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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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darin vorkommen, eingeflochten (52). -- Die Romanische
Literatur hat einen Hang zum Schlüpfrigen, Obscönen,
Zweideutigen, Lasciven, der schon vom Mittelalter, von
den contes und fabliaux an, von den galanten Abenteuern
der Artusritter her, bis zu den Chansons eines B e ranger
sich hinzieht, welchen Autor man, wenn man an seine
Fretillon denkt, von dem specifischen Wohlgefallen der
Franzosen an sinnlich frivolen Vorstellungen nicht wird frei¬
sprechen können, mit welcher Laune und Anmuth er auch so
häßliche Stoffe zu behandeln wisse. Die Fiction eines ge¬
wissen Fatalismus der Liebe, die wir auch schon in der
Tristansage finden und die von den Göthe'schen Wahlver¬
wandtschaften in's Tragische und damit Sittliche gewendet
worden, ist von den Franzosen zu einer ungenügenden Ent¬
schuldigung für sehr zweideutige Darstellungen gemacht. Noch
immer ist bei ihnen einer der beliebtesten Romane Manon
L'escaut
von Prev o t d'Exiles. Zwei Liebende sind
darin gleichsam magisch mit einander verkettet und bleiben
sich durch allen, oft sehr herben Wechsel des Geschicks, bis
in den Tod getreu. Aber wie? Wenn ihre äußerliche Noth
sehr groß wird, so verfällt die schöne, liebenswürdige Manon
regelmäßig auf das Auskunftsmittel, sich mit Zustimmung
ihres Geliebten irgend einem Reichen in die Arme zu werfen,
ihn gehörig auszubeuten und dann mit den durch ihre Pro¬
stitution erworbenen Schätzen sich und ihrem Geliebten wieder
ein sorgenfreies Leben zu bereiten. Manon bleibt ihrem
Geliebten treu, so treu, daß sie für ihn sich prostituirt! Und
er, der Herr Ritter Desgrieux? Er verdient durch falsches
Spiel! Pikant sind diese Situationen gewiß und Französisch
sind sie gewiß auch, wie die vielen, noch immer neu er¬
scheinenden Ausgaben der Manon L'escaut beweisen. Aber

darin vorkommen, eingeflochten (52). — Die Romaniſche
Literatur hat einen Hang zum Schlüpfrigen, Obscönen,
Zweideutigen, Lasciven, der ſchon vom Mittelalter, von
den contes und fabliaux an, von den galanten Abenteuern
der Artusritter her, bis zu den Chansons eines B é ranger
ſich hinzieht, welchen Autor man, wenn man an ſeine
Frétillon denkt, von dem ſpecifiſchen Wohlgefallen der
Franzoſen an ſinnlich frivolen Vorſtellungen nicht wird frei¬
ſprechen können, mit welcher Laune und Anmuth er auch ſo
häßliche Stoffe zu behandeln wiſſe. Die Fiction eines ge¬
wiſſen Fatalismus der Liebe, die wir auch ſchon in der
Triſtanſage finden und die von den Göthe'ſchen Wahlver¬
wandtſchaften in‘s Tragiſche und damit Sittliche gewendet
worden, iſt von den Franzoſen zu einer ungenügenden Ent¬
ſchuldigung für ſehr zweideutige Darſtellungen gemacht. Noch
immer iſt bei ihnen einer der beliebteſten Romane Manon
L'escaut
von Prev ô t d'Exiles. Zwei Liebende ſind
darin gleichſam magiſch mit einander verkettet und bleiben
ſich durch allen, oft ſehr herben Wechſel des Geſchicks, bis
in den Tod getreu. Aber wie? Wenn ihre äußerliche Noth
ſehr groß wird, ſo verfällt die ſchöne, liebenswürdige Manon
regelmäßig auf das Auskunftsmittel, ſich mit Zuſtimmung
ihres Geliebten irgend einem Reichen in die Arme zu werfen,
ihn gehörig auszubeuten und dann mit den durch ihre Pro¬
ſtitution erworbenen Schätzen ſich und ihrem Geliebten wieder
ein ſorgenfreies Leben zu bereiten. Manon bleibt ihrem
Geliebten treu, ſo treu, daß ſie für ihn ſich proſtituirt! Und
er, der Herr Ritter Desgrieux? Er verdient durch falſches
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[245/0267] darin vorkommen, eingeflochten (52). — Die Romaniſche Literatur hat einen Hang zum Schlüpfrigen, Obscönen, Zweideutigen, Lasciven, der ſchon vom Mittelalter, von den contes und fabliaux an, von den galanten Abenteuern der Artusritter her, bis zu den Chansons eines B é ranger ſich hinzieht, welchen Autor man, wenn man an ſeine Frétillon denkt, von dem ſpecifiſchen Wohlgefallen der Franzoſen an ſinnlich frivolen Vorſtellungen nicht wird frei¬ ſprechen können, mit welcher Laune und Anmuth er auch ſo häßliche Stoffe zu behandeln wiſſe. Die Fiction eines ge¬ wiſſen Fatalismus der Liebe, die wir auch ſchon in der Triſtanſage finden und die von den Göthe'ſchen Wahlver¬ wandtſchaften in‘s Tragiſche und damit Sittliche gewendet worden, iſt von den Franzoſen zu einer ungenügenden Ent¬ ſchuldigung für ſehr zweideutige Darſtellungen gemacht. Noch immer iſt bei ihnen einer der beliebteſten Romane Manon L'escaut von Prev ô t d'Exiles. Zwei Liebende ſind darin gleichſam magiſch mit einander verkettet und bleiben ſich durch allen, oft ſehr herben Wechſel des Geſchicks, bis in den Tod getreu. Aber wie? Wenn ihre äußerliche Noth ſehr groß wird, ſo verfällt die ſchöne, liebenswürdige Manon regelmäßig auf das Auskunftsmittel, ſich mit Zuſtimmung ihres Geliebten irgend einem Reichen in die Arme zu werfen, ihn gehörig auszubeuten und dann mit den durch ihre Pro¬ ſtitution erworbenen Schätzen ſich und ihrem Geliebten wieder ein ſorgenfreies Leben zu bereiten. Manon bleibt ihrem Geliebten treu, ſo treu, daß ſie für ihn ſich proſtituirt! Und er, der Herr Ritter Desgrieux? Er verdient durch falſches Spiel! Pikant ſind dieſe Situationen gewiß und Franzöſiſch ſind ſie gewiß auch, wie die vielen, noch immer neu er¬ ſcheinenden Ausgaben der Manon L'escaut beweiſen. Aber

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/267>, abgerufen am 22.11.2024.