die Katamenien sind es, die ihm doch eine Verhüllung der Scham aufdrängen. Alle Darstellung der Scham und der Geschlechtsverhältnisse in Bild oder Wort, welche nicht in wissenschaftlicher oder ethischer Beziehung, sondern der Lüstern¬ heit halber gemacht wird, ist obscön und häßlich, denn sie ist eine Profanation der heiligen Mysterien der Natur. Alles Phallische, obwohl in den Religionen heilig, ist doch, ästhetisch genommen, häßlich. Alle phallischen Götter sind häßlich. Der Priap in der Geradlinigkeit seines ausgesteiften Gliedes ist häßlich. Die Masken der alten und die Moha¬ bazzin oder Straßenschauspieler der neuen Aegyptier, die mit beweglichen Gliedern ein obscönes Spiel treiben; oder gar die Zwergfiguren der Römer mit ihren colossalen männlichen Gliedern, der Sannio, der Morion, der Drillops, sind häßlich, denn der Penis einer solchen Figur ist beinahe so groß, als sie selber (47). -- Ist aber schon die Ostentation der Schamglieder an sich häßlich, so muß die Häßlichkeit sich noch steigern, wenn die sexuelle Beziehung in bestimmter Weise hervortritt, wie z. B. im Indischen Lingam, der den Phallus in der Yoni d. h. in den weiblichen Schamtheilen steckend darstellt, was freilich innerhalb des Indischen Cultus religiös gemeint ist. Wie viele Menschen übrigens auf diesem Indischen Standpunct auch in Europa stehen, wie sehr die Phantasie der Menge sich immer mit Phallischen Bildern befleckt, sieht man in jeder Stadt, wo eine Mauer, ein Thorweg nur recht frisch und rein angestrichen zu werden braucht, um schon Tags darauf mit solchen Figuren besudelt zu sein. Im Mittelalter war es eine Zeitlang sogar üblich, dem Zuckerwerk des Nachtischs phallische Formen zu geben. -- Alle Priapeischen Bilder, Gedichte und Romane sind daher häßlich, mit einem wie großen Aufwand von Phantasie,
die Katamenien ſind es, die ihm doch eine Verhüllung der Scham aufdrängen. Alle Darſtellung der Scham und der Geſchlechtsverhältniſſe in Bild oder Wort, welche nicht in wiſſenſchaftlicher oder ethiſcher Beziehung, ſondern der Lüſtern¬ heit halber gemacht wird, iſt obscön und häßlich, denn ſie iſt eine Profanation der heiligen Myſterien der Natur. Alles Phalliſche, obwohl in den Religionen heilig, iſt doch, äſthetiſch genommen, häßlich. Alle phalliſchen Götter ſind häßlich. Der Priap in der Geradlinigkeit ſeines ausgeſteiften Gliedes iſt häßlich. Die Masken der alten und die Moha¬ bazzin oder Straßenſchauſpieler der neuen Aegyptier, die mit beweglichen Gliedern ein obscönes Spiel treiben; oder gar die Zwergfiguren der Römer mit ihren coloſſalen männlichen Gliedern, der Sannio, der Morion, der Drillops, ſind häßlich, denn der Penis einer ſolchen Figur iſt beinahe ſo groß, als ſie ſelber (47). — Iſt aber ſchon die Oſtentation der Schamglieder an ſich häßlich, ſo muß die Häßlichkeit ſich noch ſteigern, wenn die ſexuelle Beziehung in beſtimmter Weiſe hervortritt, wie z. B. im Indiſchen Lingam, der den Phallus in der Yoni d. h. in den weiblichen Schamtheilen ſteckend darſtellt, was freilich innerhalb des Indiſchen Cultus religiös gemeint iſt. Wie viele Menſchen übrigens auf dieſem Indiſchen Standpunct auch in Europa ſtehen, wie ſehr die Phantaſie der Menge ſich immer mit Phalliſchen Bildern befleckt, ſieht man in jeder Stadt, wo eine Mauer, ein Thorweg nur recht friſch und rein angeſtrichen zu werden braucht, um ſchon Tags darauf mit ſolchen Figuren beſudelt zu ſein. Im Mittelalter war es eine Zeitlang ſogar üblich, dem Zuckerwerk des Nachtiſchs phalliſche Formen zu geben. — Alle Priapeiſchen Bilder, Gedichte und Romane ſind daher häßlich, mit einem wie großen Aufwand von Phantaſie,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0258"n="236"/>
die Katamenien ſind es, die ihm doch eine Verhüllung der<lb/>
Scham aufdrängen. Alle Darſtellung der Scham und der<lb/>
Geſchlechtsverhältniſſe in Bild oder Wort, welche nicht in<lb/>
wiſſenſchaftlicher oder ethiſcher Beziehung, ſondern der Lüſtern¬<lb/>
heit halber gemacht wird, iſt obscön und häßlich, denn ſie<lb/>
iſt eine Profanation der heiligen Myſterien der Natur. Alles<lb/><hirendition="#g">Phalliſche</hi>, obwohl in den Religionen heilig, iſt doch,<lb/>
äſthetiſch genommen, häßlich. Alle phalliſchen Götter ſind<lb/>
häßlich. Der Priap in der Geradlinigkeit ſeines ausgeſteiften<lb/>
Gliedes iſt häßlich. Die Masken der alten und die <hirendition="#aq">Moha¬<lb/>
bazzin</hi> oder Straßenſchauſpieler der neuen Aegyptier, die mit<lb/>
beweglichen Gliedern ein obscönes Spiel treiben; oder gar<lb/>
die Zwergfiguren der Römer mit ihren coloſſalen männlichen<lb/>
Gliedern, der <hirendition="#g">Sannio</hi>, der <hirendition="#g">Morion</hi>, der <hirendition="#g">Drillops</hi>, ſind<lb/>
häßlich, denn der Penis einer ſolchen Figur iſt beinahe ſo<lb/>
groß, als ſie ſelber (47). — Iſt aber ſchon die Oſtentation<lb/>
der Schamglieder an ſich häßlich, ſo muß die Häßlichkeit<lb/>ſich noch ſteigern, wenn die ſexuelle Beziehung in beſtimmter<lb/>
Weiſe hervortritt, wie z. B. im Indiſchen Lingam, der den<lb/>
Phallus in der Yoni d. h. in den weiblichen Schamtheilen<lb/>ſteckend darſtellt, was freilich innerhalb des Indiſchen Cultus<lb/>
religiös gemeint iſt. Wie viele Menſchen übrigens auf dieſem<lb/>
Indiſchen Standpunct auch in Europa ſtehen, wie ſehr die<lb/>
Phantaſie der Menge ſich immer mit Phalliſchen Bildern<lb/>
befleckt, ſieht man in jeder Stadt, wo eine Mauer, ein<lb/>
Thorweg nur recht friſch und rein angeſtrichen zu werden<lb/>
braucht, um ſchon Tags darauf mit ſolchen Figuren beſudelt<lb/>
zu ſein. Im Mittelalter war es eine Zeitlang ſogar üblich,<lb/>
dem Zuckerwerk des Nachtiſchs phalliſche Formen zu geben. —<lb/>
Alle Priapeiſchen Bilder, Gedichte und Romane ſind daher<lb/>
häßlich, mit einem wie großen Aufwand von Phantaſie,<lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[236/0258]
die Katamenien ſind es, die ihm doch eine Verhüllung der
Scham aufdrängen. Alle Darſtellung der Scham und der
Geſchlechtsverhältniſſe in Bild oder Wort, welche nicht in
wiſſenſchaftlicher oder ethiſcher Beziehung, ſondern der Lüſtern¬
heit halber gemacht wird, iſt obscön und häßlich, denn ſie
iſt eine Profanation der heiligen Myſterien der Natur. Alles
Phalliſche, obwohl in den Religionen heilig, iſt doch,
äſthetiſch genommen, häßlich. Alle phalliſchen Götter ſind
häßlich. Der Priap in der Geradlinigkeit ſeines ausgeſteiften
Gliedes iſt häßlich. Die Masken der alten und die Moha¬
bazzin oder Straßenſchauſpieler der neuen Aegyptier, die mit
beweglichen Gliedern ein obscönes Spiel treiben; oder gar
die Zwergfiguren der Römer mit ihren coloſſalen männlichen
Gliedern, der Sannio, der Morion, der Drillops, ſind
häßlich, denn der Penis einer ſolchen Figur iſt beinahe ſo
groß, als ſie ſelber (47). — Iſt aber ſchon die Oſtentation
der Schamglieder an ſich häßlich, ſo muß die Häßlichkeit
ſich noch ſteigern, wenn die ſexuelle Beziehung in beſtimmter
Weiſe hervortritt, wie z. B. im Indiſchen Lingam, der den
Phallus in der Yoni d. h. in den weiblichen Schamtheilen
ſteckend darſtellt, was freilich innerhalb des Indiſchen Cultus
religiös gemeint iſt. Wie viele Menſchen übrigens auf dieſem
Indiſchen Standpunct auch in Europa ſtehen, wie ſehr die
Phantaſie der Menge ſich immer mit Phalliſchen Bildern
befleckt, ſieht man in jeder Stadt, wo eine Mauer, ein
Thorweg nur recht friſch und rein angeſtrichen zu werden
braucht, um ſchon Tags darauf mit ſolchen Figuren beſudelt
zu ſein. Im Mittelalter war es eine Zeitlang ſogar üblich,
dem Zuckerwerk des Nachtiſchs phalliſche Formen zu geben. —
Alle Priapeiſchen Bilder, Gedichte und Romane ſind daher
häßlich, mit einem wie großen Aufwand von Phantaſie,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/258>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.