ohne häßlich zu sein. -- Um die schlechte Unwahrscheinlichkeit einer falschen Phantastik zu verspotten, erfindet die Komik auch wohl das Unmögliche, trägt es aber im Ton der doctrinärsten Ehrlichkeit vor, wie Lukianos so vortrefflich in seinen wahren Geschichten die Aufschneiderei der Reisenden und die Pedanterie der Gelehrten zugleich ver¬ spottet (30).
Nun könnte man noch das Mährchen als eine Gattung anführen, in deren Wesen der Widerspruch mit der Nor¬ malität der Natur und Geschichte liege. Wimmelt es nicht von Gestalten und Begebenheiten, welche der positiven Ge¬ setzmäßigkeit ins Gesicht schlagen, also unmöglich, also incor¬ rect sind? Das wahrhafte Mährchen wird aber niemals incorrect sein in dem Sinne, daß seine Unmöglichkeiten nicht symbolisch wahrscheinlich wären. Seine Blumen werden singen; seine Thiere werden sprechen; Menschen werden sich in Thiere, Thiere in Menschen verwandeln und Wunder über Wunder werden geschehen: aber durch diese Phantastik wird ein tiefer, man möchte sagen, heiliger Anklang der Natur- und Geschichtwahrheit hindurchgehen; die künstlichen Hüllen, mit welchen die Civilisation alle Verhältnisse umkleidet, werden von der Unbedingtheit der Mährchenwelt durchbrochen. Es bleibt, wie im Orientalischen und Altnordischen Mähr¬ chenstock (weniger im Celtischen), innerhalb der Idee correct und bewahrt sich die natürliche Unschuld der kindlichen Phan¬ tasie. Läßt es einen Menschen in einen Esel verwandelt werden, so läßt es denselben noch immer als Menschen denken und handeln, aber als Esel Stroh und Disteln fressen. Es wird nicht auf solche Absurditäten verfallen, wie sie unsere jüngste Mährchenpoesie uns dargeboten hat. In Redwitzens Mährchen vom Tannenbaum soll der
ohne häßlich zu ſein. — Um die ſchlechte Unwahrſcheinlichkeit einer falſchen Phantaſtik zu verſpotten, erfindet die Komik auch wohl das Unmögliche, trägt es aber im Ton der doctrinärſten Ehrlichkeit vor, wie Lukianos ſo vortrefflich in ſeinen wahren Geſchichten die Aufſchneiderei der Reiſenden und die Pedanterie der Gelehrten zugleich ver¬ ſpottet (30).
Nun könnte man noch das Mährchen als eine Gattung anführen, in deren Weſen der Widerſpruch mit der Nor¬ malität der Natur und Geſchichte liege. Wimmelt es nicht von Geſtalten und Begebenheiten, welche der poſitiven Ge¬ ſetzmäßigkeit ins Geſicht ſchlagen, alſo unmöglich, alſo incor¬ rect ſind? Das wahrhafte Mährchen wird aber niemals incorrect ſein in dem Sinne, daß ſeine Unmöglichkeiten nicht ſymboliſch wahrſcheinlich wären. Seine Blumen werden ſingen; ſeine Thiere werden ſprechen; Menſchen werden ſich in Thiere, Thiere in Menſchen verwandeln und Wunder über Wunder werden geſchehen: aber durch dieſe Phantaſtik wird ein tiefer, man möchte ſagen, heiliger Anklang der Natur- und Geſchichtwahrheit hindurchgehen; die künſtlichen Hüllen, mit welchen die Civiliſation alle Verhältniſſe umkleidet, werden von der Unbedingtheit der Mährchenwelt durchbrochen. Es bleibt, wie im Orientaliſchen und Altnordiſchen Mähr¬ chenſtock (weniger im Celtiſchen), innerhalb der Idee correct und bewahrt ſich die natürliche Unſchuld der kindlichen Phan¬ taſie. Läßt es einen Menſchen in einen Eſel verwandelt werden, ſo läßt es denſelben noch immer als Menſchen denken und handeln, aber als Eſel Stroh und Diſteln freſſen. Es wird nicht auf ſolche Abſurditäten verfallen, wie ſie unſere jüngſte Mährchenpoeſie uns dargeboten hat. In Redwitzens Mährchen vom Tannenbaum ſoll der
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ohne häßlich zu ſein. — Um die ſchlechte Unwahrſcheinlichkeit
einer falſchen Phantaſtik zu verſpotten, erfindet die Komik
auch wohl das Unmögliche, trägt es aber im Ton der
doctrinärſten Ehrlichkeit vor, wie Lukianos ſo vortrefflich
in ſeinen wahren Geſchichten die Aufſchneiderei der
Reiſenden und die Pedanterie der Gelehrten zugleich ver¬
ſpottet (30).
Nun könnte man noch das Mährchen als eine Gattung
anführen, in deren Weſen der Widerſpruch mit der Nor¬
malität der Natur und Geſchichte liege. Wimmelt es nicht
von Geſtalten und Begebenheiten, welche der poſitiven Ge¬
ſetzmäßigkeit ins Geſicht ſchlagen, alſo unmöglich, alſo incor¬
rect ſind? Das wahrhafte Mährchen wird aber niemals
incorrect ſein in dem Sinne, daß ſeine Unmöglichkeiten nicht
ſymboliſch wahrſcheinlich wären. Seine Blumen werden
ſingen; ſeine Thiere werden ſprechen; Menſchen werden ſich
in Thiere, Thiere in Menſchen verwandeln und Wunder über
Wunder werden geſchehen: aber durch dieſe Phantaſtik wird
ein tiefer, man möchte ſagen, heiliger Anklang der Natur-
und Geſchichtwahrheit hindurchgehen; die künſtlichen Hüllen,
mit welchen die Civiliſation alle Verhältniſſe umkleidet,
werden von der Unbedingtheit der Mährchenwelt durchbrochen.
Es bleibt, wie im Orientaliſchen und Altnordiſchen Mähr¬
chenſtock (weniger im Celtiſchen), innerhalb der Idee correct
und bewahrt ſich die natürliche Unſchuld der kindlichen Phan¬
taſie. Läßt es einen Menſchen in einen Eſel verwandelt
werden, ſo läßt es denſelben noch immer als Menſchen
denken und handeln, aber als Eſel Stroh und Diſteln
freſſen. Es wird nicht auf ſolche Abſurditäten verfallen,
wie ſie unſere jüngſte Mährchenpoeſie uns dargeboten hat.
In Redwitzens Mährchen vom Tannenbaum ſoll der
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/159>, abgerufen am 24.11.2024.
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