Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

Besondern einen verschiedenen Inhalt, sind aber darin iden¬
tisch, Religion zu sein und den Menschen in ein Verhältniß
zum Absoluten zu setzen; der wahre Buddhist, Jude, Muha¬
medaner stirbt eben so freudig für die Wahrheit seines Glau¬
bens, als der wahre Katholik, Lutheraner, Methodist u. s. w.
Auch in der Besonderheit der Sitte sind die Völker ver¬
schieden, aber jedem ist seine Sitte heilig. Der Wilde be¬
beeifert sich, von seinem sittlichen Standpunct aus, seinem
Gast seine Töchter, seine Frau, zum Beischlaf anzubieten,
was ein anderer Standpunct für eine Entehrung hält. Die
Sitten desselben Volkes sind zu verschiedenen Zeiten ver¬
schiedene und noch im achtzehnten Jahrhundert würde man
es bei uns für ein frivoles Untergraben aller Auctorität an¬
gesehen haben, wenn Kinder ihre Eltern zu duzen gewagt
hätten, was nun sogar Mitglieder fürstlicher Familien thun.
Weil die Sitte die Gestalt ist, welche der Wille eines Volkes
in seiner Gewöhnung annimmt, so achten die Völker sich in
ihren Sitten, wie abweichend dieselben auch von einander
sein mögen, und es gilt mit Recht für frivol, den Einzelnen,
der in ihre allgemeine Nothwendigkeit hineingeboren und
hineinerzogen wird, deshalb zu verspotten. -- Sehr wohl
ist nun auch ein Conflict mit der Sitte, mit dem Glauben
eines Volkes denkbar, der nichts weniger als frivol zu sein
braucht, vielmehr sogar aus der tiefsten Sittlichkeit und Re¬
ligiosität hervorgehen kann, wie dies bei allen großen Re¬
formatoren der Fall ist. -- Frivol wird erst die Ernstlosigkeit,
die ein Wohlgefallen daran verräth, die Achtung einer Sitte,
den Glauben an ein Göttliches, als Widersinn und Betrug,
als Wahn und Selbsttäuschung darzustellen. Die Frivolität
ist nicht der heilige Kampf jener erhabenen Skepsis, die aus
der innersten Wahrhaftigkeit des Geistes entspringt; sie ist

Beſondern einen verſchiedenen Inhalt, ſind aber darin iden¬
tiſch, Religion zu ſein und den Menſchen in ein Verhältniß
zum Abſoluten zu ſetzen; der wahre Buddhiſt, Jude, Muha¬
medaner ſtirbt eben ſo freudig für die Wahrheit ſeines Glau¬
bens, als der wahre Katholik, Lutheraner, Methodiſt u. ſ. w.
Auch in der Beſonderheit der Sitte ſind die Völker ver¬
ſchieden, aber jedem iſt ſeine Sitte heilig. Der Wilde be¬
beeifert ſich, von ſeinem ſittlichen Standpunct aus, ſeinem
Gaſt ſeine Töchter, ſeine Frau, zum Beiſchlaf anzubieten,
was ein anderer Standpunct für eine Entehrung hält. Die
Sitten deſſelben Volkes ſind zu verſchiedenen Zeiten ver¬
ſchiedene und noch im achtzehnten Jahrhundert würde man
es bei uns für ein frivoles Untergraben aller Auctorität an¬
geſehen haben, wenn Kinder ihre Eltern zu duzen gewagt
hätten, was nun ſogar Mitglieder fürſtlicher Familien thun.
Weil die Sitte die Geſtalt iſt, welche der Wille eines Volkes
in ſeiner Gewöhnung annimmt, ſo achten die Völker ſich in
ihren Sitten, wie abweichend dieſelben auch von einander
ſein mögen, und es gilt mit Recht für frivol, den Einzelnen,
der in ihre allgemeine Nothwendigkeit hineingeboren und
hineinerzogen wird, deshalb zu verſpotten. — Sehr wohl
iſt nun auch ein Conflict mit der Sitte, mit dem Glauben
eines Volkes denkbar, der nichts weniger als frivol zu ſein
braucht, vielmehr ſogar aus der tiefſten Sittlichkeit und Re¬
ligioſität hervorgehen kann, wie dies bei allen großen Re¬
formatoren der Fall iſt. — Frivol wird erſt die Ernſtloſigkeit,
die ein Wohlgefallen daran verräth, die Achtung einer Sitte,
den Glauben an ein Göttliches, als Widerſinn und Betrug,
als Wahn und Selbſttäuſchung darzuſtellen. Die Frivolität
iſt nicht der heilige Kampf jener erhabenen Skepſis, die aus
der innerſten Wahrhaftigkeit des Geiſtes entſpringt; ſie iſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0287" n="265"/>
Be&#x017F;ondern einen ver&#x017F;chiedenen Inhalt, &#x017F;ind aber darin iden¬<lb/>
ti&#x017F;ch, Religion zu &#x017F;ein und den Men&#x017F;chen in ein Verhältniß<lb/>
zum Ab&#x017F;oluten zu &#x017F;etzen; der wahre Buddhi&#x017F;t, Jude, Muha¬<lb/>
medaner &#x017F;tirbt eben &#x017F;o freudig für die Wahrheit &#x017F;eines Glau¬<lb/>
bens, als der wahre Katholik, Lutheraner, Methodi&#x017F;t u. &#x017F;. w.<lb/>
Auch in der Be&#x017F;onderheit der Sitte &#x017F;ind die Völker ver¬<lb/>
&#x017F;chieden, aber jedem i&#x017F;t &#x017F;eine Sitte heilig. Der Wilde be¬<lb/>
beeifert &#x017F;ich, von &#x017F;einem &#x017F;ittlichen Standpunct aus, &#x017F;einem<lb/>
Ga&#x017F;t &#x017F;eine Töchter, &#x017F;eine Frau, zum Bei&#x017F;chlaf anzubieten,<lb/>
was ein anderer Standpunct für eine Entehrung hält. Die<lb/>
Sitten de&#x017F;&#x017F;elben Volkes &#x017F;ind zu ver&#x017F;chiedenen Zeiten ver¬<lb/>
&#x017F;chiedene und noch im achtzehnten Jahrhundert würde man<lb/>
es bei uns für ein frivoles Untergraben aller Auctorität an¬<lb/>
ge&#x017F;ehen haben, wenn Kinder ihre Eltern zu duzen gewagt<lb/>
hätten, was nun &#x017F;ogar Mitglieder für&#x017F;tlicher Familien thun.<lb/>
Weil die Sitte die Ge&#x017F;talt i&#x017F;t, welche der Wille eines Volkes<lb/>
in &#x017F;einer Gewöhnung annimmt, &#x017F;o achten die Völker &#x017F;ich in<lb/>
ihren Sitten, wie abweichend die&#x017F;elben auch von einander<lb/>
&#x017F;ein mögen, und es gilt mit Recht für frivol, den Einzelnen,<lb/>
der in ihre allgemeine Nothwendigkeit hineingeboren und<lb/>
hineinerzogen wird, deshalb zu ver&#x017F;potten. &#x2014; Sehr wohl<lb/>
i&#x017F;t nun auch ein Conflict mit der Sitte, mit dem Glauben<lb/>
eines Volkes denkbar, der nichts weniger als frivol zu &#x017F;ein<lb/>
braucht, vielmehr &#x017F;ogar aus der tief&#x017F;ten Sittlichkeit und Re¬<lb/>
ligio&#x017F;ität hervorgehen kann, wie dies bei allen großen Re¬<lb/>
formatoren der Fall i&#x017F;t. &#x2014; Frivol wird er&#x017F;t die Ern&#x017F;tlo&#x017F;igkeit,<lb/>
die ein Wohlgefallen daran verräth, die Achtung einer Sitte,<lb/>
den Glauben an ein Göttliches, als Wider&#x017F;inn und Betrug,<lb/>
als Wahn und Selb&#x017F;ttäu&#x017F;chung darzu&#x017F;tellen. Die Frivolität<lb/>
i&#x017F;t nicht der heilige Kampf jener erhabenen Skep&#x017F;is, die aus<lb/>
der inner&#x017F;ten Wahrhaftigkeit des Gei&#x017F;tes ent&#x017F;pringt; &#x017F;ie i&#x017F;t<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[265/0287] Beſondern einen verſchiedenen Inhalt, ſind aber darin iden¬ tiſch, Religion zu ſein und den Menſchen in ein Verhältniß zum Abſoluten zu ſetzen; der wahre Buddhiſt, Jude, Muha¬ medaner ſtirbt eben ſo freudig für die Wahrheit ſeines Glau¬ bens, als der wahre Katholik, Lutheraner, Methodiſt u. ſ. w. Auch in der Beſonderheit der Sitte ſind die Völker ver¬ ſchieden, aber jedem iſt ſeine Sitte heilig. Der Wilde be¬ beeifert ſich, von ſeinem ſittlichen Standpunct aus, ſeinem Gaſt ſeine Töchter, ſeine Frau, zum Beiſchlaf anzubieten, was ein anderer Standpunct für eine Entehrung hält. Die Sitten deſſelben Volkes ſind zu verſchiedenen Zeiten ver¬ ſchiedene und noch im achtzehnten Jahrhundert würde man es bei uns für ein frivoles Untergraben aller Auctorität an¬ geſehen haben, wenn Kinder ihre Eltern zu duzen gewagt hätten, was nun ſogar Mitglieder fürſtlicher Familien thun. Weil die Sitte die Geſtalt iſt, welche der Wille eines Volkes in ſeiner Gewöhnung annimmt, ſo achten die Völker ſich in ihren Sitten, wie abweichend dieſelben auch von einander ſein mögen, und es gilt mit Recht für frivol, den Einzelnen, der in ihre allgemeine Nothwendigkeit hineingeboren und hineinerzogen wird, deshalb zu verſpotten. — Sehr wohl iſt nun auch ein Conflict mit der Sitte, mit dem Glauben eines Volkes denkbar, der nichts weniger als frivol zu ſein braucht, vielmehr ſogar aus der tiefſten Sittlichkeit und Re¬ ligioſität hervorgehen kann, wie dies bei allen großen Re¬ formatoren der Fall iſt. — Frivol wird erſt die Ernſtloſigkeit, die ein Wohlgefallen daran verräth, die Achtung einer Sitte, den Glauben an ein Göttliches, als Widerſinn und Betrug, als Wahn und Selbſttäuſchung darzuſtellen. Die Frivolität iſt nicht der heilige Kampf jener erhabenen Skepſis, die aus der innerſten Wahrhaftigkeit des Geiſtes entſpringt; ſie iſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/287
Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/287>, abgerufen am 22.11.2024.