mit bizarren Einbildungen. Die Liebe als Leidenschaft reizt auch zu bizarren Handlungen, wie der Troubadour Peire Vidal aus Toulouse sich dadurch vorzüglich im Andenken erhalten hat. Wir können seinen sentimentalen Albernheiten von den Deutschen Minnesingern die Ulrichs von Lichten¬ stein an die Seite setzen (43). In der Architektur und Sculptur kann das Bizarre sich noch wenig geltend machen, weil der Ernst und die Eigenthümlichkeit des Materials dieser Künste seine Ausschweifungen hemmen. In der Malerei gewinnt es schon einen bedeutenden Spielraum, namentlich durch ganz eigene Farbentöne. In der Musik kann es natürlich die Unergründlichkeit seiner Metamorphosen recht nach Wohlgefallen in dem weichen, nachgibigen, unbestimmt¬ bestimmten Element der Töne auslassen und die Musik nennt auch manche ihrer wunderlichen Schöpfungen aus¬ drücklich Capricen. In der Poesie endlich versteht sich die mannigfaltigste Darstellung des Indefinissabeln, was im Bi¬ zarren liegt, von selbst. Shakespeare hat ihm in einigen seiner Lustspiele glänzende Verherrlichungen angedeihen lassen. Unter den neuern Franzosen zeichnet sich Balzac in der Kunst aus, das Bizarre zu idealisiren. So hat er einen Roman geschrieben, welcher den Swedenborgianismus schildert. Die Heldin desselben erscheint wegen ihrer engelhaften Natur den Männern als Jungfrau, als Seraphita, den Frauen als Jüngling, als Seraphitus. Dieser psychologische Hermaphroditismus führt nun auch zu bizarren Situationen. Unter den neuern Deutschen Autoren hat Gutzkow eine vorzügliche Begabung zur Erfindung bizarrer Charaktere und Situationen. Sein Mahaguru, seine Wally, seine Se¬ raphine, sein Nero, sein Prinz von Madagascar, sein Blasedow, sein Hackert in den Rittern vom
mit bizarren Einbildungen. Die Liebe als Leidenſchaft reizt auch zu bizarren Handlungen, wie der Troubadour Peire Vidal aus Toulouſe ſich dadurch vorzüglich im Andenken erhalten hat. Wir können ſeinen ſentimentalen Albernheiten von den Deutſchen Minneſingern die Ulrichs von Lichten¬ ſtein an die Seite ſetzen (43). In der Architektur und Sculptur kann das Bizarre ſich noch wenig geltend machen, weil der Ernſt und die Eigenthümlichkeit des Materials dieſer Künſte ſeine Ausſchweifungen hemmen. In der Malerei gewinnt es ſchon einen bedeutenden Spielraum, namentlich durch ganz eigene Farbentöne. In der Muſik kann es natürlich die Unergründlichkeit ſeiner Metamorphoſen recht nach Wohlgefallen in dem weichen, nachgibigen, unbeſtimmt¬ beſtimmten Element der Töne auslaſſen und die Muſik nennt auch manche ihrer wunderlichen Schöpfungen aus¬ drücklich Capriçen. In der Poeſie endlich verſteht ſich die mannigfaltigſte Darſtellung des Indefiniſſabeln, was im Bi¬ zarren liegt, von ſelbſt. Shakeſpeare hat ihm in einigen ſeiner Luſtſpiele glänzende Verherrlichungen angedeihen laſſen. Unter den neuern Franzoſen zeichnet ſich Balzac in der Kunſt aus, das Bizarre zu idealiſiren. So hat er einen Roman geſchrieben, welcher den Swedenborgianismus ſchildert. Die Heldin deſſelben erſcheint wegen ihrer engelhaften Natur den Männern als Jungfrau, als Seraphita, den Frauen als Jüngling, als Seraphitus. Dieſer pſychologiſche Hermaphroditismus führt nun auch zu bizarren Situationen. Unter den neuern Deutſchen Autoren hat Gutzkow eine vorzügliche Begabung zur Erfindung bizarrer Charaktere und Situationen. Sein Mahaguru, ſeine Wally, ſeine Se¬ raphine, ſein Nero, ſein Prinz von Madagascar, ſein Blaſedow, ſein Hackert in den Rittern vom
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0240"n="218"/>
mit bizarren Einbildungen. Die Liebe als Leidenſchaft reizt<lb/>
auch zu bizarren Handlungen, wie der Troubadour <hirendition="#g">Peire<lb/>
Vidal</hi> aus Toulouſe ſich dadurch vorzüglich im Andenken<lb/>
erhalten hat. Wir können ſeinen ſentimentalen Albernheiten<lb/>
von den Deutſchen Minneſingern die <hirendition="#g">Ulrichs</hi> von <hirendition="#g">Lichten¬<lb/>ſtein</hi> an die Seite ſetzen (43). In der Architektur und<lb/>
Sculptur kann das Bizarre ſich noch wenig geltend machen,<lb/>
weil der Ernſt und die Eigenthümlichkeit des Materials dieſer<lb/>
Künſte ſeine Ausſchweifungen hemmen. In der Malerei<lb/>
gewinnt es ſchon einen bedeutenden Spielraum, namentlich<lb/>
durch ganz eigene Farbentöne. In der Muſik kann es<lb/>
natürlich die Unergründlichkeit ſeiner Metamorphoſen recht<lb/>
nach Wohlgefallen in dem weichen, nachgibigen, unbeſtimmt¬<lb/>
beſtimmten Element der Töne auslaſſen und die Muſik<lb/>
nennt auch manche ihrer wunderlichen Schöpfungen aus¬<lb/>
drücklich Capri<hirendition="#aq">ç</hi>en. In der Poeſie endlich verſteht ſich die<lb/>
mannigfaltigſte Darſtellung des Indefiniſſabeln, was im Bi¬<lb/>
zarren liegt, von ſelbſt. <hirendition="#g">Shakeſpeare</hi> hat ihm in einigen<lb/>ſeiner Luſtſpiele glänzende Verherrlichungen angedeihen laſſen.<lb/>
Unter den neuern Franzoſen zeichnet ſich <hirendition="#g">Balzac</hi> in der<lb/>
Kunſt aus, das Bizarre zu idealiſiren. So hat er einen<lb/>
Roman geſchrieben, welcher den Swedenborgianismus ſchildert.<lb/>
Die Heldin deſſelben erſcheint wegen ihrer engelhaften Natur<lb/>
den Männern als Jungfrau, als <hirendition="#g">Seraphita</hi>, den Frauen<lb/>
als Jüngling, als <hirendition="#g">Seraphitus</hi>. Dieſer pſychologiſche<lb/>
Hermaphroditismus führt nun auch zu bizarren Situationen.<lb/>
Unter den neuern Deutſchen Autoren hat <hirendition="#g">Gutzkow</hi> eine<lb/>
vorzügliche Begabung zur Erfindung bizarrer Charaktere und<lb/>
Situationen. Sein <hirendition="#g">Mahaguru</hi>, ſeine <hirendition="#g">Wally</hi>, ſeine <hirendition="#g">Se¬<lb/>
raphine</hi>, ſein <hirendition="#g">Nero</hi>, ſein <hirendition="#g">Prinz von Madagascar</hi>,<lb/>ſein <hirendition="#g">Blaſedow</hi>, ſein <hirendition="#g">Hackert</hi> in den <hirendition="#g">Rittern vom</hi><lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[218/0240]
mit bizarren Einbildungen. Die Liebe als Leidenſchaft reizt
auch zu bizarren Handlungen, wie der Troubadour Peire
Vidal aus Toulouſe ſich dadurch vorzüglich im Andenken
erhalten hat. Wir können ſeinen ſentimentalen Albernheiten
von den Deutſchen Minneſingern die Ulrichs von Lichten¬
ſtein an die Seite ſetzen (43). In der Architektur und
Sculptur kann das Bizarre ſich noch wenig geltend machen,
weil der Ernſt und die Eigenthümlichkeit des Materials dieſer
Künſte ſeine Ausſchweifungen hemmen. In der Malerei
gewinnt es ſchon einen bedeutenden Spielraum, namentlich
durch ganz eigene Farbentöne. In der Muſik kann es
natürlich die Unergründlichkeit ſeiner Metamorphoſen recht
nach Wohlgefallen in dem weichen, nachgibigen, unbeſtimmt¬
beſtimmten Element der Töne auslaſſen und die Muſik
nennt auch manche ihrer wunderlichen Schöpfungen aus¬
drücklich Capriçen. In der Poeſie endlich verſteht ſich die
mannigfaltigſte Darſtellung des Indefiniſſabeln, was im Bi¬
zarren liegt, von ſelbſt. Shakeſpeare hat ihm in einigen
ſeiner Luſtſpiele glänzende Verherrlichungen angedeihen laſſen.
Unter den neuern Franzoſen zeichnet ſich Balzac in der
Kunſt aus, das Bizarre zu idealiſiren. So hat er einen
Roman geſchrieben, welcher den Swedenborgianismus ſchildert.
Die Heldin deſſelben erſcheint wegen ihrer engelhaften Natur
den Männern als Jungfrau, als Seraphita, den Frauen
als Jüngling, als Seraphitus. Dieſer pſychologiſche
Hermaphroditismus führt nun auch zu bizarren Situationen.
Unter den neuern Deutſchen Autoren hat Gutzkow eine
vorzügliche Begabung zur Erfindung bizarrer Charaktere und
Situationen. Sein Mahaguru, ſeine Wally, ſeine Se¬
raphine, ſein Nero, ſein Prinz von Madagascar,
ſein Blaſedow, ſein Hackert in den Rittern vom
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/240>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.