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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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es seine Erledigung. Diese absolvirt zu haben, kömmt
mir natürlich nicht in den Sinn, behaupten zu wollen.
Ich bin zufrieden, wenn man mir hier, wie auf andern
Gebieten, zugesteht, einen Schritt wenigstens vorwärts
gethan zu haben. Der Einzelne mag von diesem Ge¬
stande denken:

-- da unten aber ist's fürchterlich,
Und der Mensch versuche die Götter nicht,
Und begehre nimmer und nimmer zu schauen,
Was sie gnädig bedecken mit Nacht und Grauen!

Der Einzelne darf so denken und dann kann er
diese Wissenschaft des Häßlichen ungelesen lassen. Die
Wissenschaft selbst aber folgt nur ihrer Nothwendigkeit.
Sie muß vorwärts. Charles Fourier hat unter den
Rubriken der Arbeitstheilung auch eine aufgestellt, die er
travaux de devouement nennt, zu denen keine indivi¬
duelle Neigung angeboren ist, zu denen sich aber Menschen
aus Resignation entschließen, weil sie die Nothwendigkeit
derselben für das Gesammtwohl erkennen. Solch' einer
Pflicht ist auch hier zu genügen versucht worden.

Aber ist denn die Sache in der That so abschreckend?
Enthält sie nicht auch Lichtpuncte? Ist für den Philo¬
sophen, für den Künstler, nicht auch ein positiver Gehalt
darin verborgen? Ich denke wohl, denn das Häßliche

es ſeine Erledigung. Dieſe abſolvirt zu haben, kömmt
mir natürlich nicht in den Sinn, behaupten zu wollen.
Ich bin zufrieden, wenn man mir hier, wie auf andern
Gebieten, zugeſteht, einen Schritt wenigſtens vorwärts
gethan zu haben. Der Einzelne mag von dieſem Ge¬
ſtande denken:

— da unten aber iſt's fürchterlich,
Und der Menſch verſuche die Götter nicht,
Und begehre nimmer und nimmer zu ſchauen,
Was ſie gnädig bedecken mit Nacht und Grauen!

Der Einzelne darf ſo denken und dann kann er
dieſe Wiſſenſchaft des Häßlichen ungeleſen laſſen. Die
Wiſſenſchaft ſelbſt aber folgt nur ihrer Nothwendigkeit.
Sie muß vorwärts. Charles Fourier hat unter den
Rubriken der Arbeitstheilung auch eine aufgeſtellt, die er
travaux de dévouement nennt, zu denen keine indivi¬
duelle Neigung angeboren iſt, zu denen ſich aber Menſchen
aus Reſignation entſchließen, weil ſie die Nothwendigkeit
derſelben für das Geſammtwohl erkennen. Solch' einer
Pflicht iſt auch hier zu genügen verſucht worden.

Aber iſt denn die Sache in der That ſo abſchreckend?
Enthält ſie nicht auch Lichtpuncte? Iſt für den Philo¬
ſophen, für den Künſtler, nicht auch ein poſitiver Gehalt
darin verborgen? Ich denke wohl, denn das Häßliche

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[VI/0014] es ſeine Erledigung. Dieſe abſolvirt zu haben, kömmt mir natürlich nicht in den Sinn, behaupten zu wollen. Ich bin zufrieden, wenn man mir hier, wie auf andern Gebieten, zugeſteht, einen Schritt wenigſtens vorwärts gethan zu haben. Der Einzelne mag von dieſem Ge¬ ſtande denken: — da unten aber iſt's fürchterlich, Und der Menſch verſuche die Götter nicht, Und begehre nimmer und nimmer zu ſchauen, Was ſie gnädig bedecken mit Nacht und Grauen! Der Einzelne darf ſo denken und dann kann er dieſe Wiſſenſchaft des Häßlichen ungeleſen laſſen. Die Wiſſenſchaft ſelbſt aber folgt nur ihrer Nothwendigkeit. Sie muß vorwärts. Charles Fourier hat unter den Rubriken der Arbeitstheilung auch eine aufgeſtellt, die er travaux de dévouement nennt, zu denen keine indivi¬ duelle Neigung angeboren iſt, zu denen ſich aber Menſchen aus Reſignation entſchließen, weil ſie die Nothwendigkeit derſelben für das Geſammtwohl erkennen. Solch' einer Pflicht iſt auch hier zu genügen verſucht worden. Aber iſt denn die Sache in der That ſo abſchreckend? Enthält ſie nicht auch Lichtpuncte? Iſt für den Philo¬ ſophen, für den Künſtler, nicht auch ein poſitiver Gehalt darin verborgen? Ich denke wohl, denn das Häßliche

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/14>, abgerufen am 16.04.2024.