion doch zu einem positiven Gegenstande
der Kunst geworden, indem die Malerei sich an die Auf¬
erstehung des Lazarus
gewagt habe, von welchem ja
die Schrift selber sage, daß er schon rieche. Vor allen
Dingen vergesse man nur nicht, daß die Malerei diesen
Geruch nicht darstellt und sodann, daß man doch eben nur an
einen oberflächlichen Beginn der Verwesung zu denken hat.
Das eigentlich Positive in diesem Vorwurf bleibt doch immer
die Anschauung, wie der Tod durch das von Christus aus¬
gehende göttliche Leben überwunden wird. Der ins Leichen¬
tuch gehüllte, aus dem geöffneten Grab kommende Lazarus
contrastirt höchst malerisch mit der Gruppe der Lebendigen,

lektik der modernen Philoſophie damit ſpottet, daß den ſtrei¬
tenden Philoſophen die Aufgabe geſtellt wird, den Urbe¬
griff des Drecks
zu definiren. Der eine will nun z. B.
beweiſen, daß man den Sinn des Drecks nie verſtanden habe,
weil man nicht einmal ſein Genus richtig gefaßt:

Subject und Object, abſolut identiſch ſind ſie Beiden,
Es iſt das A egal dem B und nicht zu unterſcheiden.
Das B, das Object, iſt der Dreck. Das iſt doch reine
Wahrheit?

Daß ich das A, das Subject bin, iſt evidente Klarheit;
Und mithin bin ich ſelbſt der Dreck, ich ſelbſt, identiſch bin ich.
Es iſt bewiesne Wahrheit dieß und wenn auch widerſinnig!
Wenn einer nun geſetzten Falls den Dreck euch producirt hat,
So folgt daraus, daß dieſer Mann ſich eben ſelbſt creirt hat.
Nun nenn ich ſolche Zeugung doch wahrhaftig ungeſchlechtlich,
Und ſag' ich: der, und ſag' ich: die, ſo iſt es widerrechtlich.
Vielmehr um dieſen ganzen Schluß in einem Wort zu faſſen,
So kann fortan als richtig nur: das Dreck ich gelten laſſen.

Man könnte von der Verweſung ſagen, daß ſie durch
die chriſtliche Religion doch zu einem poſitiven Gegenſtande
der Kunſt geworden, indem die Malerei ſich an die Auf¬
erſtehung des Lazarus
gewagt habe, von welchem ja
die Schrift ſelber ſage, daß er ſchon rieche. Vor allen
Dingen vergeſſe man nur nicht, daß die Malerei dieſen
Geruch nicht darſtellt und ſodann, daß man doch eben nur an
einen oberflächlichen Beginn der Verweſung zu denken hat.
Das eigentlich Poſitive in dieſem Vorwurf bleibt doch immer
die Anſchauung, wie der Tod durch das von Chriſtus aus¬
gehende göttliche Leben überwunden wird. Der ins Leichen¬
tuch gehüllte, aus dem geöffneten Grab kommende Lazarus
contraſtirt höchſt maleriſch mit der Gruppe der Lebendigen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0338" n="316"/>
lektik der modernen Philo&#x017F;ophie damit &#x017F;pottet, daß den &#x017F;trei¬<lb/>
tenden Philo&#x017F;ophen die Aufgabe ge&#x017F;tellt wird, den <hi rendition="#g">Urbe¬<lb/>
griff des Drecks</hi> zu definiren. Der eine will nun z. B.<lb/>
bewei&#x017F;en, daß man den Sinn des Drecks nie ver&#x017F;tanden habe,<lb/>
weil man nicht einmal &#x017F;ein Genus richtig gefaßt:</p><lb/>
                <p><hi rendition="#g">Subject</hi> und <hi rendition="#g">Object</hi>, ab&#x017F;olut identi&#x017F;ch &#x017F;ind &#x017F;ie Beiden,<lb/>
Es i&#x017F;t das A egal dem B und nicht zu unter&#x017F;cheiden.<lb/>
Das B, das Object, i&#x017F;t der Dreck. Das i&#x017F;t doch reine<lb/><hi rendition="#c">Wahrheit?</hi></p><lb/>
                <p>Daß ich das A, das Subject bin, i&#x017F;t evidente Klarheit;<lb/>
Und mithin bin ich &#x017F;elb&#x017F;t der Dreck, ich &#x017F;elb&#x017F;t, identi&#x017F;ch bin ich.<lb/>
Es i&#x017F;t bewiesne Wahrheit dieß und wenn auch wider&#x017F;innig!<lb/>
Wenn einer nun ge&#x017F;etzten Falls den Dreck euch producirt hat,<lb/>
So folgt daraus, daß die&#x017F;er Mann &#x017F;ich eben &#x017F;elb&#x017F;t creirt hat.<lb/>
Nun nenn ich &#x017F;olche Zeugung doch wahrhaftig unge&#x017F;chlechtlich,<lb/>
Und &#x017F;ag' ich: <hi rendition="#g">der</hi>, und &#x017F;ag' ich: <hi rendition="#g">die</hi>, &#x017F;o i&#x017F;t es widerrechtlich.<lb/>
Vielmehr um die&#x017F;en ganzen Schluß in einem Wort zu fa&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
So kann fortan als richtig nur: <hi rendition="#g">das Dreck</hi> ich gelten la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
                <p>Man könnte von der Verwe&#x017F;ung &#x017F;agen, daß &#x017F;ie durch<lb/>
die chri&#x017F;tliche Religion doch zu einem po&#x017F;itiven Gegen&#x017F;tande<lb/>
der Kun&#x017F;t geworden, indem die Malerei &#x017F;ich an die <hi rendition="#g">Auf¬<lb/>
er&#x017F;tehung des Lazarus</hi> gewagt habe, von welchem ja<lb/>
die Schrift &#x017F;elber &#x017F;age, daß er &#x017F;chon rieche. Vor allen<lb/>
Dingen verge&#x017F;&#x017F;e man nur nicht, daß die Malerei die&#x017F;en<lb/>
Geruch nicht dar&#x017F;tellt und &#x017F;odann, daß man doch eben nur an<lb/>
einen oberflächlichen Beginn der Verwe&#x017F;ung zu denken hat.<lb/>
Das eigentlich Po&#x017F;itive in die&#x017F;em Vorwurf bleibt doch immer<lb/>
die An&#x017F;chauung, wie der Tod durch das von Chri&#x017F;tus aus¬<lb/>
gehende göttliche Leben überwunden wird. Der ins Leichen¬<lb/>
tuch gehüllte, aus dem geöffneten Grab kommende Lazarus<lb/>
contra&#x017F;tirt höch&#x017F;t maleri&#x017F;ch mit der Gruppe der Lebendigen,<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[316/0338] lektik der modernen Philoſophie damit ſpottet, daß den ſtrei¬ tenden Philoſophen die Aufgabe geſtellt wird, den Urbe¬ griff des Drecks zu definiren. Der eine will nun z. B. beweiſen, daß man den Sinn des Drecks nie verſtanden habe, weil man nicht einmal ſein Genus richtig gefaßt: Subject und Object, abſolut identiſch ſind ſie Beiden, Es iſt das A egal dem B und nicht zu unterſcheiden. Das B, das Object, iſt der Dreck. Das iſt doch reine Wahrheit? Daß ich das A, das Subject bin, iſt evidente Klarheit; Und mithin bin ich ſelbſt der Dreck, ich ſelbſt, identiſch bin ich. Es iſt bewiesne Wahrheit dieß und wenn auch widerſinnig! Wenn einer nun geſetzten Falls den Dreck euch producirt hat, So folgt daraus, daß dieſer Mann ſich eben ſelbſt creirt hat. Nun nenn ich ſolche Zeugung doch wahrhaftig ungeſchlechtlich, Und ſag' ich: der, und ſag' ich: die, ſo iſt es widerrechtlich. Vielmehr um dieſen ganzen Schluß in einem Wort zu faſſen, So kann fortan als richtig nur: das Dreck ich gelten laſſen. Man könnte von der Verweſung ſagen, daß ſie durch die chriſtliche Religion doch zu einem poſitiven Gegenſtande der Kunſt geworden, indem die Malerei ſich an die Auf¬ erſtehung des Lazarus gewagt habe, von welchem ja die Schrift ſelber ſage, daß er ſchon rieche. Vor allen Dingen vergeſſe man nur nicht, daß die Malerei dieſen Geruch nicht darſtellt und ſodann, daß man doch eben nur an einen oberflächlichen Beginn der Verweſung zu denken hat. Das eigentlich Poſitive in dieſem Vorwurf bleibt doch immer die Anſchauung, wie der Tod durch das von Chriſtus aus¬ gehende göttliche Leben überwunden wird. Der ins Leichen¬ tuch gehüllte, aus dem geöffneten Grab kommende Lazarus contraſtirt höchſt maleriſch mit der Gruppe der Lebendigen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/338
Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/338>, abgerufen am 23.11.2024.