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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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um die edlen Züge,
Welche Hellas' Stempel tragen,
Hat der träumende Gedanke
Düstern Mantel umgeschlagen --
Wie madonnenhaftes Leuchten
Zuckt um's Haupt ein Glorienschein,
Kündend des Gedankens Qualen,
Lebensnoth und Herzenspein.

In's Komische kann das Frivole übergehen, wenn es
durch die Wahrheit berechtigt, also nur scheinbar ein Frevel
am Heiligen ist. Es deckt dann den Widerspruch auf, der
zwischen dem Wesen und seiner Form vorhanden sein kann.
Werke, die von hier entspringen, können denjenigen, die
polemisch davon berührt werden, auch frivol erscheinen, ohne
es zu sein. Sie werden zwar Incongruenzen der Vorstellung
des Göttlichen angreifen, aber sie werden niemals die Sitt¬
lichkeit beleidigen. Lukianos besitzt eine vorzügliche Stärke
in der heitern Art, wie er die innern Widersprüche des
antiken Olymps schonungslos aufdeckt. Uns werden seine
Götterparodieen als ein nothwendiges Moment in der Auf¬
lösung des Heidenthums, einem damaligen Griechen aber
konnten sie auch frivol vorkommen. In seinem tragischen
Zeus
läßt er einen Stoiker Timokles mit einem Epikuräer
Damis öffentlich über die Existenz der Götter und ihrer
Vorsehung kämpfen. Der Stoiker bringt die gewöhnlichen
teleologischen Argumente vor, schimpft gewaltig auf die Ruch¬
losigkeit seines Gegners, weiß aber zuletzt, nachdem seine
Vergleichung der Welt mit einem von einem Steuermann
gelenkten Schiff an des Damis Dialektik Schiffbruch gelitten,
sich nur auf den Schluß zurückzuziehen, daß, weil es Altäre
gebe, es doch auch Götter geben müsse. Zeus nimmt an

um die edlen Züge,
Welche Hellas' Stempel tragen,
Hat der träumende Gedanke
Düſtern Mantel umgeſchlagen —
Wie madonnenhaftes Leuchten
Zuckt um's Haupt ein Glorienſchein,
Kündend des Gedankens Qualen,
Lebensnoth und Herzenspein.

In's Komiſche kann das Frivole übergehen, wenn es
durch die Wahrheit berechtigt, alſo nur ſcheinbar ein Frevel
am Heiligen iſt. Es deckt dann den Widerſpruch auf, der
zwiſchen dem Weſen und ſeiner Form vorhanden ſein kann.
Werke, die von hier entſpringen, können denjenigen, die
polemiſch davon berührt werden, auch frivol erſcheinen, ohne
es zu ſein. Sie werden zwar Incongruenzen der Vorſtellung
des Göttlichen angreifen, aber ſie werden niemals die Sitt¬
lichkeit beleidigen. Lukianos beſitzt eine vorzügliche Stärke
in der heitern Art, wie er die innern Widerſprüche des
antiken Olymps ſchonungslos aufdeckt. Uns werden ſeine
Götterparodieen als ein nothwendiges Moment in der Auf¬
löſung des Heidenthums, einem damaligen Griechen aber
konnten ſie auch frivol vorkommen. In ſeinem tragiſchen
Zeus
läßt er einen Stoiker Timokles mit einem Epikuräer
Damis öffentlich über die Exiſtenz der Götter und ihrer
Vorſehung kämpfen. Der Stoiker bringt die gewöhnlichen
teleologiſchen Argumente vor, ſchimpft gewaltig auf die Ruch¬
loſigkeit ſeines Gegners, weiß aber zuletzt, nachdem ſeine
Vergleichung der Welt mit einem von einem Steuermann
gelenkten Schiff an des Damis Dialektik Schiffbruch gelitten,
ſich nur auf den Schluß zurückzuziehen, daß, weil es Altäre
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[276/0298] um die edlen Züge, Welche Hellas' Stempel tragen, Hat der träumende Gedanke Düſtern Mantel umgeſchlagen — Wie madonnenhaftes Leuchten Zuckt um's Haupt ein Glorienſchein, Kündend des Gedankens Qualen, Lebensnoth und Herzenspein. In's Komiſche kann das Frivole übergehen, wenn es durch die Wahrheit berechtigt, alſo nur ſcheinbar ein Frevel am Heiligen iſt. Es deckt dann den Widerſpruch auf, der zwiſchen dem Weſen und ſeiner Form vorhanden ſein kann. Werke, die von hier entſpringen, können denjenigen, die polemiſch davon berührt werden, auch frivol erſcheinen, ohne es zu ſein. Sie werden zwar Incongruenzen der Vorſtellung des Göttlichen angreifen, aber ſie werden niemals die Sitt¬ lichkeit beleidigen. Lukianos beſitzt eine vorzügliche Stärke in der heitern Art, wie er die innern Widerſprüche des antiken Olymps ſchonungslos aufdeckt. Uns werden ſeine Götterparodieen als ein nothwendiges Moment in der Auf¬ löſung des Heidenthums, einem damaligen Griechen aber konnten ſie auch frivol vorkommen. In ſeinem tragiſchen Zeus läßt er einen Stoiker Timokles mit einem Epikuräer Damis öffentlich über die Exiſtenz der Götter und ihrer Vorſehung kämpfen. Der Stoiker bringt die gewöhnlichen teleologiſchen Argumente vor, ſchimpft gewaltig auf die Ruch¬ loſigkeit ſeines Gegners, weiß aber zuletzt, nachdem ſeine Vergleichung der Welt mit einem von einem Steuermann gelenkten Schiff an des Damis Dialektik Schiffbruch gelitten, ſich nur auf den Schluß zurückzuziehen, daß, weil es Altäre gebe, es doch auch Götter geben müſſe. Zeus nimmt an

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/298>, abgerufen am 22.11.2024.